Walter Tydecks

 

Zeit des Keynesianismus und seiner Krise

Vorwort

Mit welchem Begriff lassen sich die Besonderheiten der Wirtschaft des 20. Jahrhunderts am besten treffen? Von wo aus lässt sich am besten verstehen, welche Einflüsse von der Wirtschaft auf die Entwicklung der Mathematik ausgegangen sind, und welchen Beitrag umgekehrt die Mathematik im 21. Jahrhundert leisten kann, um einen Ausweg aus der Krise des im 20. Jahrhundert geschaffenen Wirtschaftssystems zu finden?

John Maynard Keynes (1883 - 1946) war Mathematiker, Ökonom und aktiv an den wichtigsten Entscheidungen der Wirtschaftspolitik beteiligt. Er nahm an den Versailler Vertragsverhandlungen 1919 teil, die er jedoch unter Protest gegen die Deutschland auferlegten Reparationszahlungen wieder verließ, fand auf die Wirtschaftskrise 1929 mit seinem Buch "The General Theory of Employment, Interest and Money" die allgemein anerkannte Antwort und gilt als Architekt der 1944 in Bretton Woods ausgehandelten neuen Weltwirtschaftsordnung. In London war er einer der Jüngsten des 1905 entstandenen Bloomsbury Kreises und lernte dort nicht nur Künstler wie Virginia Woolf, Duncan Grant und T.S. Eliot kennen, sondern auch den Mathematiker Bertrand Russell und den Ethiker George Moore. 1908 schrieb er bei Whitehead seine Doktorarbeit über Wahrscheinlichkeitstheorie, die in dieser Zeit ihren Siegeszug begann.

Die von ihm geprägte Zeit hat aber alles andere als eine "multiple Mathematik" gefördert. Keynes war sehr skeptisch gegen den Einsatz mathematischer Methoden. Mathematik im Wirtschaftsleben wurde reduziert auf Zählen und Wiederholen, auf Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik, und erlebte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Triumph in den EDV-Anwendungen, für die mathematisch neben der Wahrscheinlichkeitstheorie im wesentlichen Lineare Algebra, Grundlagen der Analysis, formale Logik, vielleicht ein wenig Graphentheorie ausreichen. Neue mathematische Ideen etwa in der Differentialgeometrie und -topologie blieben unbeachtet. Abgesehen von einigen Bemühungen, Ideen der Chaostheorie aufzugreifen, wirken die Lehrbücher der Ökonomie mathematisch merkwürdig veraltet und unzeitgemaß.

Hier geht es um den Nachweis der These, wie aus dem Keynesianismus gleichsam organisch die Wirtschaftsstatistik erwächst und vor welche Probleme sie sich heute gestellt sieht. Als methodischer Ansatz wird die Theorie der Kondratieff-Zyklen gewählt, die zur Zeit am besten geeignet scheint, quantitative und qualitative Aspekte zu verknüpfen.

Ökonomische Grundlage: 3. und 4. Kondratieff-Zyklus

Keynesianismus bezeichnet ein neues Verhältnis von Politik und Wirtschaft, das mit der Zweiten Industriellen Revolution ungefähr seit 1880 durchgesetzt wurde. Die technische Umwälzung der Produktion mit Entstehen der chemischen, elektrischen und Fahrzeugindustrie und des Maschinenbaus als Zulieferer für die neuen Produktionsanlagen verlangte im Gegensatz zu den früheren Jahrhunderten freie weltweite Absatzmärkte, eine wesentlich verbesserte Ausbildung der Arbeitskräfte auf den Gebieten der Technik und Fremdsprachen, völlig neue Infrastrukturen für das Verkehrssystem und die Nachrichtentechnik, den Aufbau großer Ballungszentren, mobile Arbeitskräfte, Absatzgarantien für die Produkte der Massenproduktion auch in Phasen fehlender privater Nachfrage durch den systematischen Aufbau staatlicher Nachfrage. Der Keynesianismus im weitesten Sinn bot hierfür die erforderlichen Lösungen.

Die Epoche des Keynesianismus umfaßt zwei Kondratieff-Zyklen und damit eine Gesamtdauer von ungefähr 110 Jahren.

Jeder Kondratieff-Zyklus wird von einem langfristigen Investitionsprojekt getragen, das nur auf Basis einer weltweiten Arbeitsteilung gelingen kann. Nach Einführung der Dampfmaschine und dem Eisenbahnbau in Europa und Amerika kam es Ende des 19. Jahrhunderts zu einer bisher einmaligen Welle von technischen Erfindungen und wissenschaftlichen Umwälzungen. In der Chemie gelang es seit 1860, die ersten künstlichen Farben (Anilin) herzustellen, seit 1882 die Barbiturate, 1885 die ersten Kunstdünger, 1887 die Elektrolyse und 1890 die Kunstseide. Auf dem Gebiet Elektrotechnik waren es 1866 der Dynamo, 1879 die Straßenbahn, 1881 das Telefon und 1882 die elektrischen Großkabel, um nur einige Beispiele zu nennen. Ebenfalls fällt in diese Zeit die Entwicklung der ersten Autos.

Alle diese Produkte behielten jedoch noch den Charakter von Luxusgütern. Ihre Herstellung blieb sehr aufwändig, und die Nachfrage war begrenzt auf die recht schmale Oberschicht und Teile der ohnehin noch nicht so großen Stadtbevölkerung.

Dennoch war der 3. Kondratieff-Zyklus die Epoche der Ingenieure. 1880 bis 1930 wurden die modernen Industrien in den Grundzügen und in hartem Wettkampf untereinander in allen westeuropäischen Ländern und den USA sowie in der frühen Sowjetunion aufgebaut. Lenin: Sozialismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung.

Das Schulsystem wurde völlig umgewälzt. Aufbauend auf die in den meisten europäischen Ländern bereits um 1800 eingeführte allgemeine Schulpflicht wurden die Naturwissenschaften fester Bestandteil des Schulunterrichts. Das mehrgliedrige Schulsystem entstand. Überall wurden Technische Hochschulen gegründet, und auch an den Universitäten gewannen die mathematisch-technischen Fakultäten an Bedeutung. Unterrichtsstoff, Lehrbücher und Lehrmethoden wurden von Grund auf modernisiert. In den Naturwissenschaften und der Mathematik hat sich seit 1920 an den Lehrbüchern nicht mehr allzu viel geändert.

Wie die Produktion der neuen chemischen und elektrischen Produkte blieben aber diese Entwicklungen zunächst gesamtgesellschaftlich gesehen noch am Rande. Die Anzahl der Hochschulanfänger überstieg nie 10% eines Jahrgangs. Das Potential für die große Umwälzung, die dann nach 1945 vollzogen wurde, war zwar weitgehend bereits da. Aber es fehlte im wesentlichen noch an verbesserten Produktionsverfahren, um die neuen Produkte billiger und in größeren Stückzahlen herzustellen.

Dies wurde die Aufgabe des 4. Kondratieff-Zyklus von ungefähr 1935 bis 1990. Seine Basisinnovation war die Petrochemie. "Sie lieferte das Erdöl zu derart niedrigen Preisen, dass nicht nur bereits bekannte Innovationen wie Auto, Flugzeug und Schiff expandieren konnten, sondern auch ein ganzer Schwarm von Folgeinnovationen (Kunststoffe, Textilfaser, Kosmetika, Düngemittel, Farben) möglich wurde. (...) Nicht verwunderlich war auch, dass unmittelbar nach der Ölkrise von 1973 im Westen eine breite Diskussion über die Grenzen des Wachstums ausbrach." (Leo Nefiodow: "Der fünfte Kondratieff", S. 31)

Alle wesentlichen neuen Produkte sind im Prinzip bereits 1930 – 1950 bis zur Produktionsreife entwickelt worden (so in der Ölverarbeitung verbesserte Cracking-Verfahren, in der Chemie Textilfasern, Plexiglas, die Grundstoffe für die Kunststoffverarbeitung und Pflanzenschutzmittel, in Pharma Vitamine, Penicillin und Cortison, in Elektro Transistor, Fernsehen, Radio, Radar und die ersten Rechenmaschinen, im Flugzeugbau der Hubschrauber und das Düsenflugzeug). Ausschließlich auf dem Gebiet der Mikroelektronik zur Herstellung von Rechenanlagen kam es bis 1990 zu weiteren Produktentwicklungen von vergleichbarer Bedeutung (Integrierte Schaltkreise 1961, Mikroprozessoren 1971).

