Inhaltsverzeichnis
Leidenszeit in der Irrenanstalt
Sinfonie Nr. 2 C-Dur
Kranke Musik
Das Violinkonzert d-Moll
Gesänge der Frühe, op. 133
Schumann aus der Sicht von Nietzsche
Beklemmende Stimmen - die "Geister-Variationen"
Schumanns Kinder
Vogel als Prophet - "Waldszenen" op. 82 Nr. 7
Literaturhinweise
Gibt es eine andere Biographie der Musikgeschichte, die so umstritten ist? Bis heute stehen sich zwei Parteien unversöhnlich gegenüber: die einen wollen bis in die letzten Einzelheiten das Verhalten von Schumanns Umkreis und seiner Ärzte rechtfertigen, als gelte es den Ruf der eigenen Familie zu wahren. Andere sehen hier einen einzigartigen Fall von Grausamkeit gegenüber einem anerkannten Komponisten, der seither wie ein schwarzer Schatten auf der neueren Geschichte der deutschen Musik liegt. Wenn den Berichten von Eva Weissweiler zu trauen ist, wird mit harten Bandagen gekämpft. An zahlreichen Vertuschungsversuchen ist kaum mehr zu zweifeln. Je härter die Fronten wurden, desto stärker wurde der Druck auf alle Musikwissenschaftler, fast ein Bekenntnis abzulegen, sofern sie sich überhaupt zu dieser Frage äußern wollen.
Wer zum ersten Mal etwas davon hört, kann einfach nicht glauben, wie sehr Robert in der Irrenanstalt gelitten hat und wie extrem er dort von Clara und allen früheren Freunden isoliert wurde bis er buchstäblich verschimmelte. Von 1830 bis 1853 hatte er eine führende Rolle im deutschen Musikleben gespielt, und dann war er von heute auf morgen wie lebendig begraben. Die tiefe Krise in seinem Leben mit Selbstmordversuch und dem Wunsch, vorübergehend in eine Irrenanstalt zu gehen, nur auf persönliche Probleme zurückzuführen, - etwa sein Versagen als Dirigent in Düsseldorf, oder Spleens wie das Stühlerücken, die zeitlebens immer wiederkehrenden Depressionen und akustischen Halluzinationen -, weicht der Frage aus, mit welcher Gefühlskälte in diesen Jahren die Professionalisierung und Akademisierung der deutschen Musik eingeleitet und derjenige ausgegrenzt wurde, der nun nach 1848 unzeitgemäß geworden schien. Das ist die These zum Verhältnis von Musik, Politik und Krankheit. Ein erster Brief von Clara nach über 5 Monaten (noch nicht einmal über die Geburt des Sohnes Felix im Juni 1854 wurde er informiert), ein erster Besuch durch Joseph Joachim nach 9 Monaten, nie kamen die Kinder, und Clara erst am Tag, als die Ärzte ihr den unmittelbar bevorstehenden Tod mitteilten, und das, obwohl er in Bonn keineswegs weit entfernt von Düsseldorf untergebracht war, wo das Leben in aller Geselligkeit wie gewohnt weiter ging.
Ansonsten wurde in diesen Jahren von denen, die er selbst als Bahnbereiter begrüßt hatte, ein neues Ideal für die Musik geschaffen, und an deren Beginn stand die Abwendung zuerst gegen Robert als Person und dann gegen seine Spätwerke. Claras Konzerttourneen, Brahms' Werke und nicht zuletzt sein "Deutsches Requiem" sowie Joachims Tätigkeit in Berlin haben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Ideal bürgerlicher Musikkultur in Deutschland begründet, das seither so stark in das Bewußtsein aller Musikliebhaber eingedrungen ist, dass Schumanns letzte Lebensjahre als Schicksalsschlag, als Krankheit, wie sie viele Genies im 19. Jahrhundert getroffen hat, möglicherweise als Ehedrama angesehen wird. Im Grunde will sich niemand näher damit beschäftigen, und wer das doch tut, der sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, er würde andere oder gar seine eigenen Probleme in das Leiden Schumanns projizieren.
Vielleicht ist es sogar in gewisser Weise wahr, dass nur jemand für Schumanns Zeit in der Irrenanstalt Verständnis aufbringen kann, der aus eigener Erfahrung das Leiden an der bürgerlichen Harmonie kennt. Denn muss nicht die Härte, wie mit Schumann umgegangen wurde, und mit welcher Selbstverständlichkeit das bis heute in fast allen Biographien verharmlost oder gar gerechtfertigt wird, wie eine Drohung auf jeden wirken, dem es nicht gelingt, sich in der bürgerlichen Welt zurecht zu finden und sich auf eine Art und Weise wie alle anderen glücklich und wohl zu fühlen? War nicht eher seine Umgebung krank, die ihn so behandelt hat, allen voran die Ärzte und Wärter, ohne Mitgefühl und ohne ihm auch nur irgendeine Chance für einen Ausweg zu geben?
Jedenfalls muss zu denken geben, wie sorgfältig alle wichtigen Spuren getilgt wurden. Schumanns Briefe an Clara sind ab dem Jahr 1851 vernichtet oder nicht zugänglich. 1887 gaben sich Clara und Brahms ihre Briefe zurück und haben sie in großen Teilen verbrannt (Clara) oder im Rhein versenkt (Brahms). Clara schrieb dazu in ihrem Tagebuch:
"Ich fand sie, was die Gefühläußerungen betrifft, sehr monoton, lauter Klagelieder, die wohl gerechtfertigt waren durch das schwere Schicksal, die ich aber nie der Öffentlichkeit preisgegeben sehen möchte. Nicht ohne große Erregung lebte ich in diesen Briefen die ganze Vergangenheit seit Roberts Krankheit wieder durch ...". (Litzmann, Bd. 3, S. 490)
Auch diese Tagebücher - ohnehin oft mehr im Blick auf die Kinder und die Nachwelt geschrieben, denn als offenes Selbstgespräch - wurden vernichtet, nachdem Litzmann nur die Passagen zitieren durfte, die die Kontrolle der über das Ansehen ihrer Mutter wachenden Tochter Marie passiert hatten. Der Aufnahmebericht mit der Anamnese fehlt bis heute, ebenso alle regelmäßigen Berichte der Ärzte an Clara. Von dem Ärztetagebuch sind die wichtigen Teile über das erste halbe Jahr in der Irrenanstalt abhanden gekommen. Angeblich wurden von sowjetischen Soldaten in den Kriegswirren 1945 ausgerechnet die Teile geplündert, die fast bis auf den Tag genau über die Zeit handeln, als niemand an Schumann Briefe schrieb. Ist schwer zu verstehen, warum Schumann vom "Untergang Düsseldorfs" sprach (Krankenbericht vom 8.9.1854)? Da Schumann in eine Privatklinik eingeliefert wurde, gibt es keine anderen Berichte als von den behandelnden Ärzten. In den über 2 Jahren in Endenich ist er 5 mal von Joachim, 6 mal von Brahms und an den letzten 3 Tagen von Clara und Brahms besucht worden. Außer ihnen hat ihn ein einziges Mal Bettina von Arnim mit ihrer Tochter besucht. Sie sprach sich im Anschluss deutlich für eine Entlassung aus, ohne sich jedoch intensiver dafür einzusetzen. Andere Zeugen gibt es nicht.
