Walter Tydecks

 

Konstruktion des Subjekts und seiner Wirklichkeit nach der Wissenschaft der Logik von Hegel

- zu Hegels Analytische Philosophie von Stekeler-Weithofer

Version 24.5.2013

Einleitung

Der Begriff des Subjekts ist überraschenderweise in Hegels Wissenschaft der Logik eine Leerstelle. Weder im Hauptwerk noch in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften findet sich ein Kapitel über das Subjekt. Wird im Text nachgeschaut, dann wird nahegelegt, dass das Subjekt identisch ist mit dem Ich (z.B. HW 6.135), der Individualität (HW 6.146), dem Tätigen (HW 6.226), dem Begriff und der Freiheit (HW 6.240 und 249). Es wird angesprochen als die Einzelheit, die sich im Begriff mit dem Allgemeinen zusammenschließt (HW 8.311), als grammatisches Subjekt des Satzes, dem Prädikate zugeschrieben werden (HW 6.268 und 302ff), – in diesem Zusammenhang gebraucht Hegel auch die klassische Übersetzung vom »Subjekt (als) das zum Grunde Liegende« (HW 6.319) –, als Subjekt des Schlusses (HW 6.364ff), als Träger des subjektiven Zwecks (HW 6.445ff), um abschließend als die Macht zu erscheinen, der sich jedes Objekt beugen muß (HW 6.551f). Aber nirgends wird im Gang der Wissenschaft der Logik der Begriff des Subjekts eingeführt im Übergang aus einem anderen Begriff, als notwendige Setzung der Reflexion oder in Entwicklung aus einem anderen Begriff. Während zum Beispiel der Begriff des Widerspruchs, der Begriff des Begriffs und der Begriff des Objekts ihren Platz im Gefüge der Wissenschaft der Logik haben, scheint sich für Hegel das Subjekt außerhalb der Wissenschaft der Logik zu befinden, möglicherweise als Subjekt des Denkens.

In diesem Beitrag gehe ich von der These aus, dass das Subjekt die letzte notwendige Setzung ist, mit der die Lehre vom Wesen (Wesenslogik) abgeschlossen wird und übergeht in »Die subjektive Logik oder die Lehre vom Begriff« . Mit dieser Setzung wird nicht nur die Wesenslogik vollendet, sondern zugleich die Begriffslogik begründet. Möglicherweise hat Hegel aufgrund dieser besonderen Stellung auf eine explizite Setzung des Begriffs des Subjekts verzichtet. Stattdessen spricht er an dieser Stelle vom »Übergang von der Notwendigkeit zur Freiheit«, ja einer »Befreiung« von der Härte der Substanz (HW 8.305), spricht aber nicht vom Subjekt, das sich von der Substanz und dessen Härte befreit.

Das Subjekt hat eine Doppelrolle: Es ist wie der Grund, das Ding, die Wirklichkeit und die Substanz eine Setzung der Reflexion, und zugleich befreit es sich aus den Setzungen des reflektierenden Subjekts und beginnt in Freiheit zu handeln. In diesem Beitrag soll entwickelt werden, wie das Subjekt als Setzung zu verstehen ist; in weiteren Beiträgen über die Urteilslogik und die Objektivität soll gezeigt werden, welche Möglichkeiten die von ihm gewonnene Freiheit öffnet. Daher wird alles, was in den Lehren vom Sein und vom Wesen ausgeführt und gesetzt wurde, dort unter dem neuen Licht der Freiheit des Subjekts erneut aufgenommen.

Die erste Arbeit, die für mich Klarheit in diese Zusammenhänge gebracht hat, ist das Buch Hegels Analytische Philosophie von Stekeler-Weithofer (im Folgenden zitiert als PSW). Von ihm soll daher ausgegangen werden, um einen Versuch zu unternehmen, den Begriff des Subjekts und seiner Wirklichkeit nach der Wissenschaft der Logik von Hegel zu konstruieren.

Hegels Analytische Philosophie: Bereits der Titel enthält eine doppelte Provokation. Stekeler-Weithofer will sich von der in Kreisen der Analytischen Philosophie verbreiteten Kritik an Hegel absetzen, Hegel sei dunkel, mysteriös, spekulativ, elitär, weltfremd. Hegel hat seiner Meinung nach nicht die überlieferte Logik widerlegen wollen, sondern im wörtlichen Sinn eine Wissenschaft der Logik, d.h. eine »Metalogik, ja, allgemeine Metawissenschaft« (PSW, S. 40) geschrieben und insofern bereits vor Frege und Russell eine »Analytische Philosophie«, mit der die Grundlagenbegriffe der Logik erarbeitet werden.

Nicht weniger provokativ ist seine zweite darin implizit mitgesagte Behauptung, eine richtig verstandene Analytische Philosophie enthalte in ihrem Innern dialektisches Gedankengut, wie es Hegel entwickelt hat. Stekeler-Weithofer will zeigen, dass nur mit Einbeziehung der von Hegel erstmals entwickelten Ideen ein Abgleiten der Analytischen Philosophie in rein formale Logik und eine ausschließlich empiristisch oder positivistisch orientierte Wissenschaft vermieden werden kann.

Er stellt sich daher die komplexe Aufgabe, Hegels Wissenschaft der Logik in die Begrifflichkeit von Frege und Wittgenstein zu bringen. Sie soll damit eine Form erhalten, in der sie von der Analytischen Philosophie übernommen und zur Differenzierung gegen eine mathematische Logik genutzt werden kann.

Gegen diesen Ansatz lässt sich vielerlei einwenden. Mir erscheint seine abwertende Sicht der Mathematik nicht zutreffend (»Dieser Gott der mathematischen Bedeutungsanalyse ist nicht Geist, sondern Schema«, PSW S. 93). Sie wird in diesem Buch vorausgesetzt und nicht weiter begründet, weswegen es schwer fällt, dagegen zu argumentieren. Und auch Hegel gegenüber scheint mir ein grundsätzliches Missverständnis vorzuliegen. Hegel in der Nähe von Vorstellungen wie denen von Wittgenstein über Sprachspiele und Lebensformen zu sehen, lässt sich kaum halten. Dennoch hilft sein Ansatz, den besonderen Status der Reflexionslogik und der daraus folgenden Fragen wie »Was ist Wirklichkeit«, »Was ist Macht« und schließlich die Wechselwirkung von Subjekt und Objekt besser zu verstehen. Das gelingt ihm, indem er ausgehend von Freges Unterscheidung in Sinn und Bedeutung in einem sehr weiten Sinn von Bedeutungssystemen spricht. Bedeutungssysteme (wie z.B. Heliozentrismus gegenüber Geozentrismus, klassische Mechanik gegenüber antiker Physik, Teilchenmodell und Wellenmodell, Ökologie gegenüber Ökonomie) werden sich als die treffenden Beispiele erweisen, um zu verstehen, was Hegel mit Reflexion meint.

Am wichtigsten erscheinen mir seine Ideen zum Verhältnis von Subjekt und Objekt. Er vertritt den originellen Gedanken, dass sich am Ende der Wesenslogik die von der Reflexion eingeführten Deutungssysteme ihrerseits in Substanzen verwandeln und mit ihren Objekten in Wechselwirkung treten. Aus dieser selbstreflexiven Wechselwirkung entsteht innerhalb der Deutungssysteme ein neuer Begriff des Subjekts, der zugleich als Subjekt des Begriffs verstanden wird und die Wesenslogik übergehen lässt in die Begriffslogik. Diesen Gedanken zu verstehen und auszuführen ist das wesentliche Anliegen dieses Beitrags.

Ausblick: Das soll vorbereiten auf die Frage, welchen eigenen inneren Prinzipien die von der Reflexion entwickelten Deutungssysteme folgen. Es droht nicht nur eine Verhärtung in einer erstarrten Logik, vor der Stekeler-Weithofer warnt, sondern auch umgekehrt ein Relativismus beliebig werdender Deutungssysteme (»anything goes«). Es soll gezeigt werden, wie sich Hegel dieser Frage in den Kapiteln über den Gegensatz und den Widerspruch mit Einführung und Krise des »an sich Positiven« und »an sich Negativen« nähert, die ich als »Kontinuität« und »Umkehrung« verstehe und in einem Rang sehe, der dem Anspruch und der Bedeutung der transzendentalen Ideen bei Kant entspricht.

Der semiotische Grundwiderspruch

Stekeler-Weithofer sieht die Analytische Philosophie durch Empirismus und Positivismus bedroht. Beide Richtungen sind anfangs nahezu ununterscheidbar, da sich beide gleichermaßen formaler Methoden bedienen, insbesondere der Darstellung von Abstraktionen durch Äquivalenzklassen.

»Ein Inhalt - sei er bewußt oder unbewußt - ist das, was an gewissen schon unterschiedenen und zugleich als generische wiedererkannten, äußeren (Re)Präsentationen invariant ist, was an diesen als 'gleich gültig' (äquivalent) gewertet wird, und zwar im Unterschied zu anderen (Re)Präsentationen« (PSW, S. 32).