Werden der 3. und 4. Kondratieff-Zyklus zusammen gesehen, lassen sich 4 Phasen des Keynesianismus erkennen:

1885 – 1911 Entstehen der neuen Industriezweige Chemie, Elektro, Auto und Maschinenbau Höhepunkt der bürgerlichen Epoche ("belle epoque"),
Liberalismus, Kolonialismus
1912 – 1936 Umwälzung der Naturwissenschaften und der Mathematik, erste Schritte für ein neues Schulsystem, Beschränkung der neuen Industrien auf die jeweiligen Kolonialreiche und erste große Erfolge daher nur in USA Krise der bürgerlichen Kultur,
Herausforderung durch die sowjetische Revolution und den Faschismus, Nationalismus
1936 – 1965 Weltweiter Durchbruch der neuen Industrien, verbesserte Produktionsverfahren Sieg über den Faschismus, Isolierung des Sowjetsystems, Hegemonie des american way of life, goldene Epoche des Keynesianismus
1965 – 1990 Dominanz der transnationalen Konzerne, Einsatz von Großrechnern, Hervortreten der äußeren und inneren Widersprüche Vietnamkrieg, Krise der Nationalstaaten, Zusammenbruch des Sowjetsystems

In der Erholungsphase, den ersten 12 – 14 Jahren eines Kondratieff-Zyklus, müssen die Barrieren aus den vorangegangenen Epochen überwunden und die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den nächsten Zyklus bereitgestellt werden. Das war 1885 – 1911 völlig mißlungen, so dass es zum Ausbruch des 1. Weltkriegs kam, und 1936 gerieten erneut der Welthandel und alle großen Industrienationen in eine schwere Krise. Oft wird übersehen, dass auch alle Reformprojekte in den USA zur Zeit des New Deal vor dem Scheitern standen, bevor dann auf dramatische Art und Weise der 2. Weltkrieg endgültig den Weg frei machte für den Siegeszug des Keynesianismus:

Lange Zeit konnten diese für die Wirtschaft günstigen Rahmenbedingungen aufrecht erhalten werden. Durch die Produktivitätssprünge in der Landwirtschaft, den Einsatz technischer Konsumgüter im Haushalt und die Öffnung der Grenzen zu den unterentwickelten Ländern konnten laufend neue, billige Arbeitskräfte mobilisiert werden (Bauern, Frauen, Ausländer). Mit der Substitution von Rohstoffen durch chemische Produkte ist die Rohstoffabhängigkeit insgesamt deutlich gemindert. Die Nachfrage nach Rohstoffen wuchs bei weitem nicht so schnell wie die Gesamtwirtschaft. Vor allem aber wuchs die Produktivität in den rohstoffverarbeitenden Ländern wesentlich schneller als in den rohstofferzeugenden, so dass sich die terms of trade ständig zu ihren Gunsten veränderten: Die Waren, die im Tausch für die Rohstoffe verkauft wurden, konnten ständig billiger hergestellt werden.

Auf den beiden Gebieten Arbeitsmarkt und Rohstoffimport sind dennoch die äußeren Grenzen des 4. Kondratieff-Zyklus zu sehen: Er mußte in die Krise geraten, als die Produktivität nicht mehr so schnell stieg wie das Lohnniveau und die Rohstofflieferanten das Weltwirtschaftssystem herausforderten, das sie seit 1945 systematisch benachteiligt hatte. Beides geschah um das Jahr 1973 herum.

Von mindestens gleicher Bedeutung sind jedoch die inneren Widersprüche, die zu der Strukturkrise seit 1990 geführt haben. Sie stellen die Barrieren dar, die nun zu Beginn der nach-keynesianistischen Epoche mit dem 5. Kondratieff-Zyklus überwunden werden müssen. Sie werden im folgenden stichpunktartig entlang der Strukturmerkmale der Keynesianistischen Wirtschaft entwickelt.

Massenproduktion

Die Massenproduktion mit ihrer ständig steigenden Weltmarkt-, d.h. Exportorientierung ist die Grundlage des 4. Kondratieff-Zyklus. Ihr Aufbau einschließlich aller dazu gehörenden Infrastrukturen (Straßenbau, Flughäfen, Ballungszentren, Schul- und Gesundheitssystem etc.) ist das Lebensprojekt dieser Epoche.

Hohe Vorrats- und Transportkosten, Ballungszentren

Die Massenproduktion führt zur Konzentration von Ballungszentren. Die Rohstoffe und Vorprodukte müssen herangeschafft, die Fertigprodukte verteilt und später in aufwendigen Servicenetzen gewartet werden. Die geographische Lage der Ballungszentren orientiert sich an den Rohstoffquellen (z.B. Lothringen, Ruhrgebiet) oder Verkehrswegen (bevorzugte Lage an Küsten und großen Flüssen). Die erste innere Krise der Massenproduktion zeigt sich daher als Verkehrskrise und Krise der Ballungszentren, wenn die Verkehrsnetze überlastet und die Kosten zur Aufrechterhaltung der großen Städte unbezahlbar werden.

Umrüstungsaufwand

Die Massenproduktion erfordert riesige Fabriken. Der Umrüstungsaufwand ist sehr hoch. In der Regel werden entweder neue Fabriken gebaut, während alte komplett aufgegeben werden und verfallen. Oder einmal jährlich in den Betriebsferien werden die Anlagen verbessert und nach und nach erneuert.

Die Komplexität der Großanlagen wird unübersichtlich und besonders in der chemischen Produktion und Atomindustrie werden Störfälle ein wachsendes Problem.

Fixes Kapital und Kreditabhängigkeit

Der Anteil des fixen Kapitals (in Vorräten, Fabrikanlagen, Fuhrpark, Kommunikationseinrichtungen) wächst ständig und muß mit Kredit vorfinanziert werden. Der Einfluß der Banken wird daher immer größer und übertrifft jedes aus den früheren ökonomischen Epochen bekannte Maß. In den großen Konzernen gewinnen die Finanz- und Marketingabteilungen, Betriebswirte und Juristen die Oberhand gegenüber Forschung, Entwicklung und Produktion. Die Konzerne werden zu Verwaltern des fixen Kapitals, neue Ideen müssen mühsam von kleinen Firmen auf den monopolisierten Märkten eingeführt und durchgesetzt werden.

Geringe Flexibilität und große Zyklusanfälligkeit

Eine andere Folge des hohen Anteils des fixen Kapitals ist die große Zyklusanfälligkeit. Die Massenproduktion funktioniert nur wirtschaftlich, wenn sie rund um die Uhr laufen kann. Bereits geringe Nachfrageausfälle führen zu hohen Lagerbeständen und extremen Schwierigkeiten, die langfristigen Kreditverträge für den Maschinenpark zu erfüllen. Vom Staat wird daher erwartet, dass er die nötige Gleichmäßigkeit in der Güternachfrage garantiert, sei es durch Öffnung neuer Auslandsnachfrage, Unterstützung des privaten Konsums oder eigener staatlicher Nachfrage.

Gerade in der Massenproduktion droht der Aufbau von Überkapazitäten, wie er zur Zeit extrem im Schiffbau und zunehmend auch im Fahrzeugbau zu beobachten ist. Wenn neue Firmen mit moderner Produktion in den Wettbewerb treten, können auf einen Schlag riesige Altanlagen unrentabel werden ohne Aussicht, sie durchgreifend zu modernisieren. Ganze Regionen drohen ins Abseits zu geraten, wie das Ruhrgebiet in Deutschland oder das klassische Industriegebiet im amerikanischen Nordosten.

Geringe intellektuelle Beanspruchung in der Arbeit, Krise des Ingenieurs

Die Arbeit in der Massenproduktion ist in hohem Maß standardisiert und nur geringfügigen Änderungen unterworfen. Sie verlangt daher keine große Ausbildung. Im Kernland dieser Epoche, den USA, ist in dieser Zeit das Bildungssystem erheblich verfallen.