Immer wieder wird gesagt, die Ärzte hätten Clara abgeraten oder gar verboten, dass sie oder ihre Kinder Robert besuchen. Die entsprechenden Briefe sind aber nicht mehr vorhanden. Aus ihren eigenen Briefen ist nur belegt, dass die Ärzte einen Besuch erst dann zulassen wollten, wenn der Patient dies ausdrücklich wünscht (Clara am 17.8.1854 an Verhulst). Auch als Robert dies deutlich wünschte, spätestens Anfang 1855, ist Clara jedoch nicht zu ihm gefahren. Stattdessen ist sie dagegen eingeschritten, dass frühere Freunde wie Wasielewski ihn besuchen (siehe den Brief von Joachim an Brahms vom 15.5.1855) und untersagte ihrer Tochter Marie, Schumann zu schreiben, dass sie in Köln, also in seiner Nähe untergebracht war (Brief an Marie vom 7.6.1855). Als Rechtfertigung dient meist, Schumann solle vor unnötigen Aufregungen geschützt werden und keinen schlechten Eindruck auf Dritte machen. Als ihn dann aber Bettina von Arnim im April 1855 besuchen konnte, war der Eindruck keineswegs negativ, im Gegenteil.
Seit 2006 sind die erhaltenen Krankenberichte vollständig veröffentlicht, ergänzt um alle Briefe aus dieser Zeit. Was dort steht, spricht für sich. Anfangs hat er vielleicht wirklich in der Einlieferung in die Irrenanstalt eine Flucht aus dem missglückten Familienleben und Hilfe vor den ihn überwältigenden akustischen Halluzinationen gesehen. An den Tagen zwischen dem Selbstmordversuch und der Fahrt in die Irrenanstalt am 4.3.1854 (Brahms war einen Tag zuvor nach Düsseldorf gekommen) bestand er darauf, seine Frau dürfe ihn in der eigenen Wohnung, in der er sich betreut von Ärzten aufhielt, nicht besuchen. Sie begleitete ihn auch nicht nach Endenich, sondern schickte stattdessen ihre Mutter dorthin. Später hat er aber offenbar immer stärker wahrnehmen müssen, wie er dort von der Welt abgeschnitten wie in einem Gefängnis lebte. Nicht einmal zu seinem Geburtstag meldete sich jemand. Die eigenen Kinder durften nie zu ihm.
Weihnachten 1854 kam mit Joseph Joachim der erste Besuch. Das hat ihm offenbar völlig die Augen geöffnet über seine Lage. Er beginnt sich über die Fontanelle zu beschweren (die künstliche Erzeugung eines Hautgeschwürs, um den Körper zu entgiften), akzeptiert nicht mehr das respektlose Verhalten der Wärter ihm gegenüber und versucht, sein Leben zu normalisieren. "Sagte bei der Abendvisite er sey gesund her gekommen. hier aber krank geworden." (Krankenbericht 27.4.55, S. 261) Er komponiert wieder und nimmt Schriftverkehr zu den Verlagen auf.
Für Clara und die Kinder hat er Joachim keine Geschenke mitgegeben, was sie tief enttäuschen musste. Den 29.12.1854 bringt sie "fast ausschließlich mit Ordnen und Verbrennen vieler Briefe zu, wobei Johannes mir treulich half! Ihm macht das Verbrennen freude, das 'sich krümmen' so mancher Namen!" (Litzmann, Bd. 2, S. 361). Am 1.1.1855 wird Felix getauft, Brahms ist einer der Paten. Trotz aller Aktivitäten leidet Schumann immer wieder unter Angstanfällen. Im Tagebuch wird aus einem verschollenen Brief vom 22.1.1855 zitiert: "Meine Clara, mir ist, als stünde mir etwas Fürchterliches bevor. Sehe ich Dich und die Kinder nicht mehr, wie weh!" (Litzmann, Bd. 2, S. 203). Doch Brahms sagt einen für den 30.1.1855 geplanten Besuch kurzfristig wieder ab. Wasielewski besucht ihn auf Wunsch von Clara nicht.
Als Clara immer deutlicher von Roberts Wunsch hört, wieder entlassen zu werden, schreibt sie am 6.4.1855 dem behandelnden Arzt Dr. Peters:
"Hart ist's mir, das können Sie Sich denken, daß er sich so unglücklich fühlt, immer schreibt, ich solle Ihn fort holen ect: ect: (...) Ich fürchte so sehr, daß mein Mann vorzeitig auf eine Aenderung seines Aufenthaltes dringt, und das wäre doch sehr schlimm, gerade jetzt, wo ich so gern das Frühjahr noch recht mit all seinem Balsam auf Ihn einwirken lassen möchte in Ruhe!"