Wie lässt sich eine reduktionistische Verkürzung vermeiden? Denn am einfachsten wäre es, wenn die vom Denken gebildeten Äquivalenzklassen eins zu eins den in der Natur vorkommenden Invarianzen entsprechen. Das Denken ist dann eine Mustererkennung, die sich nicht prinzipiell von Künstlicher Intelligenz unterscheidet. Moderne Kognitionswissenschaft versteht die menschliche Physiologie der Sinnesorgane und des Gehirns wie eine Maschine, die Gleichheit und Ungleichheit registriert und in internen Modellen abbildet. Sie beruft sich auf die gleichen philosophischen Traditionen wie die Analytische Philosophie und erweitert sie um neue Ansätze aus dem Umfeld der Emergenz-Theorien.

Stekeler-Weithofer sucht dagegen nach einem klaren Unterscheidungsmerkmal, wodurch sich das Denken abhebt von Rechenoperationen, die auch eine Rechenmaschine ausführen kann. Die Lösung sieht er bei Hegel.

»Hegel bemerkt hier etwas sehr Tiefes - und weiß dies auch - nämlich das, was wir den semiotischen Grundwiderspruch zwischen oberflächlicher Exaktheit und innerer Strenge des Gehalts nennen wollen« (PSW, S. 44).

»Der Widerspruch, den es hier aufzulösen gilt, ist gerade die Tatsache, daß es ein Denken immer nur im (lauten oder leisen) Operieren mit Figuren, Worten, Symbolen gibt, das als solches aber immer auch ganz 'gedankenlos' bleiben kann. Mit anderen Worten, ob einer wirklich denkt oder nur so tut, als dächte er, in Wirklichkeit aber bloß vorgefertigte Schemata reproduziert, wie dies bekanntlich auch Rechenmaschinen können, läßt sich nicht einfach durch Beobachtung, nicht einfach 'von außen' entscheiden. Ein Denken wird ein solches Operieren im Grunde nur durch seine allgemeine dialektische Form, die oft allerdings implizite Form des Gesprächs, der Kommunikation und Interaktion« (PSW, S. 45).

Der bloß schematische und der »wirkliche« Gedanke sehen äußerlich völlig gleich aus, bilden so gesehen also im strengsten Sinn eine Äquivalenzklasse. Wie können sie dennoch unterschieden werden? Fragen dieser Art zu beantworten ist die Aufgabe, der sich Hegel in der Reflexionslogik stellt.

Seinslogik - »Sein ist Bedeutung«

Vorweg ein Rückblick auf die Seinslogik, die Stekeler-Weithofer in der Sprache von Frege und Wittgenstein liest und damit die Grundbegriffe der Analytischen Philosophie einführt. Programmatisch versteht er als Sein »heute, ebenfalls im Singular, 'die Bedeutung' oder 'den Bezug' eines Satzes (1) oder Prädikates (2) oder Eigennamens (3)« (PSW, S. 98).

Das klingt ungewohnt, erschließt sich jedoch aus Freges Verständnis von Sinn und Bedeutung. »Wenn man in der gewöhnlichen Weise Worte gebraucht, so ist das, wovon man sprechen will, deren Bedeutung« (Frege, S. 28). In einem ganz unmittelbaren Sinn gibt es auf der einen Seite das Sein, »wovon man sprechen will«, und auf der anderen Seite die Worte, die ausgesprochen werden. Das Sein ist das, was die Worte bedeuten, so wie sich Bezeichnetes und Zeichen zueinander verhalten. Wenn mit verschiedenen Worten das gleiche Sein gemeint ist, haben sie die gleiche Bedeutung. Es kann verschiedene Worte mit gleicher Bedeutung geben, aber Sein und Bedeutung sind identisch. Das Sein ist die Gesamtheit aller Referenzen, auf die sich Worte beziehen können.

Frege hat das erweitert auf Aussagesätze. Jeder Satz hat in zweierlei Weise eine Bedeutung: Zum einen seine inhaltliche Aussage, zum anderen seinen Wahrheitsgehalt. Bei unverständlichen oder schwierigen Sätzen wird daher nachgefragt, was sie bedeuten. Wenn das geklärt ist, kann in anderer Weise gefragt werden, ob sie überhaupt etwas bedeuten, d.h. ob sie wahr sind. Sätze, die nicht wahr sind, haben keine Bedeutung. »So werden wir dahin gedrängt, den Wahrheitswert eines Satzes als seine Bedeutung anzuerkennen« (Frege, S. 33f).

Diese Sprachphilosophie bezieht Stekeler-Weithofer auf Hegel und versteht abweichend von der Hegel-Tradition das Verhältnis von Sein und Nichts als das Verhältnis von Wahr und Falsch im Sinne »der wahrheitsfunktionalen Logik Freges« (PSW, S. 112):

»Die Wahrheitswerte artikulieren dann außerhalb ihrer Funktion in inhaltlichen Unterscheidungen zunächst nur die formale Differenz zwischen Bejahung und Verneinung von Sätzen S bzw. die formale Entgegensetzung von S und non-S« (PSW, S. 112).

In der Gesamtheit aller Sätze gibt es damit zwei Äquivalenzklassen: Die Sätze mit dem Wahrheitswert wahr und die ihnen formal gegenüberstehenden Sätze mit dem Wahrheitswert falsch. Die Wahrheitsfunktion von Frege nimmt jeden Satz und ordnet ihn einer dieser beiden Klassen von Sätzen zu. Frege bezeichnet diese Zuordnung als Urteil. »Urteilen kann als Fortschreiten von einem Gedanken zu seinem Wahrheitswerte gefaßt werden« (Frege, S. 35). Es ist unmittelbar nachzuvollziehen, dass die Äquivalenzklasse der Sätze mit Wahrheitswert wahr identisch ist mit dem Sein. Das Sein ist damit sowohl dasjenige, wovon gesprochen wird (die Bedeutung von Wörtern und Eigennamen) als auch das Wahrheitskriterium für das, was darüber gesprochen ist. Ein Satz ist wahr, wenn das, was er sagt, ist.

Hier zeichnet sich bereits elementar das kritische Verhältnis von Innen und Außen ab, das später in der Wesenslogik zum Kriterium für die Wirklichkeit werden wird. Das Innere des Satzes ist die Botschaft, die er überträgt, sein Inhalt, und das Äußere des Satzes ist sein Wahrheitswert. Beides wird umgangssprachlich mit dem gleichen Ausdruck als »Bedeutung« bezeichnet. Frege wollte die daraus entstehenden Missverständnisse aufklären.

Am Inneren und Äußeren des Satzes lassen sich die zwei verschiedenen Subjekt-Begriffe ablesen, um die es im weiteren gehen wird: Es gibt ein Subjekt innerhalb eines Satzes und mehrere Subjekte, die den Satz aussprechen, hören und den Satz von außen betrachten. Das innere Subjekt ist das Satzsubjekt, das semantisch gebraucht wird, um die Botschaft des Satzes formulieren zu können. Der Satz enthält im Innern sein Satzsubjekt, über das er etwas aussagt. Wird dagegen der Wahrheitswert eines Satzes geprüft, muss es ein Subjekt geben, das von außen den Satz nimmt und prüft, ob er wahr ist.

Daher unterschied Frege zwischen Sinn und Bedeutung und erläutert das am Beispiel der Eigennamen:

»Vielleicht kann man zugeben, daß ein grammatisch richtig gebildeter Ausdruck, der für einen Eigennamen steht, immer einen Sinn habe. Aber ob dem Sinne nun auch eine Bedeutung entspreche, ist damit nicht gesagt. Die Worte 'der von der Erde am weitesten entfernte Himmelskörper' haben einen Sinn; ob sie aber auch eine Bedeutung haben, ist sehr zweifelhaft« (Frege, S. 28).

›Der von der Erde am weitesten entfernte Himmelskörper‹ ist ohne Zweifel ein Satzsubjekt, über das etwas ausgesagt werden kann. Was mit ihm gemeint ist, gibt es aber wahrscheinlich nicht, denn es gibt wahrscheinlich keinen eindeutig bestimmbaren Himmelskörper, der am weitesten von der Erde entfernt ist. Diese Erkenntnis über die Bedeutung kann nur ein anderes Subjekt gewinnen, das von außen das Satzsubjekt ›Der von der Erde am weitesten entfernte Himmelskörper‹ analysiert.

Bevor dieser Frage weiter nachgegangen wird, ist zurückzukehren zum Anfang der Wissenschaft der Logik bei Hegel. Stekeler-Weithofer will die Fachausdrücke der Analytischen Philosophie deshalb auf Hegel beziehen, weil er im nächsten Schritt bei Hegel eine innere Bewegung sieht, die für ihn zum gesuchten Unterscheidungsmerkmal gegenüber der mathematischen Logik werden soll. Hegel lässt Sein und Nichts nicht beziehungslos nebeneinander stehen, sondern sie gehen ineinander über. Die »Einheit des Seins und Nichts« ist »das Werden« (HW 5.83). Das ist der entscheidende Punkt, mit dem die mathematische von einer lebendigen Bedeutung unterschieden werden soll. Die mathematische Bedeutung beschränkt sich für Stekeler-Weithofer auf eine starre Gegenüberstellung, während eine lebendige Bedeutung den Gegensatz in Bewegung bringt.