Dadurch ist die Arbeit jedoch keineswegs leicht und ungefährlich geworden. Sie ist technisch bestimmt: Aufgrund der hohen Arbeitsteilung und des Maschineneinsatzes hat sich das Arbeitsumfeld geändert. Mechanische Prozesse, meßbare und reproduzierbare Arbeitsschritte, hohe Komponentialität und Abhängigkeit der Komponenten voneinander bestimmen das Arbeiten in der Produktion. Das führt zu Entkonkretisierung und Verlust der Konzentration auf eine Sache. Die Arbeit ist ständig mit dem Zwang verbunden, auf das gesamte Umfeld zu achten, und kann sich kaum mehr auf die natürlichen Sinne und handwerkliche Produktionserfahrung verlassen.

In der Aufbauphase der Massenproduktion spielten noch einmal die Ingenieure eine herausragende Rolle (in den USA 1930 bis 1960, in Westeuropa 1945 bis 1970). Nach Einführung des Fließbandprinzips, Standardisierung der Produktion bis an die Grenzen des Roboterprinzips, änderte sich jedoch nichts Wesentliches mehr.

Daher wurden Vertrieb, Marketing und Management immer wichtiger, um das vorhandene Material besser ausnutzen und vermarkten zu können. Das Ansehen der fachlichen Arbeit und der Produktentwicklung schwand, Geschick im Umgang mit Menschen (um sie zu führen bzw. als Käufer zu gewinnen) wurden gefragter. In einer typischen Karriere wurde aus einem Ingenieur ein Vertriebsingenieur und schließlich ein leitender Manager. In den Vorständen der Industrieunternehmen werden systematisch die Wissenschaftler mit naturwissenschaftlicher oder technischer Ausbildung (Ingenieure, Chemiker, etc.) verdrängt. Und schon in den Schulen verkommt das Lernen von Naturwissenschaften zum Faktenwissen, stattdessen gewinnen "soziale Fähigkeiten" an Bedeutung wie Durchsetzungsvermögen, soziale Anerkennung, peer groups oder negativ Mobbing und Isolierung. Die Schulen wandeln sich tendenziell in Aufbewahrungsanstalten. Nicht mehr Lernen soll Spaß machen, sondern der angebotene Unterricht. Die Schüler werden zu Konsumenten.

Im Endergebnis droht die völlige Entwertung der Arbeit in der Massenproduktion. Teils kann die Standardisierung so weit getrieben werden, dass die Arbeit durch EDV-unterstützte Systeme fast ganz abgelöst wird. Teils kann in den transnationalen Konzernen die Produktion so aufgebrochen werden, dass die verbleibenden arbeitsintensiven Produktionsschritte in Billiglohnländer verlagert werden. Das betrifft keineswegs nur die Arbeit am Fließband, sondern durchaus auch die zunehmend standardisierte Arbeit in den technischen und Informatikberufen.

Kreativität isoliert sich in den sogenannten "kreativen", d.h. künstlerischen Berufen und koppelt sich von der Arbeitsgesellschaft ab. Inzwischen gelten die Unternehmen für besonders innovativ, die ihre Produkte mit dem angesprechendsten Design und der besten Marketingstrategie vertreiben können.

Starre Zukunftsprojekte (Raumfahrt, Atomindustrie, Rüstung)

Die Notwendigkeit von Zukunftsprojekten wurde selbstverständlich jederzeit gesehen. Aber nach dem Vorbild der Infrastruktur für die Massenproduktion (Verkehrswege, Ballungszentren) wurden alle Zukunftsprojekte in ähnlich gigantomanischer Weise angegangen, so insbesondere in der Raumfahrt und der Atomindustrie. Für die Privatindustrie waren diese Zukunftsprojekte nie profitabel. Sie wurden daher an den Staat delegiert, der auf dem Wege der Auftragsvergabe an die Privatindustrie dieser die notwendige Nachfrage beschaffte. Besonders in den USA haben auf diese Weise die Rüstungsindustrie bzw. die mit Kriegsprodukten beauftragten Unternehmensbereiche eine dominierende Rolle bekommen.

Materialschlachten

Im Grunde war zu jeder Zeit die Kriegsindustrie die Basis des Keynesianismus. Hier kam alles zusammen, was diese Epoche auszeichnet: Massenproduktion, standardisierte Produkte, Auftragsvergabe durch den Staat, mehr oder weniger monopolistische Wirtschaftsverbände. Der Panzer ist das wahre Symbol dieser Epoche: ein starres Gehäuse, hohe Feuerkraft, relativ geringe Beweglichkeit, Führung in hierarchisch organisierten Verbänden, große logistische Aufgaben. Aus der Luft und von der See kann Unterstützung kommen, aber in allen größeren Kriegen dieser Epoche fällt die Entscheidung in der Panzerschlacht. Menschenleben zählten nicht viel, galten als "Menschenmaterial".

Massenkonsum

Aber der Keynesianismus war keineswegs bloß eine der kriegerischsten und mörderischsten Zeiten der Weltgeschichte, so sehr das auch die nackten Zahlen der Kriegstoten, der Verhungerten und in Lagern Hingerichteten, der Flüchtlinge und der bis zum Exzeß gesteigerte Drogenkonsum gerade in den industrialisierten Ländern nahelegen. Erst jetzt hat die Industrialisierung voll auf den Konsum durchgeschlagen und das Leben im Alltag völlig verändert. Im 19. Jahrhundert blieb für die Masse der Werktätigen das Einkommensniveau derart niedrig, dass in den städtischen Elendsvierteln keine Neuerungen eingeführt werden konnten und das bloße Überleben im Vordergrund stand. Erst nach 1900 wurde selbst in den fortschrittlichsten Ländern wie Großbritannien wieder ein Lebensniveau erreicht, das mit dem Stand zur Zeit vor der industriellen Revolution um 1750 vergleichbar erscheint. Überall auf der Welt stieg die Lebenserwartung sprunghaft an.

Erst der Keynesianismus brachte in den industrialisierten Ländern großen Teilen der Bevölkerung Chancen, wie sie zuvor nur der gehobene Mittelstand gekannt hatte. Generation für Generation war mitzuerleben, wie es immer besser ging, und selbst die ungeheuren Opfer der Weltkriege wurden schnell vergessen. Ihr Gedenken ist tief verborgen im Innern einer Kultur, die um so mehr auf Rausch und Betäubung orientiert ist, je mehr Geld und Zeit zur Verfügung stehen.

Eigenheim

Grundlegendes Element des Massenkonsums ist das Eigenheim. Die Bauindustrie mit den Zulieferern in der Zementindustrie, Baugeräten (wie Kräne, Förderbänder usw.) ist während dieser Epoche der tragende wirtschaftliche Faktor. Konjunkturzyklen sind in dieser Zeit vor allem Bauzyklen. Über die Bauindustrie entwickelte sich die für diese Epoche typische Verfilzung von Wirtschaft und Staat, wodurch das Grundprinzip des Keynesianismus ad absurdum geführt wurde. Anstatt neue Innovationen zu entwickeln, kämpfen Unternehmen um lukrative Aufträge vom Staat. Systematisch finden beide Seiten zueinander, wo das gleiche Unternehmen als Dank für staatliche Aufträge Produktionsleistungen an die Verantwortlichen beim Staat anbieten kann. Wie ein Krebsgeschwür unterwandert diese Mentalität schließlich die gesamte Wirtschaft, wenn immer weniger Innovation in der Produktentwicklung zählt, sondern Zugang zu garantierter Nachfrage.

Auto

In den Eigenheim-Vororten sind öffentliche Verkehrsmittel fast nicht möglich. So zieht der Boom des Eigenheims den Autoboom nach sich. Und mit dem Auto entstehen zahlreiche weitere neue Wirtschaftszweige wie der Fremdenverkehr und überhaupt der Tourismus, der ganze Servicebereich (Tankstellen, Werkstätten, Abschleppdienste, Versicherungen) und der Straßenbau.

Im Ergebnis ist aber die Zersiedelung durch die endlosen Vororte und die völlige Abhängigkeit vom Auto dann wieder nur eine Seite der Krise des verstopften Verkehrsnetzes und der Ballungszentren.

Langlebige elektronische Gebrauchsgüter

Beispiele sind Radio und Fernsehen, Waschmaschine, Kühlschrank, ständig neue Tonträger (Schallplatte, CD, Kassette). Wie beim Auto werden zahlreiche zusätzliche Wirtschaftszweige geschaffen, so der Mediensektor, die notwendige Infrastruktur durch Strom-, Telefon- und Fernsehkabel, die Telekommunikationsindustrie.