Bei der Einlieferung galt als Krankheit Melancholie. Davon ist in den Krankenberichten jedoch ausschließlich am 25.12.1854 (einen Tag nach dem ersten Besuch durch Joachim) und am 12.9.1855, dem Hochzeitstag, die Rede. Ist das schwer zu verstehen? Stattdessen begründen die ärztlichen Berichte seine Krankheit in erster Linie mit seiner schwindenden Sprachfähigkeit. Aber ist nicht auch das zu verstehen, wenn jemand so radikal aus einem Leben in der Öffentlichkeit abgesperrt wurde? (Das spürte auch Clara, siehe ihren Brief vom 16.5.1855 an den Arzt Dr. Peters.) Auf Wunsch von Brahms wurden ihm alle Zeitungen vorenthalten, die über Claras Konzerte oder Konzerte mit seinen Werken schrieben (siehe die Briefe von Brahms an Clara vom 15. und 16.12.1854, wo er "strengste Zeitungszensur" fordert). Als Schumann wieder mit den Verlagen verhandelt, möchte Brahms ihm das aus der Hand genommen wissen (siehe seinen Brief an Clara vom 14.3.1855).
Statt sich über positive Anzeichen einer Gesundung zu freuen, wurde alles dem einmal gefassten Urteil über seine Krankheit untergeordnet. Litzmann hat seine Biographie von Clara Schumann nach deren Tod im Auftrag ihrer Tochter 1902-08 veröffentlicht und wurde von ihr ständig kontrolliert. Sicher hat er aber zutreffend wiedergegeben, wie im nachhinein die Rechtfertigungen weiter gegeben wurden. Ein Beispiel:
"Es ist wahr, daß in späteren Briefen, und besonders in denen an Brahms und Joachim, die geistigen Interessen, und vor allem auch eine eindringlichere Beschäftigung mit seinen eignen und den Kompositionen der Freunde, mehr und mehr aufzuleben scheinen. Aber es ist doch immer nur wie ein Gnadengeschenk, wie ein flüchtiger letzter Sonnenstrahl, der, durch die Wolken brechend, noch einmal trügerisch von einem Tage Kunde gibt, der hinter den Wolken auch schon zur Ruhe geht." (Litzmann, Bd. 2, S. 333)
Bis heute ist umstritten, ob Schumann überhaupt Syphilis hatte. Es wird vermutet, dass er sich 1831 angesteckt hat, also lange vor seiner Heirat mit Clara. Die wichtigste Quelle ist Schumann selbst. "Schrieb in letzter Zeit wieder allerlei abrupte Äußerungen melancholischen Inhalts und Reflexionen nieder z.B. 1831 war ich syphilitisch und war mit Arsenik curirt." (Krankenbericht 12.9.1855, sein Hochzeitstag) Die Originaltexte von Schumanns Hand sind nicht erhalten. Aber ist sicher, ob das nicht nur eine Angst war? Uwe Hendrik Peters hat in seinen "Erläuterungen zum Endenicher Krankenbericht Schumanns" Punkt für Punkt zu widerlegen versucht, er habe sich an Syphilis angesteckt, womit er jedoch wiederum heftige Kritik erntete (siehe den Artikel von Wolfram Goertz in der Zeit am 20.7.2006).
Immerhin hatte Clara so viel Taktgefühl, dass sie an der Beerdigung nur aus der Ferne teilnahm. Litzmann zitiert aus den später vernichteten Tagebüchern zum Tod und zur Beerdigung Robert Schumanns:
"Dienstag, den 29.[7.1856], sollte er befreit werden von seinem Leiden - nachmittag 4 entschlief er sanft. Seine letzten Stunden waren ruhig, und so schlief er auch ganz unbemerkt ein, niemand war in dem Augenblick bei ihm. Ich sah ihn erst eine halbe Stunde später, Joachim war auf eine Depesche von uns aus Heidelberg gekommen; dies hatte mich länger in der Stadt zurückgehalten als gewöhnlich nach Tisch. (...) Ich hatte es nicht bekannt gemacht, weil ich nicht wünschte, daß viele Freunde kämen. Seine liebsten Freunde gingen ja voran, ich hinterher (unbemerkt), und so war es am besten, gewiß in seinem Sinne!" (Litzmann, Bd. 2, S. 415f)
Je mehr ich über diese Zeit und andere Texte im Umfeld gelesen habe, etwa die Briefe von Clara, desto schwerer fällt es, moralische Vorwürfe an sie zu richten. Es scheint noch viel schlimmer zu sein, dass sie tatsächlich unfähig war, sich anders zu verhalten. Wenn überhaupt persönliche Vorwürfe gerechtfertigt sein sollten, dann eher in Richtung des damals allerdings noch sehr jungen Brahms. Er hat zweifellos sehr gut verstanden, was vorging, und dennoch in beispiellosem Egoismus zugesehen, wie die von ihm geliebte ältere Frau in eine unlösbare Krise geriet, und erst recht ihre Kinder, als deren älteren Bruder und Ersatzvater er sich einige Zeit gesehen hat.
Das erste große Konzert, das ich erlebte, wurde mit Schumanns 2. Sinfonie eröffnet, gespielt von Celibidache und dem Schwedischen Rundfunksinfonieorchester. (Es folgten Ravels "Rhapsodie Espagnole" und das "Konzert für Orchester" von Bartok.) So etwas prägt. Seither beschäftigt mich die Eigenart dieser Sinfonie und überhaupt die Musik von Schumann. Abgesehen von wenigen eingängigen Stücken, etwa aus den "Kreisleriana", geht von ihr nie etwas aus, woran sich gewöhnen ließe. Schumann ist schwierig, und doch von einer besonderen Anziehungswirkung.
Clara und Robert Schumann in Wien 1847, im Jahr der Uraufführung der 2. Sinfonie; Urheber: Von Eduard Kaiser - Eigenes Foto einer Originallithographie der Albertina (Wien), Gemeinfrei, Link
Die Sinfonie steht am Scheitelpunkt eines sehr bewegten Lebens. Schumann (1810 - 1856) hatte 1844-45 eine tiefe Depression durchlitten. Sein bester Freund Mendelssohn war nach Berlin zurückgegangen, er war nicht als dessen Nachfolger für seinen Posten berufen worden, hatte stattdessen resigniert auch die Herausgabe seiner "Neuen Zeitschrift für Musik" niedergelegt, war weg von seinem Freundeskreis nach Dresden umgezogen und sah sich mit der Tatsache konfrontiert, für den Lebensunterhalt seiner Familie auf die Einnahmen von Claras Konzertreisen angewiesen zu sein. Doch Ende 1845 schien eine Wende in Sicht. Auch die Aufbruchstimmung kurz vor der 1848er Revolution mag dazu beigetragen haben. Schumann hatte mit seiner Zeitschrift erfolgreich an der Vormärz-Bewegung teilgenommen und war bei Musikern wie Mendelssohn, Liszt und Chopin anerkannt.