Wie lässt sich das in den von Frege übernommenen Fachausdrücken formulieren? Frege hatte bereits eine Vorstellung davon, als er zuließ, dass verschiedene Wörter die gleiche Bedeutung haben können, aber ihren jeweils eigentümlichen Sinn. Es ist für ihn nicht einfach eine sinnlose Redundanz, für die gleiche Sache verschiedene Worte zu gebrauchen, sondern für jedes Wort gibt es einen eigenen Sinn. Er hat nicht weiter ausgeführt, warum es dazu kommen kann. Aber es ist naheliegend, dass die gleiche Sache aus unterschiedlichen Zusammenhängen heraus gesehen werden kann und in jedem Zusammenhang ihren eigenen Sinn hat. Das belegt das von ihm gebrauchte Beispiel, dass Abendstern und Morgenstern zwei Eigennamen mit der gleichen Bedeutung sind. Ihr jeweiliger Sinn ergibt sich, weil der Stern zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten des Himmels gesehen wird, d.h. in unterschiedlichen Beobachtungssituationen.

Wittgenstein hat das aufgegriffen und systematisch ausgearbeitet. In den Philosophischen Untersuchungen kommt er nicht weniger programmatisch als Frege zur Einsicht: »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache« (Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Abschnitt 43). Damit hat er Freges Unterscheidung in Sinn und Bedeutung eine neue Wende gegeben. Jetzt beschreiben nicht mehr verschiedene Worte den gleichen Inhalt, sondern das gleiche Wort erhält abhängig von seinem Gebrauch unterschiedliche Inhalte. Ein Beispiel ist das Wort »Subjekt«, um das es in diesem Beitrag geht. Es wird von Hegel je nach Kontext als Ich, als Satzsubjekt, als Subjekt des Schlusses, als handelnder Akteur usw. verstanden und hat in jedem Kontext eine jeweils spezifische Bedeutung.

Wird das auf Frege bezogen, dann sind Ausdrücke wie “Abendstern” und “Morgenstern” Worte, die in der Alltagssprache gebraucht werden, während die mit ihnen gemeinte Bedeutung ‘Venus’ ein Wort in einer Fachsprache ist. Freges Unterscheidung in Sinn und Bedeutung kann als ein Beispiel für den umfassenderen Gedanken von Wittgenstein verstanden werden.

Stekeler-Weithofer zieht beide Aspekte zusammen und führt den Begriff der Situation ein. Mit Situation kann sowohl gemeint sein, dass der gleiche Inhalt in verschiedenen Situationen mit unterschiedlichen Worten bezeichnet wird, wie auch Wittgenstein folgend, dass das gleiche Worte in verschiedenen Situationen unterschiedliche Inhalte bedeuten kann. Damit findet er den gesuchten Bezugspunkt zu Hegel.

»Das Werden, ganz formal und abstrakt genommen, ist zunächst nichts anderes als die semantische Form, daß sich die Wahrheitswerte situationsbezogener Sätze ändern können« (PSW, S. 114).

Wenn z.B. gesagt wird ›alle Katzen sind grau‹, dann gilt das nachts, aber nicht tags. Dennoch ist zu fragen, ob die so plausibel klingende Behauptung von Stekeler-Weithofer wahr ist. Ist nicht der Zustand, wenn ein und derselbe Satz in einer Situation wahr und in einer anderen Situation falsch ist, lediglich ein Hinweis, dass hier eine unvollständige Erkenntnis vorliegt nach dem Muster, wie Frege Sinn und Bedeutung unterschieden hat und ein vorläufiger alltagssprachlicher Gebrauch durch einen fachwissenschaftlichen erklärt werden muss?

Ja, und genau diesen Zustand hat Hegel so genau wie möglich treffen wollen, um in ihm den Weg zu finden, der daraus hinausführen kann. Die Seinslogik führt ganz bewusst bis an den Punkt, an dem einzelne Aussagen gefunden werden, die situationsbezogen sowohl wahr wie falsch sein können, auch wenn es Hegel noch nicht möglich war, dies aus einer Meta-Sicht so genau zu beschreiben, wie es Stekeler-Weithofer dank der neueren Erkenntnisse der Analytischen Philosophie vermag. Werden die beiden Situationen, in denen ein Satz mal wahr und mal falsch ist, immer näher aneinander herangeführt, dann wird der Indifferenzpunkt erreicht, an dem Hegels Seinslogik endet und in die Reflexionslogik übergeht.

Hegel nennt als ein Beispiel die verschiedenen Aggregatzustände des Wassers. Der Satz ›Wasser ist flüssig‹ ist wahr für die Situation, wenn Wasser wärmer als 0° Celsius und kälter als 100° ist. Zwischen den verschiedenen Aggregatzuständen (Situationen) des Wassers gibt es Indifferenzpunkte, an denen der Wahrheitswert dieses Satzes umschlägt. Innerhalb des Differenzpunktes versagt die Wahrheitsfunktion. Wenn Wasser genau 0° Celsius kalt ist, ist die Aussage ›Wasser ist flüssig‹ weder wahr noch falsch.

Formal betrachtet bedeutet das, dass die Wahrheitsfunktion nicht mehr auf die Menge aller Sätze angewendet wird, sondern auf die Menge aller Situationen und Sätze, mathematisch gesprochen das Kreuzprodukt aller Situationen und Sätze. Es werden nicht mehr einfach zwei Äquivalenzklassen aller wahren und aller falschen Sätze gebildet, sondern Äquivalenzklassen aller Sätze und derjenigen Situationen, in denen sie als wahr gelten, und aller Sätze und der Situationen, in denen sie als falsch gelten. Der gleiche Satz kann daher verbunden mit jeweils unterschiedlichen Situationen in beiden Äquivalenzklassen auftreten.

Innerhalb der Menge aller Situationen und Sätze gibt es Nullpunkte (Indifferenzpunkte), an denen die Wahrheitsfunktion versagt. Dort gilt, dass die Sätze weder wahr noch falsch sind. Das ist die Stelle, mit der Hegel die Grenze der Seinslogik aufgezeigt hat und an der sie umschlägt in die Reflexionslogik. An dieser Stelle wird es notwendig, über das hinauszugehen, was innerhalb des Seins als Qualitäten und Quantitäten erkannt und beschrieben werden kann. Mit der Reflexionslogik muss etwas gesetzt werden, das prinzipiell nicht aus Erfahrungswissen abgeleitet werden kann. Da besteht die Gefahr, willkürlich zu werden und Deutungen zu entwickeln, die im schlechten Sinn rein subjektiv sind und an der Sache vorbeigehen. Hier Lösungen zu finden ist die Aufgabe der Reflexionslogik.

Stekeler-Weithofer bleibt an dieser Stelle ungenau. Er entwickelt nicht wie Hegel, wie die Reflexion aus der Seinslogik entsteht, sondern hält lediglich als Tatsache fest, dass es unterschiedliche Deutungssysteme mit ihren je eigenen Wahrheitskriterien gibt.

»Das wirklich Beständige ist nicht das Sein, wie Parmenides glaubt, sondern das System der Wahrheitskriterien, das trotz aller sich ändernden Erfülltheiten im einzelnen 'mit sich gleich' bleibt« (PSW, S. 117).

Das verfehlt den Punkt, auf den es Hegel ankommt: Hegel will nicht das »System der Wahrheitskriterien« oder die Reflexionslogik der Seinslogik gegenüberstellen und ihr gar eine größere Beständigkeit geben, sondern umgekehrt zeigen, wie die Seinslogik notwendig an ihre Grenze kommt und daher übergeht in die Reflexionslogik. Was in der Reflexionslogik geschieht, muss immer bezogen bleiben auf die Erkenntnisse, mit denen die Seinslogik an ihre Grenze kam. Andernfalls droht Beliebigkeit und Relativismus.

Trotz dieser Einschränkung hat Stekeler-Weithofer das Thema der Reflexionslogik genau getroffen. In ihr geht es um Deutungssysteme und nicht mehr um Qualitäten oder Quantitäten.

Reflexionslogik

Der von Stekeler-Weithofer herangezogene Begriff des Bedeutungssystems macht sehr gut klar, wie sich im Übergang von der Seinslogik zur Wesenslogik die Perspektive ändert. Es gibt nicht das Wesen an sich, sondern nur ein Wesen kontextabhängig innerhalb eines jeweiligen Bedeutungssystems. Es gibt also zwei verschiedene Arten von Kontextabhängigkeit: (a) Jedes Ereignis steht in einem bestimmten Kontext. Die Wirtschaftsgeschichte betrachtet z.B. den Ausbruch des 1. Weltkriegs im Kontext des Imperialismus, die psychologische Systemanalyse das Verhalten von Menschen im Kontext ihrer persönlichen Erwartungen, früheren Erfahrungen und Zielsetzungen. Kontext steht nahezu synonym für Situation. (b) Jede Interpretation befindet sich ihrerseits in einem bestimmten Kontext des für die Interpretation herangezogenen Bedeutungssystems. Wenn Hegel von »gesetzt« oder »setzen« spricht, dann meint er damit, wie eine Aussage gesetzt wird, die nur innerhalb eines vorausgesetzten Bedeutungssystems zu verstehen ist.