Die Anfälligkeit gegenüber Krisen wächst auch hier. Alles ist von der Stromversorgung abhängig. Ungeachtet des Heimwerker-Booms können die ständig technisch komplexer werdenden Gebrauchsgüter kaum mehr ohne fremde Hilfe repariert werden. Selbst die Servicetechniker können in der Regel nur ganze technische Komponenten austauschen. Wie in der Produktion verschwindet auch in der Freizeit der Bedarf und das Ansehen von ingenieursmäßigem Wissen, spätestens, wenn die zweite oder dritte, inzwischen mehr oder weniger voll-elektronische Produktgeneration auf dem Markt ist.

Kreditabhängigkeit und Abhängigkeit von Sozialleistungen

Genau wie der hohe Einsatz des fixen Kapitals in der Industrie führt der Massenkonsum auch beim Verbraucher zu großen, langfristigen Investitionen. Zuerst bei den Hypotheken für das Eigenheim und dann bei der Finanzierung des Autos (Leasing) und anderer teurer Gebrauchsgüter werden Kreditaufnahmen bei den Banken notwendig. Zins- und Tilgungszahlungen führen zu einer hohen Anfälligkeit gegen wirtschaftliche Rückschläge, wenn z.B. ein Familienmitglied arbeitsunfähig oder arbeitslos wird. In diesen Fällen helfen nur noch Sozialleistungen vom Staat oder Versicherungen. Der wachsende private Reichtum ist äußerst krisenanfällig und gefährdet.

Passive Konsumgewohnheiten

Der geringen intellektuellen Herausforderung in der Arbeit entsprechen passive Konsumgewohnheiten, wo in der Regel das Verständnis von Bedienungsanleitungen genügt. In der Freizeit werden vorgefertigte Produkte konsumiert, vom Fernsehen über das Auto bis zur Kamera. Dieser Konsum durchdringt auch schnell die veränderten Spielgewohnheiten der Kinder, die weniger Brettspiele, Erkunden der Natur, Nähen oder Basteln bevorzugen, sondern Ausführen langer Spielanleitungen mit vorgefertigten Elementen (Lego, Barbie-Puppen) oder Fernsehen und Spielen mit den neuen technischen Geräten (Video, Gameboy, PC etc.).

Das Leben in Eigenheimen, Reisen im Auto und Spielen mit elektronischen Medien führt zu einer starken Vereinsamung und Abstumpfung der Sinne. Die verwandtschaftlichen Beziehungen reduzieren sich auf die Kernfamilie. An die Stelle von Interessen treten Hobbys.

Krise der häuslichen Arbeiten und Familie

Durch die Massenproduktion wurden die Haushaltsgüter so preisgünstig, dass die häusliche Arbeit völlig entwertet wurde (Weben, Waschen, Herstellen von Nahrungsmitteln und kleineren Gebrauchsgütern, Kochen). Stattdessen wurden in der langen Aufschwungphase zunehmend auch die Frauen in der Produktion und der ständig wachsenden Verwaltung des Staates und der großen Konzerne beschäftigt, wofür keine besondere Zusatzqualifikation notwendig war. Die Familieneinkommen konnten dadurch zunächst nochmals deutlich gesteigert werden.

Was bei der Produktion der nötigen Haushaltsgüter für die häuslichen Arbeiten gelang, schlug jedoch völlig fehl auf dem Gebiet der Erziehung. Zunächst sprang auch hier der Staat in die Lücke, aber mit anderer Zielrichtung. Von 1900 bis 1970 war konsequent das Bildungssystem aufgebaut worden, um Facharbeiter und Sachbearbeiter für die Massenproduktion heranzubilden. Erst im nachhinein wurde jedoch deutlich, in welchem Maß die Schule auf eine intakte Familie angewiesen war, wo der Vater sein praktisches Wissen weitergeben konnte und die Mutter für den notwendigen sozialen Zusammenhalt sorgte. Mit der Entleerung der Arbeit in Industrie und Verwaltung und den immer längeren Abwesenheitszeiten auch der Frauen von der Familie ändert sich das durchgreifend. An die Schulen wird von den Familien die Erwartung herangetragen, die soziale Erziehung der Kinder zu übernehmen und die praktischen Kontakte zur Arbeitswelt herzustellen, wozu die Väter nur noch bedingt in der Lage sind. Diesen Aufgaben zeigt sich die Schule nicht einmal in Ansätzen gewachsen.

Dadurch erhöht sich nochmals der Druck auf die Familie: Gegenüber der wachsenden Anonymität und Abstraktheit sowohl in den modernen technologisch bestimmten Produktionsprozessen wie den neuen Konsumgewohnheiten verspricht sie den letzten Rest an Schutz und Geborgenheit. Der Einzelne kann sich nicht mehr auf die traditionellen Institutionen wie Kirche, Stamm, Verband, Dorf etc. verlassen und muß einen individuellen Lebensentwurf finden. Es gibt keine institutionellen Regeln, Rituale und Zeremonien mehr, die aus sich heraus Kraft haben. Alles wird reflektiert, durchschaut, erscheint verlogen und hat nur noch Wert, solange es dem unmittelbaren Konsum nützt. Das Bedürfnis nach institutionellen Zusammenhängen, die Geborgenheit geben, wird um so größer. Parteien, ideologische Bewegungen, Sekten, neue religionsartige Gruppen, aber auch lokale Förderkreise, Hobbyklubs etc. können die Nachfrage immer nur vorübergehend befriedigen. Für eine Weile sprechen sie bestimmte Bedürfnisse an, verfallen dann aber ihrerseits in die gleichen bürokratischen Strukturen, wie sie von Wirtschaft und Staat her bekannt sind (Vereinsmeierei, Seilschaften, Cliquen). Der übergreifende Prozeß der technologischen Zerlegung und Bürokratisierung erscheint übermächtig. Am Ende weist alles auf die Familie zurück, die zu zerbrechen droht.

Während des gesamten 20. Jahrhunderts stand die Epoche des Keynesianismus unter dem Zeichen des Jugendstil, der Wandervogeljugend, der Reformpädagogik, der politisierten Jugend als Speerspitze weltanschaulicher politischer Parteien, der Schüler- und Studentenbewegung, der lose organisierten Jugendgruppen (Punks, Skins, Sportfans, etc.), der geradezu kultischen Verehrung alles Jugendlichen. Der Moment der Freiheit, wo die Herkunftsfamilie verlassen und die Gründung einer eigenen Familie vorbereitet wird, ist die einzige übrig gebliebene Identifikationsquelle. Schließlich fühlt sich jeder nur noch "seiner Generation" und innerhalb seiner Generation der Zeitströmung zugehörig, der er sich in diesem Alter angeschlossen hat. Das individuelle Leben wird aufgeteilt in Lebensabschnitte, und der Beginn eines jeden Lebensabschnitts soll die Möglichkeit suggerieren, nochmals so wie mit 18 Jahren frei entscheiden und leben zu können. Das Ziel eines erfüllten Lebens mit Wachstum, Reife und Alter wird ebenso aufgegeben wie in der Produktion die Erfahrung persönlichen Könnens. Anleitungen zum persönlichen Leben ("wie kann ich mich entspannen", "wie finde ich einen Partner" etc.) werden ununterscheidbar von den neuen sozialen Techniken, die im Arbeitsleben verlangt werden (Kundenorientierung, Teamfähigkeit, positives Denken).

Produktivitätssprung in der Landwirtschaft

Die auf Dauer größten und einschneidendsten Umwälzungen brachte diese Epoche mit dem Produktivitätssprung in der Landwirtschaft. Erstmals in der Geschichte der Menschheit wird der Anteil der Landwirtschaft an der Gesamtarbeit nahezu marginal.

Das führt jedoch auch zu einer in diesem Ausmaß historisch noch nie gegebenen Gefahr, dass in Krisensituationen die Rückkehr in die Subsistenzwirtschaft kaum mehr möglich ist. Mit der Verstädterung und der durch die hohen Bodenpreise immer kleiner werdenden Grundstücke der Eigenheime gibt es für die meisten keine Möglichkeit mehr, im Notfall auf Eigenversorgung umstellen zu können. Sie sind völlig auf staatliche Unterstützung angewiesen.

