Walter Tydecks

 

Yves Prin: Tango Fusion (2000)

Was der Ländler, Walzer oder Blues in vergangenen Zeiten waren, ist seit den 1990er Jahren der Tango. Da sind mehr Körpereinsatz, Sexualität und Direktheit im Spiel, und zugleich - wachsende Ängste vor Verlassenheit, Fremdheit und Selbstzerstörung.

Was geschehen kann, wenn dieser Impuls auf eine bereits ergrauende Avantgarde trifft, ist auf der CD "Plus que Tango" von Elisabeth Chojnacka zu hören. Das Cover mag auf den ersten Blick in die Rubrik "Sex sells" passen, zeigt aber auch die Angestrengtheit, denen sich der zeitgemäße Mensch konfrontiert sieht, will er mithalten können. - Bei der Suche nach dem Cover im Internet muss ich feststellen, dass die CD offenbar vergriffen und nur noch bei exotischen Händlern zu erhalten.

Damit kein Missverständnis entsteht: Die meisten Titel sind sehr gut zu hören. Im Mittelpunkt steht "Tango Fusion" von Yves Prin, einem 1933 geborenen Komponisten, der u.a. 1968 - 69 Assistent von Bruno Maderna am Mozarteum in Salzburg war. Seither arbeitete er als Dirigent und inzwischen ausschließlich als Komponist und war z.B. 1978 Teilnehmer am ersten Komponistenkurs an den IRCAM-Studios in Paris.

Von ihm gibt es eine sehr gute Einführung:

"Dieses Stück entstand auf Anfrage von Elisabeth Chojnacka, um ihr Programm Cembalo plus zu bereichern. Yves Prin führt hier zu Ehren der untrennbar miteinander verbundenen Götter Eros und Tanatos das Cembalo und das Bandoneon zusammen. Für Yves Prin bestand die Herausforderung nicht nur darin, ein Werk in seiner eigenen Sprache zu schaffen, sondern zusätzlich alle Elemente des Tangos, - Takt, Rhythmus, melodische Brücke, etc. - darin zu integrieren. Es ließ sich beinahe nicht vermeiden, dass der Geist von Astor Piazzola darüber schwebt.

Am Beginn des Stückes tauschen die beiden Instrumente unentwegt ihre Rollen und begleiten sich gegenseitig. Der Komponist unterscheidet drei Teile, der Zuhörer wird aber eher zwei große Hälften erkennen. Der erste Teil besteht aus einer langen Introduktion und führt allmählich zum Hauptthema. Dann folgt eine zweite Idee, die volkstümlichen Ursprungs und von Sehnsucht erfüllt ist. Der Tanz steigert sich zu einem absoluten Höhepunkt, der zugleich zerstörerisch und befreiend ist. Das ist die erste durch den Titel angekündigte 'Fusion', die Verschmelzung zweier Körper, zweier Kulturen und zweierlei Musik. Es folgt eine plötzliche Entspannung. Der zweite Teil beginnt mit einer langsamen und schmerzerfüllten Melodie des Cembalos (ausschließlich mit Lautenzug), die allmählich die lebensnotwendige Spannung wiederfindet für den dritten Teil, der dann in einer entfesselten Raserei zur endgültigen Verschmelzung führt." Quelle

Kaum ein Musikstück regt so die Phantasie an wie dieses, und ich verbinde eine ganz andere Erzählung von Assoziationen damit. Es gehört zum Reiz dieses Stücks, dass es bittere Erfahrungen in der eigenen Biographie anzurühren vermag, aber auf eine Art, die helfen kann, mit sich selbst und den eigenen dunklen Seiten ins Reine zu kommen. Aber das ist sicher ein sehr subjektiver Eindruck, den jeder anders sehen mag.

Fotos von Elisabeth Chojnacka bei GoogleBilder

Über Elisabeth Chojnacka ist nicht viel zu sagen, sie ist einfach die Interpretin moderner Cembalomusik. Bisweilen lässt sie aber auch ihrer ursprünglichen Ausbildung für klassische Cembalowerke freien Lauf, selbst wer solche Musik nicht mag, sollte Freude an ihrer Kunst gewinnen können.

"Tango Fusion" höre ich immer gemeinsam mit den beiden folgenden Stücken "Tango for Tim" von Michael Nyman (dem ich sonst durchaus skeptisch gegenüberstehe) und dem wunderbaren "Tango du coiffeur" von Jean Wiener.

© tydecks.info 2006 - Erstveröffentlichung im Tamino-Klassikforum, Juli 2005