Doch schon 1847 verdüsterte sich für Schumann wieder alles, nachdem Fanny und Felix Mendelssohn überraschend gestorben waren. Er sollte nicht mehr zu sich selbst finden. So sehr er auch jahrelang über die Philister gespottet hatte, fand er in der 48er Revolution keinen Platz. Dort waren laute Stimmen gefragt, wie Wagner und Bakunin, die sich in das Getümmel hinter die Barrikaden stürzten, oder aufmerksame Beobachter, die hinter den Kämpfen die Todesmaske sahen.
Alfred Rethel (1816-1859): "Der Tod auf der Barrikade" (1849). Schumann kannte Rethel in Dresden und besuchte ihn später in Aachen. Im Stil Dürers will Rethel zeigen, wie die Revolution die Menschen zum Tod verführt, der schließlich triumphiert. Rethel starb 1859 in Düsseldorf, wie es heißt, "geistig umnachtet". Link: deutschefotothek
Als die Revolution gescheitert war, fühlte sich Schumann endgültig verlassen in einem Dresden, aus dem alle früheren Freunde geflüchtet waren. 1850 Umzug nach Düsseldorf. Für einen Moment schien die frühere Kreativität der glücklichen Jahre wie 1838 wieder möglich. 1853 erschienen unerwartet die Vertreter einer neuen Generation, Brahms und Joachim, und mit ihnen ein neuer Lebensanfang, Neue Bahnen nicht nur eines neuen großen Komponisten, sondern auch für ihn selbst. Schumann schien es zu gelingen, angeregt von den neuen Freunden zu einem veränderten, von Gedanken erfüllten Stil zu finden.
Und doch stürzte ihn dies alles nur in eine tiefe Ehekrise, als er und Clara spürten, wie ihr früheres gemeinsames Lebensideal zerbrach, beide in verschiedene Richtungen drängten, die sich nicht miteinander vereinbaren ließen. Gegenüber der jüngeren Clara, die besseren Zugang zu Brahms und Joachim fand, fühlte sich Schumann in der schwächeren Position und als Außenseiter in einem neu entstehenden Freundeskreis. In tiefer Verzweiflung warf er im Februar 1854 den Ehering in den Rhein und unternahm einen Selbstmordversuch, wurde wenige Tage danach, als er sich nicht wieder zu beruhigen vermochte, in die Nerven-Heilanstalt Bonn-Endenich eingeliefert, wo er bereits 1856 starb, vereinsamt und von allen Freunden verlassen.
Doch zurück zur 2. Sinfonie:
"Die Symphonie schrieb ich im Dezember 1845 noch krank; mir ist's als müßte man ihr dies anhören." "Ich skizzierte sie, als ich physisch noch sehr leidend war, ja ich kann wohl sagen, es war gleichsam der Widerstand des Geistes, der hier sichtbar influiert hat und durch den ich meinen Zustand zu bekämpfen suchte." "Im letzten Satz fing ich an, mich wieder zu fühlen."
Clara schreibt anlässlich einer Aufführung 1847:
"Mich erwärmt und begeistert dies Werk ganz besonders, weil ein kühner Schwung, eine tiefe Leidenschaft darin ist, wie in keinem anderen von Roberts Werken."
Diese Sinfonie mit Celibidache zu hören, bringt für mich besser als die anderen Aufnahmen die Gefühle zum Klingen, die Schumann in einem Moment der Hoffnung und des euphorischen Aufbruchs auszudrücken vermochte. Manchmal stört es mich, wenn Celi in die Musik hineinschreit, aber hier passt es wunderbar und wird dann aufgefangen vom himmlischen Gesang der Streicher im langsamen Satz. Da ist zu spüren, von welchen Halluzinationen Schumann heimgesucht wurde. Und ohne jeden Zwang erschließen sich die Gefühle der anderen Sätze, der unsichere erste, die Ruhelosigkeit des zweiten und schließlich der Triumph des letzten, aus dem doch schon herauszuhören ist, wie er in die nächste Depression umschlagen wird.
Aber Schumann hörte nicht nur Engel, sondern auch Dämonen. Seine Seele war auch von Feuer geschlagen. Und daher ist als Gegenstück Mitropoulos ein Muss. Hier brennt jeder einzelne Takt und über das Ganze breitet sich eine Angst, die die andere Seite von Schumann hören lässt.
Seit 1900 gibt es in Deutschland und Österreich ein weit verbreitetes Unbehagen an der neuen Musik. Die gilt schlicht als krank. Was anfangs nur gegenüber Robert als Person geäußert wurde, wurde dann übertragen auf alle neuen Werke, die nicht zum Ideal der absolut schönen Musik passten, und schließlich praktisch auf die gesamte Musik, die nach 1900 geschaffen wurde. Die Grenzlinie lässt sich sehr genau ziehen: Schumanns Werke bis zum "Album für die Jugend" 1848 auf der einen Seite, Liszts h-Moll-Sonate von 1853 auf der anderen. Doch muss stutzig machen, dass Liszt diese Sonate - Schumann gewidmet hat.
Schumann gehörte mit seiner 1834 gegründeten "Neuen Zeitschrift für Musik" zu den Wegbereitern der neuen Musik und hat auf seine Art die Entwicklung hin zur bürgerlichen Revolution 1848-49 auf dem Gebiet der Kunst stark gefördert.
In Schumann stoßen die Bruchlinien aufeinander. Seine Krankheit ist kein Zufall. Seine Kindheit in Sachsen stand noch unter den verheerenden Folgen der napoleonischen Kriege (er war zweieinhalb Jahre von seiner Mutter getrennt, die bei einer Typhus-Epidemie in Folge des Krieges erkrankt war), in seinen Zwanzigern schwankte er zwischen traditionellem Burschenschaftsleben in Heidelberg und Begeisterung für die neuen Ideen aus dem revolutionären Paris (gemeint ist hier die revolutionäre Epoche von 1830-48), die Konflikte mit Clara zeigen bereits alle Züge des sich wandelnden Verhältnisses zwischen Mann und Frau, wobei Robert sich keineswegs so eindeutig patriarchalisch verhalten hat, wie oft dargestellt wird.