Motorisierung

Der Produktivitätssprung in der Landwirtschaft ist in erster Linie der Motorisierung zu verdanken, dem Einsatz von Treckern und Erntegeräten auf dem Feld und neuer Anlagen im Stall und bei der Vorratshaltung (Kühlsysteme u.ä.).

Bis heute ist es jedoch nicht gelungen, in der Landwirtschaft einen optimalen Fuhrpark aufzubauen. Besonders die Erntegeräte werden nur zu bestimmten Stoßzeiten gebraucht und können ansonsten nicht genutzt werden. Multifunktionale Geräte, die in allen Jahreszeiten einsetzbar wären, gibt es kaum. Wenn jeder Hof seine eigenen Geräte anschafft, führt das insgesamt zu einer gewaltigen Übermotorisierung, was besonders extrem in Deutschland geschehen ist. Dadurch werden die Unkosten für den Bauern aber wieder sehr hoch, und ohne staatliche Zollpolitik kann er nicht mehr gegen die weit weniger ausgerüsteten und schlechter bezahlten Bauern in den Entwicklungsländern konkurrieren.

Aber auch der Versuch gemeinsamer Nutzung technischer Geräte in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ist im Herrschaftsbereich der Sowjetunion gescheitert. Weit stärker als im Westen hatte sich hier die landwirtschaftliche Produktion der industriellen Massenproduktion angeglichen. Die natürlichen Bedingungen (Feldgröße, Flußläufe, Teiche, Vegetation in Hecken, Wälder und freistehende Bäume) wurden noch weit konsequenter als im Westen zugunsten der besseren Einsatzbarkeit der technischen Geräte eingeebnet. Wüstungsprozesse waren die Folge, die langfristig die Produktivität wieder gefährdeten.

Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel

Die Ertragskraft des Bodens konnte mit Kunstdünger und Pflanzenschutzmitteln gewaltig verbessert werden. Verändertes Viehfutter verbesserte die Zuchterfolge und den Ertrag bei Milchprodukten und Fleischverkauf.

Die Gefahren von Pflanzenbefall und Seuchen vergrößern sich aber. Die Qualität der Erzeugnisse verfällt auf geradezu dramatische Weise, die Produkte können nur noch durch künstliche Nachbehandlung erhalten werden. Die Verbreitung und Übertragung von Krankheitskeimen über die Nahrung droht zum größten Problem der modernen Landwirtschaft zu werden.

Absatz- und Kreditsystem

Je stärker der Bauer gezwungen ist, sich auf bestimmte Produkte zu spezialisieren, desto mehr entfernt er sich vom Verbraucher und ist darauf angewiesen, dass seine Produkte über fremde Vertriebsketten an den Verbraucher gelangen. Auch wenn er formell selbständig bleibt, wandelt er sich immer stärker in einen Angestellten bzw. Lohnabhängigen.

Der Bauernhof kann immer weniger als autarke Einheit weiterleben und ist wie ein Industrieunternehmen von Zulieferern, Serviceunternehmen für die Wartung der technischen Geräte und Absatzgesellschaften abhängig. dass auch er immer mehr Kredite aufnehmen und abbezahlen muß, braucht kaum mehr betont zu werden.

Welthandel

Wie nie zuvor wurde der Welthandel für die Massenproduktion zur Lebensnotwendigkeit. Die Massenproduktion konnte nur in einem riesigen Land wie den USA entstehen. In allen anderen Ländern erforderte sie von Anfang an mindestens enge Wirtschaftskooperationen. Die großen Konzerne liefern in die ganze Welt und verteilen dann auch ihre Produktionsstandorte.

Transnationale Konzerne

Die Entstehung der Transnationalen Konzerne fällt im wesentlichen in die 50er Jahre. Ihr Hauptziel war, Anlagemärkte für das riesenhafte Kapital zu finden. Die heimischen Massenmärkte waren bald erschöpft und durchgreifende Umrüstungen der heimischen Industrie zu aufwendig. Daher lohnt es eher, im Ausland Kapital zu investieren. Diese Situation bestand in einem einmaligen Maß für fast sämtliche US-amerikanischen Konzerne nach dem 2. Weltkrieg. In einem weiteren Schritt wurden dann Entwicklung und Produktion gezielt auf mehrere Länder verteilt, um die jeweligen Vorteile der nationalen Wirtschaftspolitik nutzen zu können (Lohnkosten, Steuerunterschiede, Umweltauflagen, staatlichen Forschungszentren).

Spaltung des Weltmarkts

Noch in der vorangegangenen Epoche des Imperialismus diente der Welthandel vor allem dem Bezug notwendiger Rohstoffe. Diese Bedeutung ist insgesamt drastisch zurückgegangen. In der Großproduktion gelang es immer besser, Rohstoffe zu substituieren. Mit dem Sprung in der landwirtschaftlichen Produktivität wurde auch hier die Rohstoffabhängigkeit völlig beseitigt.

So spaltet sich der Weltmarkt in den Handel zwischen den Ballungszentren der Massenproduktion und den zurückbleibenden unterentwickelten Ländern, die im Falle von Afrika einen ganzen Kontinent umfassen können.

Neue Ausbildungsprofile

Waren anfangs überwiegend technische Kenntnisse (für die Ingenieure) gefragt, so nun mit der Ausbildung des Welthandels Fähigkeiten auf den Gebieten Fremdsprachen, Betriebswirtschaft und Rechtswesen, Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik, Kenntnisse und Verständnis für fremde Kulturen.

Wirtschaftsregulierung

Zins-, Geld- und Beschäftigungspolitik

Dies sind die klassischen Instrumente der Keynesianistischen Wirtschaftspolitik. Im Zentrum steht die Beschäftigungspolitik. In der langen Aufschwungphase (in den USA ab 1935, in Westeuropa ab 1945) wurde zwischen den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften ein langfristiger Tarifkompromiß gefunden, wonach die Lohnsteigerungen an die Steigerungen der Produktivität geknüpft sind. Die Tarifverträge werden rechtlich geregelt. Mit dem Aufbau des sozialen Netzes wurden zusätzliche Einkommenstransfers geschaffen, die zu einer weiteren Angleichung der Einkommen am Durchschnittsniveau führten. Individuelle Härtefälle konnten zu einem großen Teil ausgeglichen werden.

Geschick im Umgang mit den Behörden bis zum Betrug bei der Steuerzahlung und der Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen kann in vielen Fällen auf Dauer ebensoviel zum privaten Vermögen beitragen wie die eigene Arbeitsleistung. Ungleichheiten bei den Erbschaften wirken in dieselbe Richtung, indem derjenige übermäßig im Vorteil ist, der in gefragten Lagen in den Ballungszentren erbt im Vergleich zu denen, die aus rückständigen Gebieten kommen oder durch Kriegsfolgen enterbt waren.

Die Keynesianistische Beschäftigungspolitik einschließlich der sozialpolitischen und steuerlichen Komponenten (Lohn- und Erbsteuerrecht) hat damit im Ergebnis dahin geführt, dass die Arbeit ihre allein entscheidende Rolle für die Sicherung des Lebensunterhalts für die Lohnabhängigen verloren hat.

Die Zins- und Geldpolitik und sachlich benachbarte Gebiete wie die Rechtsregelungen bei Konkursverfahren haben in ähnlicher Weise für die Unternehmer zu mehr Sicherheit und Milderungen der Gefahren bei Risikoeinsätzen geführt. Die extrem angewachsene Abhängigkeit von den Banken durch die Massenproduktion wurde zum Teil ausgeglichen, indem der Staat über die Zins- und Geldpolitik die Handlungsleitlinien der Banken vorgibt. Die Möglichkeit der Gütertrennung bei Selbständigen und zahlreiche steuerliche Vorteile ermöglichten es ihnen, streng zwischen betrieblichem und privatem Vermögen zu unterscheiden und auch im Konkursfall in gehobenem Wohlstand weiter leben zu können. Kenntnis der Möglichkeiten zur rechtlichen Absicherung des privaten Vermögens ist damit für die meisten Selbständigen von ebenso großer Bedeutung geworden wie ihre geschäftlichen und unternehmerischen Fähigkeiten.

Nationalstaatliche Wirtschaftspolitik

Hierzu zählen Instrumente der Globalsteuerung wie Investitionszulagen in Krisensituationen, Steuerpolitik (Mehrwertsteuer, Gewerbesteuer etc.), Festlegung der Zölle, in Abstimmung mit der Zentralbank Festlegung der Währungskurse.