Beispiel 1 (Teilchenmodell des Wassers): Für Indifferenzpunkte wie z.B. die Übergänge des Wassers in verschiedene Aggregatzustände muss ein Deutungssystem eingeführt werden. Es kann nicht direkt beobachtet werden, was innerhalb des Indifferenzpunktes geschieht. Wo die Seinslogik an ihre Grenze stößt, wird mit dem Deutungssystem eine Annahme gesetzt, die sich als solche prinzipiell der Beobachtbarkeit entzieht, mit deren Hilfe aber das betrachtete Phänomen erklärt werden kann. Für das Wasser hat sich das Teilchenmodell durchgesetzt. Die kleinste mit dem bloßen Auge beobachtbare Einheit des Wassers sind Wassertropfen. Das Teilchenmodell nimmt dem Atommodell von Platon folgend an, dass Wasser aus einzelnen, isolierbaren Teilchen besteht, die vom Menschen nicht wahrnehmbar sind, aber chemische, physikalische und geometrische Eigenschaften haben, aus denen der Mensch in seiner Vorstellung gedanklich die Zustände und Bewegungsformen des Wassers erklären kann. Sie sind durch Kräfte miteinander verbunden, die durch den leeren Raum wirken. Das Teilchenmodell ist inzwischen so alltäglich geworden, dass kaum mehr bewußt ist, dass selbst die Existenz von Wassermolekülen bis vor kurzem ein rein theoretisches Postulat war. Erst 1997 konnten Wassermoleküle mithilfe eines Rasterelektronenmikroskops sichtbar gemacht werden (chroniknet ).

Es wird daher leicht übersehen, dass auch alternative Modelle für das Wasser möglich sind. Zum Beispiel kann in einem topologischen Modell das Wasser als eine prinzipiell zusammenhängende Substanz interpretiert werden, die nicht zerfällt in einzelne, voneinander unabhängige Moleküle, sondern im Ganzen ihre Geometrie ändert. Anschaulich kann Wasser als Medium verstanden werden, wobei in diesem Deutungssystem Kristallisation einerseits und Verdampfung andererseits als extreme Verwerfungen des Wassers gedeutet werden, die sich dennoch übergreifend aus einem dynamischen Modell des Wassers erklären lassen. Ein solches Modell käme der ursprünglichen Vorstellung des Wassers näher, das Wasser als eins der vier Elemente zu verstehen und damit angeordnet in einer höheren Symmetrie der Elemente.

Dies Beispiel soll zeigen, in welcher Weise von der Reflexionslogik Unterschiede betrachtet werden. Hegel schreibt dort explizit: »Er ist der Unterschied der Reflexion, nicht das Anderssein des Daseins« (HW 6.46). Aber er bringt keine Beispiele, die seine eigene Position verdeutlichen. Stattdessen nennt er die von Leibniz diskutierten unterschiedlichen Blätter an den Bäumen im Herrenhäuser Garten bei Hannover (HW 8.241f), die von Kant genannten Beispiele des Weges nach Westen und Osten, die Farben Blau und Nicht-Blau (HW 8.244), Nord- und Südpol des Magneten (HW 8.245f). Das sind durchgehend Beispiele aus der Qualitätslogik, jedoch nicht treffend für die Reflexionslogik. Sie veranschaulichen, was umgangssprachlich Unterschied bedeutet: Wenn zwei Sachen miteinander verglichen werden, wird nach Merkmalen gesucht, worin sie übereinstimmen (gleich sind) und worin sie sich unterscheiden (ungleich sind). Etwas ganz anderes ist mit dem »Unterschied der Reflexion« gemeint. Hier werden zwei Sachen nach einem Gesichtspunkt verglichen, der nicht als Merkmal zu ihnen gehört, sondern der unabhängig von allen ihren Merkmalen von der Reflexion gesetzt wurde. Hegel verzichtet jedoch nicht nur auf eigene Beispiele, sondern steigert die Verwirrung weiter, wenn er zwar ausdrücklich Identität von Gleichheit und Unterschied von Ungleichheit abhebt, jedoch beim Gegensatz nur undeutlich einen eigenen Begriff findet, der sich von den von Kant eingeführten negativen Größen unterscheidet. (Diese Frage wird im folgenden Beitrag über die Begriffe des Gegensatzes und des Widerspruchs näher ausgeführt.)

Mit der setzenden Reflexion wird etwas gesetzt, das über die Erfahrungen hinausgeht, wie z.B. die Annahme, dass Wasser aus kleinsten, isolierbaren Teilchen besteht, oder alternativ, dass es ein zusammenhängendes Element ist. Im zweiten Schritt wird geprüft, welche Voraussetzungen implizit in der jeweiligen Setzung enthalten sind. Hegel nennt diesen Schritt »äußere Reflexion«, da er von außen betrachtet, was im ersten Schritt vorausgesetzt wurde. Das führt in diesem Beispiel zum Teilchenmodell versus Wellenmodell. Beide Modelle stehen wiederum im Kontext unterschiedlicher philosophischer Konzeptionen. Das Teilchenmodell passt besser in eine Philosophie der Unabhängigkeit, Autonomie und Individualität und wird daher heute bevorzugt, da diese Werte hohe Anerkennung genießen. Das Wellenmodell kann dagegen besser in eine organische Philosophie aufgenommen werden, die Werte wie Gemeinsamkeit, Vertrauen und Gelassenheit präferiert.

Beide Deutungssysteme unterscheiden sich inhaltlich in nichts, bedeuten daher im Sinne von Frege das gleiche. Der Verlauf des Siedens von Wasser ändert sich nicht, ob er so oder anders gedeutet wird.

Beispiel 2 (Wirtschaftlichkeit, Ökonomie versus Ökologie): Wird zum Beispiel die Wirtschaftlichkeit eines Autos betrachtet, sind zunächst als Basis zahlreiche technische Merkmale heranzuziehen, die in diesem Fall das »Anderssein des Daseins« beschreiben: Benzinverbrauch, Kraftstoffart, Getriebeart, Reparaturanfälligkeit, durchschnittliche Werkstattkosten etc. Eine Wirtschaftlichkeitsrechnung dieser Art verbleibt jedoch innerhalb eines ökonomischen Deutungssystems, das ausschließlich die Endkosten für den jeweiligen einzelnen Benutzer errechnet. Es ist in seiner Grundanschauung dem Teilchenmodell ähnlich, da es von voneinander unabhängigen Wirtschaftssubjekten und Wirtschaftsgegenständen ausgeht und ausschließlich die Beziehungen betrachtet, die zwischen ihnen bestehen. Ein ökologisches (eher organisches) Modell betrachtet dagegen die Wirtschaftlichkeit des Autos von seiner grundlegenden Funktion innerhalb eines umfassenden Systems und fragt, in welcher Weise das Auto als besonderes Fortbewegungsmittel das System belastet oder stabilisiert. Die Wirtschaftlichkeit würde entsprechend berechnet aus der veränderten Gesamtsituation des Systems, wenn unterschiedliche Fortbewegungsmittel miteinander verglichen werden.

Dies Beispiel soll noch deutlicher machen, wie jedes Deutungssystem eine Eigendynamik entwickelt. Hegel ergänzt daher zur setzenden Reflexion und der äußerlichen Reflexion (die die impliziten Voraussetzungen der Setzung untersucht und das jeweilige Deutungssystem erkennt) als dritten Schritt die bestimmende Reflexion. Wenn ausgehend von einer Setzung das vorausgesetzte Deutungssystem gefunden ist, wird es bewußt eingesetzt, um im weiteren Handlungsvorschläge zu gewinnen. Wenn sich z.B. das ökonomische Deutungssystem ausreichend stabilisiert hat, seine eigenen Methoden entwickelt und anwendbar sind, dann wird es im täglichen Gebrauch eingesetzt werden, ohne jedes Mal nach Alternativen zu fragen. Dadurch gewinnt jedes Deutungssystem im Laufe der Zeit den Rang einer »zweiten Natur« und scheint zum Dasein zu gehören.