Und gerade seine Krankheit macht ihn fast "modern". Sie nahm viele Züge der typischen Zivilisationskrankheiten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorweg (Grandiosität, Depression, Fragmentierung der eigenen Persönlichkeit).
So ist es kein Wunder, dass es seit 1990 geradezu einen Boom an Literatur über Clara und Robert Schumann gibt, die fast durchgehend fesselnd und sehr persönlich geschrieben ist. Sie sprechen gerade als Persönlichkeiten und nicht nur über die Musik unmittelbar an.
Im Grunde stellt sich die Frage, ob Schumann überhaupt krank oder einfach unglücklich war, und die Medizin den Blick auf den Menschen verloren hat. Seinen meisten Krankheiten (Alkoholismus, Depressionen, Verlust eines Fingers nach Selbstverletzung), die oft auch nicht einmal eindeutig belegt sind (z.B. ist fraglich, ob er wirklich Alkoholiker war und welche Art von Depression er hatte) gingen persönliche Schicksalsschläge voraus, häufig Todesfälle wie der Selbstmord der Schwester, der Tod von Bruder und der geliebten Schwägerin, Enttäuschungen durch fehlende Anerkennung als Komponist.
Was sagten die Ärzte: Sein behandelnder Arzt Richarz vermutete Paralyse nach Syphilis. In der typisch trockenen medizinischen Sprache gibt es jedoch zahlreiche abweichende Meinungen: Keine Paralyse, sondern Dementia praecox (Möbius 1906). (Später wird oft wiederholt, Schumann hat an Schizophrenie gelitten). Keine Dementia praecox, sondern Zyklothymie (leicht manisch-depressiv) bis 1850; dann wahrscheinlich Paralyse oder schwere organische (vielleicht luetische) Hirnerkrankung (Gruhle 1906). Endogen krank (Möbius 1907). Manisch-depressiv (Nathan, Dupre). "Psychasthenie constitutionelle"; Angstneurose. Paralyse (Pascal 1908). ( Quelle ) Heute scheinen die Psychiater der Meinung zu sein: bipolare affektive Störung (früher "Zyklophrenie", manisch-depressiv, heute Bipolar II nach ICD-10: F31) (so Kaper März 2005)
Wird der Sache genauer nachgegangen, ergeben sich mehr Fragen als Antworten. Inzwischen wird für möglich gehalten (Eva Weissweiler), dass Clara die Krankheit dramatisiert hat, um ihn (wie später auch den Sohn Ludwig) in einer Anstalt loszuwerden. Sie hätte dann nach 1850 mithilfe der Medizin vollstreckt, was ihrem Vater vor 1840 nicht gelungen war. Sicher ist, dass sie ihn während der über 2 Jahre Klinikaufenthalt nur einmal unmittelbar vorm Tod besucht hat. Als es nach seinem Tod mit Brahms nicht wie gewünscht lief, erkor sie sich bereits 1857 Schumanns früheren Freund Theodor Kirchner zum Liebhaber (eine These, die jedoch wiederum umstritten ist, genau so wie die Vermutungen, Brahms sei der Vater des jüngsten Schumann-Kindes, das im Juni 1854 zur Welt kam, als Robert bereits in der Irrenanstalt war).
Im Mai 1854 schickt Liszt seine h-Moll-Sonate nach Düsseldorf. Clara am 25.5.1854 in ihrem Tagebuch: "Liszt sandte heute eine an Robert dedizierte Sonate und einige andere Sachen mit einem freundlichen Schreiben an mich. Die Sachen sind aber schaurig! Brahms spielte sie mir, ich wurde aber ganz elend. .... Das ist nur noch blinder Lärm - kein gesunder Gedanke mehr, alles verwirrt, eine klare Harmoniefolge ist da nicht mehr herauszufinden! Und da muß ich mich nun noch bedanken - es ist wirklich schrecklich. " Robert Schumann wird sie nicht erhalten haben.
Liszt Klaviersonate; Urheber: Von Franz Liszt (1811-1886) - http://www.karadar.com/PhotoGallery/liszt.html, Gemeinfrei, Link
Schumanns Krankheiten rühren an die Wurzeln der Musik: überwältigende akustische Halluzinationen; das sichere Gefühl musikalischer Eingebung entglitt zur Angst, von Dämonen- und Engelsstimmen und den Geistern verstorbener Vorgänger heimgesucht zu werden und darüber den Verstand zu verlieren. Da ist nach innen gekehrt, was ihm und anderen von außen als Krankheits-Vorwurf entgegenschlug.
Schumann plante das Violinkonzert in seinem Projektebuch seit 1849-50. Der entscheidende Anstoß kam allerdings erst mit dem jungen Joseph Joachim (1831 - 1907), der im Mai 1853 in Düsseldorf Beethovens Violinkonzert spielte. Robert und Clara waren begeistert und freundeten sich mit ihm an. Schumann schrieb das Konzert vom 21. Sept. - 3. Okt. 1853, also in den Wochen, als auf Vermittlung durch Joachim am 30. Sept. 1853 erstmals Brahms zu Besuch kam.
Clara, Brahms und Joachim waren anfangs vom Werk durchaus angetan. Als Clara 1854 - Schumann war bereits in Endenich - die Noten an Joachim schickte, antwortete der ihr am 22. Okt. 1854 überschwänglich:
"Wie danke ich Ihnen für das Concert von Schumann, und dass sie sich meiner damit in dem bewegten Leipzig erinnert haben! Gewiß, es kann mir nichts schöner die Zeit Ihres Hierseins zurückrufen und die herrlichen Musik-Stunden mit Ihnen und Brahms, als die überschickten Noten."
Schon 1853 war eine Uraufführung geplant, die jedoch auf Drängen der Düsseldorfer Musikdirektion ausfiel, die nicht mehr so viel Musik von Schumann auf den Programmen sehen wollte. Eine Wiederholung gab es dann nicht mehr. Das Thema des Violinsolo im zweiten Satz kehrt verwandelt wieder als "Geister-Thema" in Es-Dur, welches Schumann unmittelbar vor seinem Selbstmord-Versuch aufschrieb. Brahms hat 1862 in seinem op. 23 Variationen darüber geschrieben.