Gegenüber den weltweit agierenden transnationalen Konzernen und Banken wird diese Politik fast hoffnungslos. Daher ist absehbar, dass sie etwa im Rahmen der Europäischen Union zunehmend harmonisiert und angeglichen wird.

Infrastrukturpolitik (Verkehr, Bildung, staatliche Monopole)

Agrarsubvention, Bergbau und andere Subventionsempfänger, Energieunternehmen, Aufbau von Verkehrsträgern, Stadt- und Regionalpolitik, Postmonopol sind Beispiele, wo der Staat die großen industriellen Projekte des Keynesianismus fördert und steuert.

Übergang zum 5. Kondratieff-Zyklus

Zyklen der IT-Technologie

Bis heute gibt es unter den Ökonomen keine Einigkeit, wann der 5. Kondratieff-Zyklus begonnen hat. Aber wenn der Zusammenhang aller bisherigen Zyklen berücksichtigt wird, bleibt für mich das Jahr 1989 gültig, mit den üblichen Einschränkungen, einen Kondratieff-Zyklus auf genau ein Jahr festlegen zu wollen. Daraus ergibt sich als weitere Perspektive:

1989 – 2003 5. Kondratieff-Zyklus: Erholungsphase
2003 – ca. 2045 5. Kondratieff-Zyklus: Prosperität, Krise, Stagnation
ca. 2045 – ca. 2100 6. Kondratieff-Zyklus

Im wesentlichen stellt sich die Frage, wie die Geschichte der IT-Technologie einzuordnen ist. Zweifellos ist der Aufbau von vernetzten IT-Systemen und die Durchdringung aller Massengüter für Produktion und Konsum mit IT-Bausteinen eines der großen Projekte dieses Zyklus. Aber die IT-Technologie entsteht nicht völlig neu, sondern geht auf eine Tradition im vorangegangenen Zyklus zurück. Seit 1945 entwickelt sie sich in eigenen 10-jährigen Zyklen ("Generationen"), die sich im wesentlichen mit den normalen Konjunkturzyklen decken:

1943 – 1953 Pionierphase (Zuse, ENIAC)
1953 – 1963 Technische Projekte, Maschinensprachen (Assembler)
1963 – 1973 Kommerzielle Projekte (COBOL), Hochschulprojekte (ALGOL, Unix, Lisp)
1973 – 1983 Universalrechner (IBM), Datenbanksprachen (SQL, 4GL-Sprachen)
1983 – 1993 Personalcomputer (Apple, Microsoft, Intel)
1993 – 2003 weltweite Netzwerke (Internet, Mobilfunk)

Die ersten Rechner wurden schon 1945 gebaut, die wichtigsten Programmiersprachen und Betriebssysteme entstanden vor 1970, und kurz darauf setzte der Siegeszug von IBM ein. Die Einführung der Universalrechner trägt noch alle typischen Merkmale der Massenproduktion. Die EDV-Abteilungen waren hierarchisch gegliedert, unterstanden meistens den Finanzbereichen und teilten oft mit ihnen einen gewissen bürokratischen Charakter. EDV: Das war zu dieser Zeit entweder eine Variante des klassischen Ingenieurs oder des klassischen Buchhalters.

Die IT-Branche ist stolz auf ihre Innovationsfähigkeit und den schnellen Wechsel ihrer Technologien. Nur zu gern werden die Brüche der eigenen Geschichte geleugnet. 1983 - 1993 war aber eine äußerst kritische Phase. Anfangs sprach alle Welt davon, dass die IT sich zu einer übermächtigen Supertechnologie entwickeln würde. Die einen träumten von Künstlicher Intelligenz, mit deren Hilfe es möglich werden würde, alle Lebensbereiche der Technologie zu unterwerfen und schließlich auch die eigensten Gebiete wie die Programmierung an Maschinen delegieren zu können. Träger sollten neu zu entwickelnde "Supercomputer" sein und besonders Japan versprach sich, auf diesem Weg die Nachfolge der USA übernehmen zu können.

Dann gab es wieder Konzepte wie CIM (Computer Integrated Manufacturing), die schon heute 20 Jahre später fast keiner mehr kennt. Die Idee war einfach: Der Einsatz der Universalrechner in der Finanzbuchhaltung und Lagerwirtschaft sollte schrittweise im gleichen Stil auf alle Unternehmensabteilungen ausgedehnt werden. Natürlich wurde dies besonders von IBM und den anderen IT-Firmen propagiert, die den Erfolg von IBM wiederholen wollten. In gewisser Weise lebt diese Idee weiter in den integrierten Standardsoftware-Paketen von SAP und anderen.

All diese Ideen sind aber gescheitert oder wesentlich komplexer und langwieriger als erwartet. Der wahre Siegeszug der EDV ist ganz andere Wege gegangen: Inzwischen ist fast vergessen, welch schlechten Ruf die EDV noch um 1980 hatte, als Jobkiller und übermächtiges Werkzeug der Entfremdung und Kontrolle. Stattdessen wurde gegen die klassischen Konzerne der Keynesianistischen Epoche und zu ihrer großen Überraschung der Einsatz von Personalcomputern durchgesetzt, zunächst im Arbeitsleben und dann auch im Privatbereich. Mit einem Wort: Die 10 Jahre 1983 - 1993 markieren innerhalb der Entwicklung der IT-Technologie einen tiefen Bruch, der sehr gut den Übergang in einen neuen Kondratieff-Zyklus bestätigt.

Niemand hat das schon 1990 so deutlich gesehen wie Nefiodow, der eine klare und einfache Liste an Aufgaben für die IT-Technologie aufstellte. Statt neue große Ziele zu formulieren, waren (und sind es bis heute) ganz konkrete Punkte, die den Einsatz von IT-Geräten behinderten. Das waren die wirklichen Barrieren, die am Anfang des neuen Zyklus zu überwinden waren:

Gegenüber den großen Zielsetzungen etwa der Künstlichen Intelligenz wirkt das sicher ernüchternd. Tatsächlich vollzieht sich hier aber innerhalb der IT-Branche ein beispielhafter Wandel, der zu einem völlig neuen Verständnis von Technologie, Anwendbarkeit, Mobilität und damit den Inhalten und Gestaltungsweisen der Arbeit führen kann. Der Preisverfall, die universelle Einsatzbarkeit und vielleicht auch einmal die einfache, fast spielerische Bedienbarkeit könnte Maßstäbe setzen für eine allgemeinere Entwicklung, die dann prägend für den 5. Kondratieff-Zyklus sein kann.

Bedingungen des 5. Kondratieff-Zyklus

Natürlich wäre es viel zu kurz gegriffen, den 5. Kondratieff-Zyklus mit der Einführung neuer IT-Technologien gleichzusetzen. Zahlreiche Probleme liegen viel tiefer. Ausgehend von der Frage, warum die 1980 gestarteten großen IT-Projekte erfolglos blieben und welche Rahmenbedingungen geändert werden müssen, hat Nefiodow 1990 eine weitere Liste an Aufgaben zusammengestellt, die sich ebenfalls verblüffend bestätigt hat:

Während es 1990 – 2000 in den außenpolitischen und weltwirtschaftlichen Prozessen spektakuläre Änderungen gegeben hat, erweisen sich Änderungen der Staatstätigkeit in allen anderen Gebieten als überaus schwerfällig (Subventionspolitik, neues Verhältnis zu großen und kleinen Firmen, Bildung). Insbesondere sind die Aufgaben in der Bildungspolitik weit größer und schwieriger als gedacht und stellen eine der größten Herausforderungen des neuen Zyklus dar.

Das hat Nefiodow veranlaßt, seine frühere Datierung aufzugeben und nun für die Lösung der Aufgaben im Bildungssystem einen eigenen 6. Zyklus zu proklamieren. Damit verlässt er den eigenen so erfolgreichen früheren Ansatz. Dagegen möchte ich einfach die These stellen: Der 5. Kondratieff-Zyklus muß nicht nur die zurecht angeführten politischen Themen bewältigen, sondern das Erbe des Keynesianismus in Angriff nehmen. Wenn nach den Ursachen etwa des Scheiterns der Projekte der Künstlichen Intelligenz gefragt wird, reicht es nicht aus, z.B. eine internationale Kooperation zu verlangen, um doch noch dies Ziel zu erreichen. Sondern es ist zu fragen, wie überhaupt ein solches Ziel hat formuliert werden können. Nicht ein besserer Weg oder andere Umstände sind das Problem, wie Nefiodow implizit nahelegt, sondern das Ziel selbst und die vorausgesetzten Methoden.