Beispiel 3 (Geozentrismus): Frege hatte Sinn und Bedeutung am Beispiel von Morgenstern und Abendstern diskutiert. Die Frage, ob Morgenstern und Abendstern identisch sind, galt für entschieden, als es gelungen war, mit dem heliozentrischen Planetenmodell eine mathematisch sehr einfach zu beschreibende einheitliche Bewegungsbahn der Venus zu finden, mit der die von der Erde aus sichtbaren Erscheinungen des Morgenstern und des Abendstern gedeutet werden konnten. Dennoch darf nicht vergessen werden: Die geozentrische und die heliozentrische Venusbahn sind inhaltlich identisch. Sie beschreiben den gleichen Planeten und weichen inhaltlich nicht voneinander ab. Insofern ist der Unterschied zwischen diesen beiden Darstellungen Nichts, es gibt keinen inhaltlichen Unterschied. Der Unterschied kann nur erkannt werden durch den unterschiedlichen Kontext, aus dem heraus sie entstanden sind und in dem sie ihren jeweiligen Sinn haben. Die geozentrische Bahn ergibt sich, wenn ein Betrachter auf der Erde steht und davon ausgeht, dass sich alles, was er sieht, um ihn herum bewegt, und diese Bewegungen aufzeichnet. Die heliozentrische Bahn ergibt sich dagegen als Ergebnis mathematischer Berechnungen. Der Mensch versteht sich jetzt nicht mehr als physischen Beobachter, der aufzeichnet, was er sieht, sondern als Wissenschaftler, der einen Standort außerhalb seiner selbst einnimmt und von dort aus alle Deutungsalternativen betrachtet und bewertet. Der Heliozentrismus liefert inhaltlich keine neuen Erkenntnisse. Dank seiner mathemastischen Vereinfachung erleichtert er es aber, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die innerhalb des Geozentrismus nur sehr schwer zu formulieren sind.

Auch von Physikern und Astronomen wird hier gern von »Schein« gesprochen: Sie sagen, die Sonne oder die Venus »scheint« sich um die Erde zu drehen, und wollen damit sagen, dass ihr neu gewonnenes heliozentrisches Weltbild einen höheren wissenschaftlichen Rang hat als das vorangegangene geozentrische Weltbild. Hegel sagt in der Deutung von Stekeler-Weithofer, dass es sich hier nicht um Schein im Sinne einer optischen Täuschung oder eines unvollständigen Wissens handelt, sondern lediglich darum, dass unterschiedliche Bedeutungssysteme nur durch Schein voneinander unterschieden werden können.

Innerhalb jedes Deutungssystems wird etwas gesetzt: In den genannten Beispielen die Existenz von Wassermolekülen, die Ökonomie als eigenständiges System mit inneren Bewegungsgesetzen unabhängig von der natürlichen Grundlage des Wirtschaftens, die Erde bzw. die Sonne als der Bezugspunkt, auf den sich die Beschreibung der Venusbahn bezieht. Diese Art des Setzens darf nicht verwechselt werden mit dem Setzen innerhalb eines logischen Kalküls entsprechend den dort geltenden Regeln, oder wie eine Schachfigur auf dem Schachbrett gesetzt wird. Das Setzen entsprechend der Regeln eines Kalküls erfolgt bewusst und bezieht sich explizit auf die Regeln. Das Setzen der Reflexion legt einen Kontext fest, innerhalb dessen die jeweilige Darstellung erfolgen soll.

Der Unterschied zwischen verschiedenen Deutungen ist wörtlich oder seinsmäßig gesehen Nichts, bloßer Schein, denn sie alle erklären ja dasselbe und haben daher im Sinne von Frege die gleiche Bedeutung, sind inhaltsgleich. Während Frege jedoch nur bei Eigennamen und Aussage-Sätzen ihren Sinn und ihre Bedeutung unterschied, wird das hier nochmals einen Schritt verallgemeinert auf Bedeutungssysteme.

Beispiel 4 (Geist gegenüber Schema): Auch wenn Stekeler-Weithofer wahrscheinlich widersprechen wird, ist die von ihm eingangs genannte Unterscheidung der Analytischen Philosophie von einer mathematischen Logik ein Beispiel zweier Deutungssysteme. Die von ihm gemeinte Analytische Philosophie setzt, dass es einen lebendigen Geist gibt, der allen Erscheinungen zugrunde liegt. Jede Deutung wird daher versuchen, das jeweils betrachtete Phänomen als Äußerung des Geistes zu verstehen. Eine ausschließlich auf Schemata orientierte Mathematik setzt dagegen, dass sich alles auf geometrisch beschreibbare Einheiten zurückführen lässt. Dieses Deutungssystem ist heute zweifellos populärer. Es gehört in die gleiche Gruppe wie das Teilchenmodell und die klassiche Ökonomie.

Ist es möglich, verschiedene Deutungssysteme ihrerseits zu bewerten und Kriterien zu nennen, warum das eine oder das andere ausgewählt werden sollte? Stekeler-Weithofer schließt sich der Ansicht von Hegel an, dass die historische Erfahrung zeigt, dass letztlich nicht alternative Deutungsmodelle nebeneinander stehen, sondern dass es eine Reihenfolge von Standardmodellen gibt, die einander ablösen.

»Nur dadurch, daß das alte Verständnis in der neuen Darstellung in klarerem Lichte erscheint, erhält eine Wesenserklärung ihren Sinn als 'ihre eigene Reflexion' (Spiegelung) im 'Anderen', z.B. im Vor-Wissen« (PSW, S. 235). »Als wesentlich bewerten wir nur, was eine bessere Orientierung in unserem gemeinsamen Leben erlaubt« (PSW, S. 286).

Formulierungen dieser Art zeigen die Zirkularität, die hier droht. Denn was ist ein »klareres Licht«, oder eine »bessere Orientierung«, als dass jedes Deutungssystem von sich überzeugt ist und glaubt, die betrachteten Phänomene richtiger zu treffen als die anderen?

Ausblick: Hegel wird in der Begriffslogik im Kapitel über die Objektivität auf die unterschiedlichen Deutungssysteme zurückkommen. In der Reflexionslogik wird dargestellt, wie sie aus den offenen Fragen der Seinslogik entstehen. Sie behalten hier noch den Charakter von Setzungen, die ein gewisses Maß an Willkür und Relativismus haben. Im Objektivitätskapitel soll jedem dieser Deutungssysteme sein angemessener Platz gegeben und ihr Verhältnis zueinander bestimmt werden, wobei Hegel entsprechend der naturphilosophischen Tradition Mechanismus, Chemismus und Organismus (Lebendigkeit) in aufsteigender Rangfolge sieht.

»Das Wesen ist der Begriff als gesetzter Begriff, die Bestimmungen sind im Wesen nur relative, noch nicht als schlechthin in sich reflektiert; darum ist der Begriff noch nicht als Fürsich« (Enz. § 112, HW 8.231).

Das soll nicht entmutigen, mit der Reflexionslogik fortzufahren, denn nur über das in der Wesenslogik gewonnene Verständnis von Wirklichkeit, Macht und der Wechselwirkung von Subjekt und Objekt wird diese neue Perspektive möglich werden.

Wirklichkeit und Macht

Wenn zwei einander ausschließende Deutungssysteme aufeinander stoßen, entscheidet die Macht. Das jeweils vorherrschende Deutungssystem rechtfertigt sich, dass sich mit ihm die größten Erfolge erzielen lassen. Es sieht nicht, dass der Maßstab, was als Erfolg gilt, seinerseits zum Deutungssystem gehört, wie das Beispiel von Ökonomie und Ökologie zeigen sollte. Erfolg wird gemessen an der Wirklichkeit: Die Wirklichkeit zeigt Erfolg oder Misserfolg. Ein Experiment schlägt fehlt, wenn etwas »in Wirklichkeit« anders ist als theoretisch behauptet.

Diese Begriffe drohen zirkulär zu werden. Jedes Deutungssystem hat mit fortschreitender Klärung seiner impliziten Voraussetzungen die Tendenz, sich zu einem System zu entwickeln, das keiner Außensicht mehr fähig ist. Hegel führt im Abschnitt über die Erscheinung aus, wie nach der Setzung eines Grundes schrittweise das Verständnis der Wirklichkeit entsteht: Dinge und Eigenschaften, deren Materien, ihre Gesetze, das Ganze und seine Teile, Kräfte und ihre Äußerungen, das Innere und das Äußere. Stekeler-Weithofer übersetzt das in die Sprache der Analytischen Philosophie:

»Nach Hegel verweisen Begriffe immer auf ein relatives Gesamtsystem von Repräsentationen, Äquivalenzen und zulässigen, gegenüber der Äquivalenz zumindest invarianten Eigenschaften« (PSW, S. 247).

Das Gesamtsystem findet im Ergebnis zu einer Setzung seiner selbst: Es setzt sich mit der Wirklichkeit gleich.

»'Wirklichkeit' ist Titel für eine durch einen Wesensgrund theoretisch erklärte regelmäßige Erscheinung« (PSW, S. 284).

In der Auseinandersetzung mit anderen Deutungssystemen beansprucht jedes Deutungssystem für sich mit dem Ton der Überzeugung, dass es allein sagen kann, wie es »wirklich« ist, während die anderen über ein Als-ob nicht hinauskommen. So auch Stekeler-Weithofer an der bereits zitierten Stelle, an der er die Überlegenheit der Analytischen Philosophie gegenüber der mathematischen Logik behauptet: »Ob einer wirklich denkt oder nur so tut, als dächte er ...« (PSW, S. 40).