Das Original blieb jedoch unveröffentlicht, weil Clara, Brahms und Joachim nach Schumanns Tod radikal ihre Meinung über das Violinkonzert änderten. Michael Struck weist in seinem Buch "Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns" anhand von Brief-Auszügen minutiös die Veränderung ihrer Einstellung nach. Offiziell hieß es später, sie wollten nicht nachträglich den Ruhm Schumanns durch Herausgabe von Werken beschädigen, die schon die Zeichen seiner Krankheit trügen. Angesichts der Qualitäten dieses Werks liegt es näher, dass es nicht mehr in Claras Bild von Schumann passte und wie sie die Ereignisse der Jahre 1853 - 56 sehen wollte. Nach dem Tod von Joseph Joachim verkaufte 1907 dessen Sohn Johannes den Autograph als Teil des Nachlasses an die Preußische Staatsbibliothek Berlin mit der Auflage, es frühestens 100 Jahre nach Schumanns Tod zu veröffentlichen. Der Geiger Adolf Busch (und möglicherweise auch Georg Kreisler) erkundigten sich nach einer Veröffentlichung. 1930 wurde erstmals der Klavierauszug gespielt, der im Städtischen Museum Zwickau vorlag.
Schließlich konnte es unter etwas mysteriösen Begleitumständen vom Schott-Verlag in Mainz veröffentlicht werden. (Joachims Nichten, die Geigerinnen Jelly d'Aranyi und Adili Fachiri, und der schwedische Gesandte Palmstierna klagten über die Heimsuchung durch den Geist Schumanns, sie sollten das Werk aufspüren und veröffentlichen. Spukten da die Geister von 1854 weiter oder war das als geschickter Werbegag gedacht?). Der mit Johannes Joachim befreundete Verleger Hermann Strecker vom Schott-Verlag sandte das Werk aber Yehudi Menuhin und bot ihm die Uraufführung an. Inzwischen spielte Schumann jedoch eine wichtige Rolle für die nationalsozialistische Kulturpolitik, die nach dem Aufführungsverbot aller Werke von Mendelssohn Schumann als den großen deutschen Romantiker aufbauen wollte. Daher wurde dem Schott-Verlag unter Androhung der Verlagsschließung verboten, das Werk durch Menuhin in den USA uraufführen zu lassen. Stattdessen kam es zur Uraufführung am 26. Nov. 1937 in Berlin. Hindemith hatte auf Wunsch des ihm befreundeten Geigers Kulenkampff den Violinpart verändert, was jedoch öffentlich nicht gesagt werden durfte, da inzwischen auch Hindemith den Nazis nicht mehr genehm war.
Die Uraufführung durch Georg Kulenkampff und Karl Böhm wurde als Festakt im Rahmen der Jahrestagung der Reichskulturkammer und der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" begangen. Das Programm war als "Festfolge" gestaltet:
Wagner: Vorspiel zum 3. Akt des Lohengrin
Goethe: Prometheus-Hymne (gesprochen durch den Staatsschauspieler Kayssler)
Ansprache durch Robert Ley (Leiter der Deutschen Arbeitsfront)
Ansprache durch Joseph Goebbels
Uraufführung
Nationalhymnen
Am 6. Dez. 1937 folgte durch Menuhin die Aufführung in der New Yorker Carnegie-Hall mit Klavierbegleitung und am 23. Dez. 1937 in St. Louis mit Vladimir Golschmann. Er spielte die unveränderte Fassung des Urtextes. Joachims Nichte Jelly d'Aranyi spielte das Konzert am 16. Feb. 1938 in London mit Adrian Boult. Die letzte noch lebende Tochter von Schumann, Eugenie (1852 - 1938), hatte erfolglos versucht, im Interesse ihrer Mutter die Veröffentlichung zu verhindern. Auch das ist eine Frage wert, welchen Beitrag die Töchter Marie und Eugenie zur Legendenbildung um ihre Eltern geliefert haben. Sie hatten auf einen eigenen Beruf und eine eigene Familie verzichtet und ihr Leben ganz der Mutter gewidmet.
In der damals nationalsozialistisch geführten Neuen Zeitschrift für Musik antwortete ihr 1938 in Heft 105 Robert Pessenlehner, Clara habe sich nicht gegen Joachim durchsetzen können, dem "im übrigen die Erkenntnis eines deutschen Werkes durch seine rassische Herkunft sowieso versagt bleiben musste". Pessenlehner sah die Herausgabe des Violinkonzerts in einer Linie mit der Herausgabe der Urtexte von Bruckner, Hugo Wolf und Bach, deren Werke ebenfalls durch eine Musikkritik verfälscht worden sei, die kein Verständnis für deutsche Musik hatte. (Er selbst veröffentlichte 1937 ein Buch "Vom Wesen deutscher Musik").
Menuhin war von Anfang an begeistert von dem Werk. Er antwortete dem Schott-Verlag: "Wenn Schumann dieses Konzert im Wahnsinn geschrieben hat, so möchte ich ebenfalls wahnsinnig sein."
An Vladimir Golschmann schrieb er Juli 1937:
"This concerto is the historically missing link of the violin literature; it is the bridge between the Beethoven and the Brahms concertos, though leaning more towards Brahms. Indeed, one finds in both the same human warmth, caressing softness, bold manly rythms, the same lovely arabesque harmonies. There is also a great thematic resemblance. One is struck with the fact that Brahms could never have been what he was without Schumann's influence!"
Auch diese Fürsprache hat dem Werk jedoch keinen festen Platz im Konzertleben verschaffen können. Von den Nationalsozialisten als Ersatz für Mendelssohns Violinkonzert gedacht, nimmt es bis heute ein Schattendasein ein und hat wie die anderen Spätwerke den Ruf, schon Züge von Schumanns Krankheit zu zeigen, nicht abschütteln können.
Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob Schumann wirklich 1853 dem Wahnsinn nahe war. Tiefe seelische Konflikte hat er immer in seiner Musik dargestellt, und es zeichnete sich eine schwere persönliche und Ehekrise ab. Aber gerade im Sept. - Okt 1853 ging es ihm sehr gut, als Joachim und Brahms in Düsseldorf erschienen und ihm völlig neue Inspirationen gaben.