Langfristige Perspektiven des 5. Kondratieff-Zyklus

Langfristiger Preiszyklus

Ein neuer Kondratieff-Zyklus bringt immer eine kräftige Deflation mit sich, da alte Technologien entwertet werden. Während es 1973 einen Schock durch eine Ölpreiserhöhung gab, fielen die Ölpreise ab 1989 deutlich. Und heute, im Jahr 2000, ist keineswegs sicher, dass die Deflation abgeschlossen ist. Die Deflationskrise in Japan und Ostasien von 1998 kann sich durchaus in USA (und Europa) in größerem Stil wiederholen. Die Aktien sind extrem überbewertet. Das gilt wahrscheinlich auch für andere Bereiche der Geldanlage wie Immobilien. Möglicherweise wird es zu einem Kurseinbruch kommen, wenn die Erholungsphase des neuen Kondratieff-Zyklus in die Krise gerät, womit ungefähr im Jahr 2003 zu rechnen ist. Ende 1998 wurde diese Gefahr für kurze Zeit unter dem Eindruck der Krise in Ostasien gesehen, dann aber angesichts des unerwartet langen Aufschwungs in den USA und des zu erwartenden Aufschwungs in Westeuropa wieder aus den Augen verloren.

Im Grunde stellt sich viel grundsätzlicher die Frage, wann der langfristige Inflationstrend seit 1900 zu Ende geht. Das macht alle Voraussagen über die weitere Entwicklung so schwierig. Seine Grundlage war eindeutig das stets wachsende Gewicht des fixen Kapitals in der Massenproduktion, wodurch erst die großen Konzerne, dann die Konsumenten und Bauern und schließlich der Staat in tiefe Verschuldung gerieten. Es könnte sein, dass die deflationären Entwicklungen seit 1993 der Beginn einer längeren Phase der Preisstabilität sind. Das wäre auf Dauer sicher sehr günstig und könnte das Anzeichen für den Beginn einer optimistischen Epoche sein, vergleichbar der Entstehung der Städte 1100, der Renaissance 1400, der Aufklärung 1700. Auch damals waren Zeiten extremer Gewaltausbrüche vorangegangen. Alles kommt in den nächsten Jahren darauf an, einen sicheren Weg durch die Deflation zu finden.

Stoffliche Grundlage der zu erwartenden Deflation ist, dass weltweit ungeheure industrielle Überkapazitäten aufgebaut wurden und mit dem zu erwartenden Einsatz neuer Werkstoffe und Prozeßtechnologien massiv entwertet zu werden drohen. Neue Industriestaaten wie China, Indien und möglicherweise südamerikanische Länder, Südafrika und der Nahe Osten werden in einer ersten Phase die Überkapazitäten in der Industrie sogar noch weiter aufbauen. In einer zweiten Welle werden nach den Investitionsgütern auch die Konsumgüter und die Landwirtschaft erfaßt werden. Diese Länder werden etwa bei der Ausstattung mit Privat-PKWs, der Motorisierung der Landwirtschaft usw. nachziehen wollen. Mit einem Wort: Sie machen sich auf den Weg, die zweifelhaften Errungenschaften des Keynesianismus nachzuholen.

Aber dieser neue Schub an Industrialisierung verbunden mit der Gefahr weiterer Überkapazitäten (von Umweltfragen ganz zu schweigen) wird bereits gekreuzt werden von der neuen Tendenz, die alten industriellen Dinosaurier abzulösen durch flexiblere, kleinere Produkte. Was die IT vormacht, wo sie Großrechner durch vernetzte kleinere Systeme ersetzt, wird sich auf allen anderen Gebieten wiederholen: Neue Formen des Produzierens, der Kommunikation, des Verkehrs und des Wohnens. Es lohnt nicht, an dieser Stelle darüber zu spekulieren, wie das im einzelnen aussehen kann. Jedenfalls gibt es genug Ideen, die zentralisierten und häufig äußerst ineffizient genutzten Systeme der Infrastruktur umzuwälzen.

Dieser Prozeß wird bestimmt nicht einfach werden. Mit einem Mal werden nicht nur Industrieunternehmen, sondern auch Privatbesitzer und Bauern auf den Halden von Altlasten sitzen, die in der Phase des Keynesianismus angehäuft wurden. Der Werteverfall (Deflation) wird die verschiedenen Individuen höchst unterschiedlich treffen, und es wird eine große gesellschaftliche Aufgabe werden, Übergangswege zu finden und mit dem Problem der extrem hohen Verschuldung aus den Zeiten des Keynesianismus fertig zu werden.

Industrialisierung

Die Frage des aktuellen Preistrends führt zurück zur Frage der Industrialisierung. Die ersten 4 Kondratieff-Zyklen von 1790 - 1990 waren deutlich von der Industrialisierung geprägt, bzw. umgekehrt gesagt der Verdrängung der Landwirtschaft. Seit der Krise 1973 stagniert die Industrieproduktion und ihr Anteil an der gesamtgesellschaftlichen Arbeit ist klar rückläufig. Damit ist eine 200-jährige Entwicklung in eine neue Phase getreten, und es ist die Frage, ob die Zeit 1965 – 1989 bereits als die epochale Krise der Industrialisierung angesehen werden kann, oder aber, ob diese Krise noch bevorsteht. Denkbar wäre, entsprechend den früheren langfristigen Preiszyklen einen Industrialisierungszyklus von 300 Jahren von 1800 – 2100 zu vermuten, der 1950 seinen Höhepunkt erreicht hatte, insgesamt im 20. Jahrhundert seine Krise durchlebte und nun zu seinem Abschluß kommt in den zu erwartenden zwei Kondratieff-Zyklen bis 2100.

Lebensformen und Destruktivität

Der Niedergang des Keynesianismus hat zu einer weltweiten Herausbildung von Destruktivität geführt (Gewalt, Kriminalität, Terrorismus, Drogen, Umweltzerstörung, Energieverschwendung, Militär, Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, körperliche und seelische Krankheiten, Zerfall alter sozialer Beziehungen insbesondere der Familie). Nur durch zwei Weltkriege hatte sich der Keynesianismus durchsetzen können, hat inzwischen die Waffenarsenale in zahlreichen Ländern bis zum Bersten gefüllt, und an allen Ecken und Enden drohen jederzeit unberechenbare Konflikte. Das ist das Umfeld, in dem sich der 5. Kondratieff-Zyklus bewähren muß und der zahlreiche Autoren wie z.B. Hobsbawm in tiefen Pessimismus geführt hat.

Es erscheint zu kurz gegriffen, hier nur eine Krise des Bildungssystems zu sehen, vielmehr sind alle Fragen des Alltags und täglichen Lebens betroffen. An dieser Stelle soll jedoch bewußt nur eine Frage herausgegriffen werden: Die Ausgangsfrage nach den Methoden der Mathematik.

Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie

Wirtschaftsmathematik Zur Steuerung von Massenproduktion, Massenkonsum und der Keynesianistischen Wirtschaftspolitik waren die Methoden der Wirtschaftsmathematik zweifellos geeignet und ausreichend. Auch für die industrielle Produktionssteuerung genügten einfache mathematische logistische Modelle und Netzwerkentwürfe. Kompliziertere Berechnungen wurden nur gelegentlich in der Produktentwicklung angewandt (etwa bei Berechnungen von aerodynamischen Strömungsverhältnissen von Flugzeugen und Autos), aber nicht bei der Fertigungssteuerung. Dort waren im Prinzip relativ einfache Ablaufketten zur Steuerung von Produktionsleitsystemen und an der Lagerhaltung orientierte Bewirtschaftungssysteme ausreichend.

Diese Art von Mathematik war die Kehrseite der zunehmenden Verarmung der Arbeit und schließlich auch des Konsumverhaltens. Es zählt nur, "was sich rechnet".