Jedes Deutungssystem definiert durch sich selbst sein Innen. Es ist ein sehr gelungenes Bild, dass die jeweils anderen Deutungssysteme von ihm nur wie ein Schein aufgenommen werden können, der in sein Innen scheint. Beispielsweise ist für die klassische Ökonomie die Wirklichkeit nichts anderes als die Wirklichkeit aller Akteure, die sich entsprechend dieses Systems verhalten. Was vom angestrebten Optimum ökonomischen Verhaltens abweicht, wird seinerseits als eine zu berücksichtigende Störgröße des Systems betrachtet und bei den Deutungen mit einbezogen. Mögliche ökologische Katastrophen erscheinen daher nicht als Bedrohung des Systems, die alles Leben und damit ökonomisches Wirtschaften im Ganzen auslöschen können, sondern als ökonomische Gefährdung, für die eine geeignete Absicherung mit entsprechenden Rückstellungen für den Schadensfall zu berücksichtigen und in die Kosten-Nutzen-Kalkulation aufzunehmen ist. Wenn das zu teuer wird, muss das Projekt aus ökonomischen (und nicht aus ökologischen) Gründen zurückgestellt werden. – Umgekehrt erscheint aus Sicht der Ökologie die Existenz einer menschlichen Ökonomie, wie sie sich heute herausgebildet hat, in ähnlicher Weise als Ressourcenverbrauch und Belastung ökologischer Gleichgewichte wie andere natürliche Erscheinungen. Die Ökologie versucht zu ermitteln, ob und wie lange ein gegebenes ökologisches System die ökonomische Wirtschaftsweise der Menschen in ihrer kapitalistischen Verfaßtheit aushält bzw. in welche niedrigere Stufe (Verwüstung) es zurückfallen wird, wenn die Belastung zu groß wird und das Gleichgewicht zusammenbricht. Das ökonomische Wirtschaften erscheint als eine Störgröße vergleichbar anderer externer Einflüsse wie der Aufprall eines Kometen oder sonstiger Naturkatastrophen größten Ausmaßes.

An dieser Stelle, an der sich das Gesamtsystem als Wirklichkeit  setzt, tritt das Verhältnis von Innerem und Äußerem in doppelter Weise auf: Das Verhältnis von Innerem und Äußerem kann seinerseits von Innen und von Außen gesehen werden. Innerhalb des Deutungssystems gilt: Was innen ist, muss nach außen kommen. Oder umgangssprachlich: Was in einem steckt, muss sich zeigen und äußern. Sonst bleibt es nichts als ein uneingelöster Anspruch. Und umgekehrt kann aus dem, wie etwas sich zeigt, geschlossen werden, was es im Innern ist. (Das ist keine von außen an Hegel herangetragene psychologisierende Deutung, sondern entnommen aus Enz. § 140 einschließlich der Anmerkung, HW 8.274-279. Hegel entwickelt diesen Gedanken aus dem Verhältnis der Kraft und ihrer Äußerung. Von einer Kraft zu sprechen ist sinnlos, wenn sie sich nicht zu äußern vermag. Und umgekehrt kann aus jeder Äußerung auf die Kraft geschlossen werden, die sich in ihr zeigt.)

Inneres und Äußeres verweisen aufeinander. Hegel spricht von der »Umkehrung des einen in das andere«, die jedoch zunächst nur eine »negative Einheit«, einen »einfachen, inhaltlosen Punkt« (HW 6.182) bilden. Er wird gefüllt durch die Wirklichkeit, »die Einheit des Inneren und Äußeren« (HW 6.186).

Das Verhältnis von Innerem und Äußerem bleibt »inhaltlos«, solange das Äußere nichts als das Innere zeigt und umgekehrt. Wird dabei stehen geblieben, dann ist es völlig zutreffend, mit Stekeler-Weithofer die Wirklichkeit lediglich als »Titel« dessen zu bezeichnen, was an regelmäßigen Erscheinungen bereits dargestellt ist.

Hegel will an dieser Stelle den gordischen Knoten durchschlagen, indem er behauptet, dass die Wirklichkeit nicht nur die Einheit des Inneren und Äußeren ist, wie sie sich in der Erscheinung zeigt, sondern dass hier zugleich das Deutungssystem mit der Wirklichkeit sein Außen umfasst. Entsprechend dramatisch klingt die einführende Passage in der Wissenschaft der Logik, mit der Hegel mit einem Schlag alle Bedenken abschütteln möchte, sein System sei auf unsicherem Grund gebaut.

»Die Wirklichkeit ist die Einheit des Wesens und der Existenz; in ihr hat das gestaltlose Wesen und die haltlose Erscheinung oder das bestimmungslose Bestehen und die bestandlose Mannigfaltigkeit ihre Wahrheit. Die Existenz ist zwar die aus dem Grunde hervorgegangene Unmittelbarkeit, aber sie hat die Form noch nicht an ihr gesetzt; indem sie sich bestimmt und formiert, ist sie die Erscheinung; und indem sich dies nur als Reflexion-in-Anderes bestimmte Bestehen zur Reflexion-in-sich fortbildet, wird es zu zwei Welten, zwei Totalitäten des Inhalts, deren die eine als in sich, die andere als in Anderes reflektierte bestimmt ist. Das wesentliche Verhältnis aber stellt ihre Formbeziehung dar, deren Vollendung das Verhältnis des Inneren und Äußeren ist, daß der Inhalt beider nur eine identische Grundlage und ebensosehr nur eine Identität der Form ist. – Dadurch daß sich auch diese Identität in Ansehung der Form ergeben hat, ist die Formbestimmung ihrer Verschiedenheit aufgehoben, und es ist gesetzt, daß sie eine absolute Totalität sind. Diese Einheit des Inneren und Äußeren ist die absolute Wirklichkeit« (HW 6.186).

Offensiver lässt sich der Macht- ja Totalitätsanspruch nicht formulieren. Es soll nicht versucht werden, die Dichte dieser Formulierungen paraphrasierend aufzulösen, sondern es genügt die Beobachtung, von wo Hegel ausgeht und wo er ankommen will: Alles, was bisher in der Wissenschaft der Logik entwickelt wurde, wird infrage gestellt als gestaltlos, haltlos, bestimmungslos, bestandlos, wenn es nicht gelingt, ihm mit dem Begriff der Wirklichkeit einen festen Grund zu geben. Der liegt in nichts anderem als der unmittelbaren Berufung auf das Absolute. Mit dem Absoluten umfasst die Wirklichkeit nicht nur das Innere und Äußere, wie es sich in der Erscheinung zeigt und sich an deren Ende in einem »inhaltlosen Punkt« zu verflüchtigen droht, sondern die absolute Totalität und mit ihr alles, was sich außerhalb ihrer befinden könnte.

Hegel bleibt sich jedoch treu, wenn er auch hier keinen Zweifel lässt, dass dieser Anspruch  gesetzt  ist. Daher kann mit gutem Recht gesagt werden, dass jedes Deutungssystem nicht nur seinen eigenen Begriff der Wirklichkeit, sondern auch seinen eigenen Begriff der Absolutheit hat. Jedes Deutungssystem setzt sich absolut, nicht mehr und nicht weniger. Wenn Hegel konsequent wäre, würde er diese Einsicht auch auf seine eigene Philosophie beziehen.

»Das Absolute, zuerst von der äußeren Reflexion ausgelegt, legt nun als absolute Form oder als Notwendigkeit sich selbst aus; dies Auslegen seiner selbst ist sein Sich-selbst-Setzen, und es ist nur dies Sich-Setzen. – Wie das Licht der Natur nicht Etwas, noch Ding, sondern sein Sein nur sein Scheinen ist, so ist die Manifestation die sich selbst gleiche absolute Wirklichkeit« (HW 6.218).

Damit vollendet sich jedes Deutungssystem: Es setzt seinen eigenen Schein, sein Scheinen. In dem Moment, an dem es sich absolut setzt und damit gegen jede Kritik und Außensicht abzuschotten droht, offenbart es seinen inneren Zug, an dem es als ein eigenes Phänomen fassbar und seinerseits der Deutung zugänglich wird. Bisher wurde nur beschrieben, wie die Reflexion etwas setzt, dessen Voraussetzungen klärt und schließlich sich selbst als absolutes System setzt. Der Vorgang des Setzens konnte nicht weiter hinterfragt werden. Es konnte nur gefragt werden, welche Voraussetzungen mitgesetzt wurden und wie Ordnung in die unterschiedlichen Setzungen gebracht werden kann. Erst jetzt kann auch ein Begriff des Setzens gesetzt werden, das ist nach dem Vorbild des Lichts die Manifestation. Es wird nicht einfach die Wirklichkeit wie ein Raum oder ein System gesetzt, in dem sich alles zusammenfügt, was mit dem Deutungssystem gesetzt werden kann, sondern die Wirklichkeit wird von einem inneren Scheinen erfüllt, ihrem eigenen Licht. Mit dem Licht ist dasjenige Naturphänomen gefunden, von dem ausgehend in einem abschließenden Schritt die unterschiedlichen Deutungssysteme ihrerseits zusammengenstellt werden sollen. Jedes Deutungssystem setzt seine eigene Wirklichkeit und mit ihr sein eigenes Licht. Während jedoch unterschiedliche Wirklichkeiten beziehungslos und in völligem Unverständnis auseinander treten können, finden sie im Licht etwas Gemeinsames, von dem aus sie in Beziehung kommen. Das Kapitel über die Objektivität in der Begriffslogik wird zeigen müssen, ob dies ein leerer Anspruch ist, oder ob sich das Licht als der gesuchte Begriff mit einer eigenen Inhaltsfülle erweisen wird, der über den Absolutheitsanspruch jedes einzelnen Deutungssystems hinausgeht.