Noch später entstanden die "Gesänge der Frühe". Sie versprechen beides: Schumann und Hölderlin. Und - sie leiten über zu Bruckner (besonders das 3. und 5. Stück). Auch wenn ich die abschließende Schlussfolgerung nicht mehr teilen kann, sei aus der schönen Schumann-Seite auf der Homepage des Pianisten Franz Vorraber zitiert:
"Die Gesänge der Frühe haben eine ganz eigene Färbung. Getreu Schumanns Motto, das in jeder Musik ein bißchen Frühling sein sollte, spürt man in seinem letzten veröffentlichtem Werk, das Herannahen des Morgens, die rufende Quint, die Hoffnung auf Licht, eine Harmonik, die eine Schlußwirkung oft ausspart erinnernd an Brucknersche Choräle, eine Verwandtschaft zu Beethovens letzter Sonate op.111 in den Trillerfiguren des letzten Stückes. Sein Lebenswerk ist vollbracht. Diese befreiende Ruhe machen die Gesänge der Frühe zu einem außergewöhnlichen Zeugnis seines Wirkens gegenüber seinem Schicksal."
1. Stück mit dem Kernmotiv Diotima - Hyperion; Quelle
"Diotima, Gesänge der Frühe" ist wie das Violinkonzert bereits 1849-50 im Projektenbuch aufgeführt. Schumann schrieb das Stück vom 15. - 18. Okt. 1853, also unmittelbar unter dem Eindruck des ersten Besuchs von Brahms. Das hat zu ausführlichen Analysen möglicher Einflüsse geführt, so im Nachwort zur Herausgabe des Urtextes (Link). Clara Schumann schrieb am 18.10.1853 in ihr Tagebuch: "Robert hat 5 Frühgesänge komponiert, - ganz originelle Stücke wieder, aber schwer aufzufassen, es ist so eine ganz eigne Stimmung darin."
Ende Oktober 1853 besuchte Bettina von Arnim mit ihrer Tochter Gisela die Schumanns, als Joachim dort war. Joachim war mit Gisela befreundet, und Schumann beglückwünschte ihn bald - missverstehend - zur Verlobung. Umgekehrt wird Bettina deutlich gesehen haben, was dort geschah. Brahms war auch noch in Düsseldorf. Schumann änderte die unbestimmte Widmung an Diotima, womit idealisierend Clara gemeint sein konnte, "an die hohe Dichterin Bettina".
Bettina von Arnim hatte Jahrzehnte früher Gedichte von Hölderlin vertont und ihn in seinem Turm in Tübingen besucht. Es muss für sie ein Schock gewesen sein, dann wenig später im Mai 1855 Schumann in einem Irrenhaus zu besuchen - und nach ihrem Eindruck gesund vorzufinden.
Brahms und Joachim wussten nicht, wer mit Diotima gemeint war. Da Joachim kurz darauf eine Hyperion-Sinfonie komponieren wollte, hat Clara offenbar den Roman von Hölderlin als Quelle genannt. Aber auch die Gedichte an Diotima können gemeint sind. Deren letzte Version beginnt "Du schweigst und duldest, denn sie verstehn dich nicht", endet aber hoffnungsfroh.
Die Veröffentlichung war ihm wichtiger als bei anderen Werken. Er hatte bereits am 17. Feb. 1854 die Eingebung des choral-artigen Engels-Themas gehabt, aus dem dann die Geister-Variationen entstanden, als er am 24. Feb. 1854 wenige Tage vor seinem Selbstmordversuch in einem Brief seinem Verleger schrieb:
"Ich möchte die Fughetten [op. 126] wegen ihres meist melancholischen Charakters nicht erscheinen lassen und biete Ihnen ein Anderes, vor Kurzem beendigtes Werk: 'Gesänge der Frühe'. ... Es sind Musikstücke, die die Empfindungen beim Herannahen und Wachsen des Morgens schildern, aber mehr aus Gefühlsausdruck als Malerei."
Hier nimmt er deutlich auf Beethovens "Pastorale" Bezug, ihrem "Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande" (Überschrift des 1. Satzes) und ihrer Kennzeichnung "Mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey".
An diese Stücke war die Hoffnung auf einen Ausweg aus seiner tiefen persönlichen Krise gebunden. Als Nachweis der Nähe des Wahnsinns wurde später vor allem der melancholische Charakter der Werke von 1853 genannt. Aber gerade davon wollte er sich lösen. Mit der Frühe ist sicher auch die eigene Frühe gemeint, die Jugendzeit, als er zum erstenmal Hölderlin las und voller Ideale war. Ihm kamen immer mehr Zweifel, ob Clara das hielt, was er als Ideal in ihr zu sehen wünschte.
"Empfindungen beim Herannahen und Wachsen des Morgens" trifft eher die Sprache von Hölderlin als der Titel "Gesänge der Frühe". Dieser bezieht sich vielmehr auf dessen "Nachtgesänge", die Schumann sicher kannte. Mit den "Nachtgesängen" hatte Hölderlin eine kleine Auswahl seiner Gedichte veröffentlicht, und Schumann möchte dies - so verstehe ich ihn - fortführen, indem er eine andere Seite in den Gedichten Hölderlins aufgreift, die nicht in den Nachtgesängen enthalten sind.
"O trinke Morgenlüfte" ist eine Zeile aus "Germanien". Hölderlin entwirft ein völlig anderes Bild der Germania, als es dann im 19. Jahrhundert populär wurde. Sie ist "im Wald verstekt und blühendem Mohn voll süßen Schlummers". Hölderlin wünscht ihr, dass sie die Morgenlüfte trinkend offen wird, das Ungesprochene so zu umschreiben, dass es nicht länger Geheimnis bleibt. - Hier möchte ich nur anregen, diese Gedichte zu lesen.
Wenige Jahre vorher hatte Hölderlin ein Gedicht "Deutscher Gesang" entworfen.
Wenn der Morgen trunken begeisternd heraufgeht
Und der Vogel sein Lied beginnt,
und Stralen der Strom wirft, und rascher hinab
die rauhe Bahn geht über den Fels,
weil ihn die Sonne gewärmet
...
dann sitzt im tiefen Schatten,
Wenn über dem Haupt die Ulme säuselt,
am kühlathmenden Bache der deutsche Dichter
und singt, wenn er des heiligen nüchternen Wassers
genug getrunken, fernhin lauschend in die Stille.