Die Ergebnisse werden präsentiert in Tabellenwerken, Listen und Gesamtrechnungen. Seit den Arbeiten und warnenden Aufrufen des Club of Rome von 1971 gibt es verschiedene Versuche, Rückkoppelungsprozesse und Wechselwirkungen zu erfassen. Aus der Mathematik werden Methoden der nicht-linearen Gleichungen und der Katastrophentheorie eingesetzt. Andere Ansatzpunkt ergeben sich aus der Entwicklung der Computer-Technologie: Petri-Netze (zum Studium von drohenden Deadlocks), Methoden Unsicheren Wissens (Dynamik vernetzten Wissens, Unscharfes Schließen, Mustererkennung in neuronalen Netzen). Es ist aber ganz deutlich, dass bis jetzt noch keine wirklichen Lösungen gefunden sind.

Produktivität der Informatik Nichts zeigt die Sackgasse der vergangenen Jahrzehnte so deutlich wie der Stillstand der Produktivität in der Software-Produktion. Obwohl in der zweiten Hälfte des 4. Kondratieff-Zyklus die meisten Innovationen und größten Preissenkungen zweifellos aus der IT-Branche kamen, ist es in ihrem eigenen Bereich nie gelungen, die Produktivität zu erhöhen. Alle Untersuchungen bestätigen, dass es seit 1965, d.h. seit der Einführung von Programmiersprachen wie COBOL und ALGOL keinen Fortschritt gegeben hat. Eine schier unendliche Literatur über Projektmanagement, Projektmodelle, Methoden normierten und strukturierten Programmierens, Verbot des "goto"-Befehls, Objektorientierung, Nutzung von Standardbausteinen, vorgegebenen Programm-Rahmen und Programm-Mustern, automatischer Generierung von Programmcode, Werkzeugen (Tools) zur Programmdokumentation haben an der festgefahrenen Situation nichts ändern können. Wellenartig wechseln sich die Moden ab, und weder die Einführung von Standardsoftware noch akademische Versuche für bessere Modellbildung haben im Ergebnis irgendwelche Kosten senken können.

Die Realität sieht viel banaler aus. Michael Neubauer, stellvertretender Geschäftsführer eines kommunalen Rechenzentrums, hat sie auf einer IT-Veranstaltung treffend zusammengefaßt:

Der Arbeitsmarkt reagiert mit der gleichen Verunsicherung. Mal wird der Bedarf an IT-Beschäftigten gewaltig unterschätzt und dann wieder überschätzt. Nirgends zählt kurzzeitiges Wissen so viel wie in der IT. Nirgends ist die Altersgrenze bei Neueinstellungen so niedrig wie hier. Das ist natürlich zu einem gewissen Teil damit begründet, die hohe Leistungsbereitschaft und das große technische Interesse der 20- bis 35-jährigen abzuschöpfen, aber eben auch darin, dass alle Versuche aufgegeben wurden, in der IT eine durchgreifende und langfristige Verbesserung der Arbeitsproduktivität zu erreichen.

So ist keineswegs nur die Frage des Bildungssystems eine große Aufgabe der nächsten Zeit. Sondern nach ihren beeindruckenden Erfolgen, was die Entwicklung neuer und billigerer Produkte betrifft, wird die IT-Branche die spannende Aufgabe haben, zum Vorreiter zu werden, was die Entwicklung der Arbeitsmethoden und -techniken betrifft.

In keinem Bereich wird es dabei bleiben können, dass die Arbeit wie in den Zeiten des Keynesianismus bei der bloßen Verwaltung des fixen Kapitals stehen bleibt, sei es in der Arbeitsweise der Ingenieure oder in den Verwaltungen. Vielmehr sind in einem völlig veränderten Umfeld die "Tugenden" der Ingenieure früherer Zeiten wieder gefragt.

Wahrscheinlichkeitstheorie Theoretische Grundlage der Statistik ist die Wahrscheinlichkeitstheorie. Ihre Anfänge gehen auf Pascal und Leibniz zurück, d.h. die wissenschaftliche Revolution nach 1600. Seit Abstreifen allen spekulativen und "magischen" Denkens und seit Scheitern aller großen Entwürfe, die Vielfalt der naturwissenschaftlichen Ergebnisse auf einfache Ideen zurückzuführen, zählt nur noch das "Gesetz der großen Zahlen". Das gilt für industrielle Forschung ebenso wie für die Hochschulforschung. Experimente werden möglichst so oft wiederholt, bis sich ein Gesetz der Serie ergibt. Damit ist zwar der Vorgang nicht verstanden, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er sich immer auf die gleiche Weise wiederholen wird, gilt als groß genug. Solange das Experiment noch nicht die gewünschten Resultate liefert, werden so lange einzelne Parameter (z.B. Temperatur, Energie, mögliche Katalysatoren) variiert, bis die Zielvorstellung ausreichend angenähert ist. Unter diesen Bedingungen wird es so lange wiederholt, bis es sicher erscheint.

Im Grunde handelt es sich um eine neue Glaubensaussage. Anstatt an die Einmaligkeit und Einzigartigkeit einer Situation zu glauben, wird an die ständige Wiederholbarkeit geglaubt.

Die Forschung muß wieder offener werden für Stimmen aus anderen "Lagern". Es ist nicht nur ein Problem, dass die Inhalte der Arbeit anderen kaum mehr vermittelt werden können, sondern auch, dass sie sich gegen die Erfahrungen anderer abschließen. Das Arbeitsgebiet erscheint rein technisch bestimmt, und wer sich nicht auf den vorgegebenen technischen Rahmen einlässt, wird nicht gehört und scheint nicht mitreden zu können.

Ein Beispiel für eine andere Herangehensweise ist die bereits 1970 erschienene Arbeit "Zahl und Zeit" von Marie-Louise Franz, einer Schülerin von C.G. Jung. Sie schreibt: "Unsere Überschätzung der Statistik und Wahrscheinlichkeit entspringt einer inflatorischen Identifizierung mit jener archetypischen Macht, 'die alles zählen kann'." (S. 193) Dies ist der einzige Glaube, der übrig geblieben ist, nachdem sämtliche Religionen und Mythologien als durchschaut gelten. Er ist so selbstverständlich geworden, dass er gar nicht mehr wahrgenommen wird und schon allein Begriffe wie Glaube, Identifizierung und Macht höchstens Unverständnis und Kopfschütteln hervorrufen. An anderer Stelle wird gezeigt, wie er ursprünglich aus dem platonischen Denken hervorgeht.

Die Wahrscheinlichkeitstheorie ist besser als jeder andere Totalitarismus gegen alle Kritik abgeschirmt. Kommt es zu Fehlern oder Abweichungen gegenüber der Vorhersage, muß lediglich ein neuer Zyklus von Experimenten mit geänderten Bedingungen begonnen werden.

Franz stellt plakativ die früheren magischen Techniken dagegen, von denen diese Entwicklung hatte befreien sollen:

"In gewissem Sinn suchte die Menschheit auch mit der Technik des Zahlenorakels eine subjektiv-psychologische Wahrscheinlichkeit zu ergründen; was jedoch die quantenphysikalische Wahrscheinlichkeitsrechnung und das ihr zugeordnete Experiment von einem 'Orakel' unterscheidet, ist die besonders hochzahlige Wiederholung der 'Würfe', durch welche der Zufallsfaktor auf sin kleinstes Ausmaß gedrängt werden soll. Im divinatorischen Orakel (z.B. im I Ging) hingegen wird der einmalige Zufallswurf zum Zentrum und Ausgangspunkt der Überlegungen gemacht. Das Experiment ist zeitlich vielmalig und dient zur Fixierung eines isolierten Universumsausschnittes, das Orakel ist zeitlich einmalig und dient der Erfassung einer möglichst weitgefaßten Einheit alles Kontingenten." (Franz, S. 197)

Eine einfache Rückkehr in die scheinbar heile Welt vor der Industrialisierung ist natürlich nicht möglich. Und es ist auch nicht möglich, nun abstrakt die Ergebnisse zukünftiger Arbeit und Forschung vorweg zu nehmen. Weder lassen sich die neuen Formen des Arbeitens und Wohnens ausmalen, wie sie in der Zukunft möglich sein werden, noch die veränderten Methoden und Inhalte der Mathematik. Die Beispiele der Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie und der Blick auf die Arbeitssituation in der IT sollen hier erst einmal nur dazu dienen, einige Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen, die den Weg in die Zukunft zu blockieren drohen.

1996 – 2000

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