Wechselwirkung von Subjekt und Objekt

Ist ein Deutungssystem bis an den Punkt gekommen, dass es seinen eigenen Begriff der Wirklichkeit und der Absolutheit formulieren kann, dann kann es hiervon ausgehend auch seinen eigenen Subjekt- und Objekt-Begriff erkennen. Im ersten Schritt hat das Deutungssystem lediglich einen Macht- und Totalitätsanspruch gestellt. Es hat sich als das Wirkliche gesetzt und damit beansprucht, dass es die Deutungshoheit hat. Das ist für Hegel jedoch keineswegs ein äußerlicher Anspruch, mit der jedes System einfach behauptet, dass es mächtiger ist als die anderen und sie daher überwältigen, zur Seite drängen oder gar nicht erst aufkommen lassen will, sondern Hegel will zeigen, wie jedes Deutungssystem aus seiner eigenen Logik heraus notwendig einen eigenen Begriff der Wirklichkeit setzt, der nicht nur ein Titel für die erkannten Gesetzmäßigkeiten der Erscheinungen ist, sondern eine Eigendynamik enthält. Die Eigendynamik entsteht mit dem Begriff der Wirklichkeit, wenn sie als Einheit des Inneren und Äußeren gesetzt wird.

Worin liegt die Einheit des Inneren und Äußeren? Ich verstehe Hegel so, dass das Innere und Äußere nur dann übereinstimmen können, wenn es von beiden Seiten einen Anstoß gibt, der zu ihrer Übereinstimmung führt: Das Innere hält seine Möglichkeiten nicht nur verborgen, sondern hat den Drang, sie zu äußern. Es trägt damit seinen Teil dazu bei, das Wirkliche zu konstituieren. Das Äußere bleibt nicht nur eine bloße Äußerlichkeit, sondern weist von sich aus auf sein Inneres zurück. Dadurch sichert es sich vor Entartungen und Auswüchsen, die sich weit von seinem Innern entfernen oder sich sogar in Widerspruch dazu stellen. Die Wirklichkeit kann als Einheit von Innerem und Äußerem nur entstehen, wenn diese beiden nicht gleichgültig, gelähmt oder in gegenseitiger Blockade einander gegenüberstehen. Dies aktive vorantreibende Moment, das zunächst die Wirklichkeit zustandebringt und dann der Wirklichkeit ihre Stabilität und Dauerhaftigkeit verleiht, nennt Hegel in einem ersten Schritt »Aktuosität« (HW 6.220). Es entsteht nicht von allein, sondern es muss etwas dafür getan werden. (Ergänzend kann gesagt werden: Wenn die Wirklichkeit diese Aktuosität verliert und das Innere sich unverstanden sieht, sobald es wirklich wird, und umgekehrt das Äußere zur bloßen Oberfläche wird, die keinen Kern mehr hat, dann bricht die Wirklichkeit auseinander in eine Vielfalt von Parallel-Welten, und ein neues Deutungssystem wird notwendig, um zu begreifen, was vor sich geht. Das sind nach dem Beispiel der Astronomie Zeiten einer kopernikanischen Wende.)

Mit der Wirklichkeit ist noch nicht direkt das Subjekt auf den Plan getreten, sondern zunächst nur die Substanz, auf die Hegel die Aktuosität bezieht. Die Substanz ist noch kein handelndes Subjekt, aber bereits eine »Macht«, die Hegel in sehr klaren Worten »als schaffende« und »als zerstörende Macht« bezeichnet (HW 6.220). Diese Macht steht im Hintergrund, wenn sich das Innere und das Äußere in der genannten »Umkehrung« (HW 6.182) immer wieder aufeinander beziehen und dadurch die Einheit herstellen, die sich als Wirklichkeit zeigt. Wenn die Einheit hergestellt werden kann, ist für das Gelingen der Einheit die Macht verantwortlich, deren Begriff Hegel hier einführt. Mit der Wirklichkeit ist eine Macht gesetzt, mit der die Wirklichkeit hergestellt und aufrecht erhalten werden kann. Das ist im Beispiel der klassischen Ökonomie die »unsichtbare Hand«, die regelt, dass sich alle einzelnen ökonomischen Akte zu einer erfolgreichen Ökonomie zusammenschließen. Im Beispiel der Physik sind das die Wirkungsprinzipien, die den Gesetzen der physikalischen Dynamik zugrundeliegen. Diese Beispiele zeigen, wie jedes Deutungssystem sein eigenes Verständnis der Macht setzt, das sich wie alle anderen Setzungen prinzipiell der Seinslogik entzieht. Weder die unsichtbare Hand noch das Wirkungsprinzip werden sich als solche je in der Natur beobachten lassen. Sie können nur im Rahmen der jeweiligen Deutung aus den Erscheinungen des Daseins gefolgert werden.

Jetzt fehlt nur noch der Schritt von der »Aktuosität« der Substanz zum Akteur. Hegel beschreibt in größter Verallgemeinerung, wie alle Wissenschaften zur Wechselwirkung ihrer Substanzen gelangen. Das kann die Wechselwirkung schwerer Massen in der Gravitation, chemischer Stoffe im chemischen Prozess, lebendiger Organismen in der Gestaltung ihrer Lebenswelt oder ökonomischer Ressourcen sein, die sich in einem liberalen ökonomischen System von sich aus auf ein Systemoptimum einpegeln. Das kann auch die Sprache sein. Bis zum 19. Jahrhundert zweifelte niemand daran, dass die Sprache eine eigene Substanz hat, die es dem Sprechenden ermöglicht, sich auf sie zu verlassen und mit ihr sagen zu können, was ihm auf der Zunge liegt. Die Sprache enthält Worte voller Ausdruckskraft und innerer Fülle, die in einer inneren Wechselwirkung stehen, die vom Sprechenden und Autor nicht erst hergestellt werden muss, sondern auf deren Wirken er vertrauen kann. Wenn es gelungen ist zu zeigen, wie sich in dieser Wechselwirkung die jeweiligen Substanzen im Rahmen eines bestimmten »Spielraums« mit völliger Freiheit bewegen können, ist mit der Freiheit der letzte fehlende »Baustein« gefunden, um zu verstehen, was mit dem Subjekt im jeweiligen Deutungssystem gemeint ist. Im Beispiel der Sprache sind das die Schriftsteller, die die inneren Freiheiten der Sprache (ihrer Worte, Zeiten, Rhythmen und gegenseitigen Bezüge) als künstlerische Freiheit erkennen und nutzen können. Im Beispiel der Ökonomie hat jeder ökonomische Akteur im Rahmen der übergeordneten Gesetzmäßigkeiten (der »unsichtbaren Hand«, die sich gesetzmäßig über den Verlauf der Wirtschaftszyklen durchsetzt) seine Handlungsfreiheit mit ihren Chancen und Risiken.

Stekeler-Weithofer neigt dazu, an dieser Stelle nicht klar auseinander zu halten, wie zum einen Subjekt und Objekt innerhalb eines Deutungssystems gesetzt werden, und zum anderen auf einer Meta-Ebene von außen von einem Subjekt gesprochen werden kann, das ein Deutungssystem entwirft. Hegel baut diesem Missverständnis vor, und hier scheint mir der Grund zu liegen, warum er nirgends den Begriff des Subjekts explizit einführt und seinen Ort in der Wissenschaft der Logik bestimmt. Das ist um so schwerwiegender, da sich hier entscheidet, ob sein Anspruch eingehalten werden kann, nicht eine Logik, sondern eine Wissenschaft der Logik, d.h. eine »Metalogik, ja, allgemeine Metawissenschaft« zu entwerfen (PSW, S. 40). Hegel und ihm folgend Stekeler-Weithofer begeben sich daher systematisch in eine Doppelposition, die bei ihnen ungeklärt bleibt: Zum einen wird die Logik als Deutungssystem gesehen, das seine eigene Wirklichkeit und sein eigenes Handlungsssubjekt kennt. Zum anderen wird mit der Wissenschaft der Logik die Logik aller Deutungssysteme untersucht.

Um mögliche Missverständnisse auszuräumen, ist daher deutlich zu unterscheiden zwischen dem Akteur (Agenten) innerhalb des Deutungssystems und dem Autor und dem Analytiker des Deutungssystems, der das Deutungssystem von außen sieht, indem er es entwirft und entwickelt bzw. bewertet.

(a) Mit Subjekt können »wir« gemeint sein. Wir entwerfen Deutungssysteme und prüfen sie auf ihre Mächtigkeit, mit ihnen die Objekte deuten zu können. Dazu gehört auch die Frage, in welcher Weise Deutungssysteme durch innere Voraussetzungen die mit ihnen gewonnenen Deutungen vorprägen und möglicherweise einschränken oder gar verfälschen. Wir fragen uns, welche Bedeutung die Deutungssysteme für unser Leben haben und verständigen uns über sie, da wir durch eine gemeinsame Lebensform miteinander verbunden sind. Dieser Ansatz bezieht sich deutlich auf Wittgenstein. (b) Mit Subjekt kann auch das Subjekt innerhalb eines Deutungssystems gemeint sein. In der Ökonomie wird von ökonomischen Agenten gesprochen (Homo oeconomicus), die Sozialwissenschaften bevorzugen den Ausdruck Akteur. Alle Naturwissenschaften sehen die von ihnen analyisierten Gegenstände als »handelnde Subjekte« an, die über mehr oder weniger Handlungsspielraum verfügen. Kant war der Meinung, dass anders eine Naturwissenschaft nicht gestaltet werden kann. Sie hat grundsätzlich einen teleologischen Zug und versucht das Verhalten ihrer Objekte so zu verstehen, als wären es dem Menschen vergleichbare Subjekte. Das gilt schließlich auch für die Logik, die Meta-Logik und die Sprachphilosophie. Dort sind die Worte die kleinsten Elemente. Jede Sprachtheorie neigt dazu, den Worten eine eigene Subjektivität zu verleihen, mit der sie mit den anderen Worten Beziehungen herstellen. Das kann esoterisch klingen und wird daher oft nur in einer sehr wissenschaftlichen Ausdrucksweise umschrieben. So auch Stekeler-Weithofer: »Das kategoriale Wort 'Subjekt' meint bei Hegel nicht primär die einzelne oder generische 'Person', sondern das zu Grunde Gelegte, das sub-jectum, die allgemeine semantische Rolle des syntaktischen Satzsubjektes« (PSW, S. 343f).

Entsprechend ist auf der Objekt-Seite zu unterscheiden. Wenn aus wechselwirkenden Substanzen handelnde Subjekte geworden sind, dann stellen sich jedem Subjekt seine Gegenstände als Objekte dar. Mit dem Subjekt-Begriff wird der Objekt-Begriff gesetzt.

(a) Innerhalb jedes Deutungssystems stehen dem Subjekt seine Objekte gegenüber. Wenn in der Sprache das Satzsubjekt gesetzt ist, tritt es in Verhältnis zu den Satzobjekten. Die dem Subjekt prädizierten Prädikate erscheinen als eigene Objekte. In dem gern zitierten banalen Beispiel ›S ist blau‹, ist jetzt aus S das Satzsubjekt geworden und aus dem Prädikat ›blau‹ das Satzobjekt. Jedes Prädikat wird objektiviert. Das Subjekt S tritt in Beziehung mit dem Objekt ›das Blaue‹. Diese Verhältnisse werden von Hegel mit Beginn der Begriffslogik in der Urteilslogik bis ins Einzelne analysiert und sollen später genauer betrachtet werden. Mit der Freiheit des Satzsubjekts und Satzobjekts entsteht die Poesie, die in weit größerer Freiheit Worte zu gestalten vermag. Ebenso erscheinen in der Ökonomie dem handelnden Wirtschaftssubjekt sowohl alle anderen Ressourcen als auch alle anderen Wirtschaftssubjekte als Wirtschaftsobjekte, mit denen es arbeitet.

Das Beispiel der Ökonomie erhält begriffsbildende Kraft. Denn über die Ökonomie hinaus kann jetzt innerhalb jedes Deutungssystems die Beziehung des Subjekts zu seinen Objekten als Arbeit gesetzt werden. Das ist zwar in der Sprachphilosophie nicht gebräuchlich, in der nicht von der Arbeit des Satzsubjekts gesprochen wird, – obwohl die moderne Poesie fast handgreiflich den Arbeitscharakter der von ihr gestalteten Subjekt-Objekt-Beziehungen zeigt –, aber um so deutlicher in der Physik, die an dieser Stelle zurecht den Arbeits-Begriff einführt. Für die Logik haben Peter Ruben und Bruno Hartmann systematisch das Verhältnis von Logik und Arbeit untersucht.

(b) Zugleich sind die Deutungssysteme die Objekte des Autors, der ein Deutungssystem entwirft. Hier entsteht eine weitere Doppeldeutigkeit: Der Autor behandelt sein Deutungssystem als ein Objekt, an dem er arbeitet, und zugleich arbeitet er mithilfe des Deutungssystems an den Objekten, die innerhalb des Deutungssystems gesetzt sind. Stekeler-Weithofer scheint – mit deutlichen Anklängen an Heidegger – diese letztere Beziehung zu meinen. Ich verstehe ihn so, dass das Subjekt als Autor mit den Objekten des Deutungssystems in Wechselwirkung tritt und aus dieser Wechselwirkung das Deutungssystem entsteht. Der Autor hört auf das, was die Natur ihm sagt, fasst das in sein Deutungssystem und deutet mithilfe dessen wiederum die Natur. Das Deutungssystem ist Mittel in der Beziehung von Autor und Objekt. Hegel führt diesen Gedanken am Ende der Begriffslogik aus, wenn Subjekt und Objekt nicht nur wie in der Wesenslogik gesetzt, sondern in der Begriffslogik entwickelt sind:

»Die Methode ist dies Wissen selbst, für das er (der Begriff, t.) nicht nur als Gegenstand, sondern als dessen eigenes, subjektives Tun ist, als das Instrument und Mittel der erkennenden Tätigkeit, von ihr unterschieden, aber als deren eigene Wesenheit« (HW 6.552).

Aus dieser Sicht kann verständlich werden, warum für Stekeler-Weithofer das Deutungssystem zu einer Substanz wird, die in Wechselwirkung mit ihren Objekten tritt.

»Die andere Substanz, von welcher Hegel hier spricht, ist nach meiner Lesart [...] eine gesamte Theorie oder Wesenserklärung. Diese ist ja die eidetische Ur-Sache für den Gesamtverlauf, die eigentliche Substanz, das, was eigentlich fest und invariant bleibt in einer Kausalerklärung« (PSW, S. 314).

Wörtlich gelesen widerspricht das dem Grundgedanken von Hegel. Mit der Wechselwirkung von Substanzen ist gemeint, dass innerhalb eines Deutungssystems deren bestimmende Elemente in Wechselwirkung zueinander treten, z.B. die Massen in der Mechanik, die Stoffe in der Chemie, die Ressourcen in der Ökonomie, die Worte in der Sprache. Das würde hier bedeuten, dass innerhalb einer Meta-Logik die von ihr betrachteten Deutungssysteme (»Logiken«) die Substanzen sind, die miteinander wechselwirken. Die Kraft und die Stabilität jedes einzelnen Deutungssystems beruht darauf, ob und wie es ihm gelingt, seine eigene Wirklichkeit zu konstituieren, in der seine Objekte ihre Sprache finden.

Stekeler-Weithofer meint jedoch einen übergeordneten Gedanken. Er betrachtet im Grunde nicht die Wechselwirkung von Substanzen, sondern wie Hegel im Schlusskapitel der Wissenschaft der Logik die Wechselwirkung von Subjekt und Objekt. Hier kann nicht mehr von Substanzen gesprochen werden, da das Subjekt aus der Substanz hervorgegangen ist. Das schmälert jedoch nichts an der Wichtigkeit des von ihm vertretenen Gedankens. Wenn die Begriffe von Subjekt und Objekt gefunden sind, kann die Wechselwirkung von Subjekt und Objekt als das gesuchte innere Maß der Wissenschaft der Logik verstanden werden. In diesem Sinn lassen sich mit Stekeler-Weithofer wesentliche Einsichten von Heidegger zum besseren Verständnis der Logik übernehmen.

Siglen

HW = Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in 20 Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu ediert. Red. E. Moldenhauer und K. M. Michel. Frankfurt/M. 1969-1971; Link

PSW = Pirmin Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie, Paderborn 1992

Literatur

Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung,
in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, NF 100, 1892, S. 25-50; Link

Bruno Hartmann: Logik und Arbeit, St.Augustin 1994

Klaus J. Schmidt: G.W.F. Hegel: ›Wissenschaft der Logik – Die Lehre vom Wesen‹, Paderborn u.a. 1997

Ludwig Wittgenstein: Werke Band 1, Frankfurt 1984
darin: Tractatus logico-philosophicus, Philosophische Untersuchungen

2013
 


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