Kann Schumanns Selbstverständnis besser beschrieben werden?
Nietzsche hatte ein feines Gespür für alles, was in Deutschland vorging. In seiner Jugend war er von Schumann begeistert, hat dann aber die Musik seiner Zeit aus der größeren Distanz weltgeschichtlicher Betrachtungen verstehen wollen. Und da sah er Schumann in eine Sackgasse geraten, allerdings ebenso die gesamte deutsche Romantik. Anfangs mag auch der Einfluss von Richard und Cosima Wagner eine Rolle gespielt haben, die Schumann nicht besonders mochten. Zurückkehrend von "Also sprach Zarathustra", dem Zwiegespräch mit den Weltreligionen, hat er 1885-86 in "Jenseits von Gut und Böse" und dem 5. Buch der "Fröhlichen Wissenschaft" die aktuelle Kultur in Deutschland nochmals neu bewertet und eine eigene Position gesucht unabhängig von aktuellen politischen Strömungen wie Nationalismus, Konservatismus und Sozialdemokratie.
Wie kleinlich erschienen ihm jetzt "solche atavistische(n) Anfälle von Vaterländerei und Schollenkleberei" (Jenseits von Gut und Böse, Aph 241). Nun sah er Europa seit dem tragischen Zeitalter der Griechen in einem jahrtausendelangen Konflikt mit dem Orient. Orient, das umfasst für ihn nicht weniger als aphroditische Zügellosigkeit, matriarchalische Mutterkulte, fatalistische Sternengläubigkeit wie auch das priesterliche Judentum, das leibfeindliche Christentum und die kommunistischen Ideen einer klassenlosen Gesellschaft. Europäische Dekadenz oder europäischer Nihilismus bedeuten für ihn, dem nichts mehr entgegensetzen zu können, sondern sich davon freiwillig verführen zu lassen und dem eigenen Wesen entfremdet in Depression zu verharren.
Die Französische Revolution hatte für einen Moment in ganz Europa alle verbliebenen Kräfte mobilisieren können, und dazu zählt er auch Kant in der Philosophie, Goethe in der Literatur, Mozart und Beethoven in der Musik, die sich weit aus aller nationalen Befangenheit haben befreien können und ihren Beitrag leisteten, in Europa etwas Eigenes gegenüber der jahrtausendealten religiösen Überfremdung durch den Orient zu setzen. Die Niederlage Napoleons nahm jedoch den denkbar ungünstigsten Verlauf. Als erstes scherte England aus: Statt nun in einer zweiten Welle eine wirklich europäische Bewegung auszulösen, unabhängig von allen französischen Erobererplänen, hatte England endgültig freie Hand für seine imperialistische Politik und schlug die bis heute verfolgte Strategie ein, seine Ziele außerhalb Europas zu definieren. Damit ist ein Keil getrieben, denn ein Europa ohne England, Schottland, Wales und Irland wird scheitern. Und auf dem Kontinent setzten sich zunächst einmal die Kräfte der Zensur und des kleinlichen Denkens durch, die nie der Aufklärung deren weit ausgreifende Ziele verziehen hatten, und schufen den Boden für die von Schumann wie Nietzsche verachteten "Philister" und die von ihnen gegründete "bürgerliche Kultur". Im Hintergrund wuchsen allmählich in Amerika und Rußland Alternativen heran. Auch dort sollte in ferner Zukunft der Niedergang der aufklärerischen Ideen in Europa verheerende Auswirkungen haben, als in Amerika die Indianer unterworfen wurden, die sich zunächst mit großem Enthusiasmus an den Unabhängigkskriegen beteiligt hatten, und Rußland sich selbst unter sozialistischer Führung nicht von zaristischer Großmachtpolitik zu befreien vermochte. Doch das ist bereits weit über die Zeit von Nietzsche hinaus.
Besonders in Deutschland machte sich Depression breit, auf Dauer kraftlos den Einflüssen anderer Weltreligionen und -kulturen ausgeliefert, das hat Nietzsche durchaus richtig erkannt. Robert Schumanns Schicksal ist ein typisches Beipiel. Er war begeistert von Beethoven, besuchte Heine in München, den letzten Vertreter, der in Deutschland den revolutionären Impuls weiter trug, entdeckte in Wien Schuberts unveröffentlichte späten Werke und konnte sich doch nie der depressiven Stimmung entziehen, in die ihn die vielen persönlichen Schicksalsschläge stießen. So besaß er Kraft genug, diese innere Zerrissenheit in seiner Musik zu gestalten, hatte alle Anlagen, eine deutsche Musik als eigene Stimme in einem neuen europäischen Konzert erklingen zu lassen, ließ sich begeistern von den revolutionären Ereignissen in Paris 1830 und 1848, und fand doch nie zu voller innerer Freiheit. Nietzsche war von Schumann angesprochen, solange er seine revolutionären Neigungen spürte, ganz ähnlich wie dann von Schopenhauer und Wagner. Nach dem Scheitern der polnischen, griechischen und 1848er Revolution schienen sie alle aber nichts mehr der herabziehenden Tendenz des 19. Jahrhunderts entgegen setzen zu können. Einzig Mendelssohn ließ Nietzsche gelten als einen "schöne(n) Zwischenfall der deutschen Musik" (ebd., Aph 245).
"Schumann mit seinem Geschmack, der im Grunde ein kleiner Geschmack war (nämlich ein gefährlicher, unter Deutschen doppelt gefährlicher Hang zu stiller Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls), beständig beiseite gehend, sich scheu verziehend und zurückziehend, ein edler Zärtling, der in lauter anonymem Glück und Weh schwelgte, eine Art Mädchen und "noli me tangere" von Anbeginn: Dieser Schumann war bereits nur noch ein deutsches Ereignis in der Musik, kein europäisches mehr, wie Beethoven es war." (ebd., Aph 245)
Schumann stand wie Wagner unter dem starken Druck, sich den ihm verhassten Spießern anzupassen. Während Wagner in großer Pose darüber hinwegging (und später machtlos um so stärker davon überwältigt wurde, was Nietzsche spät, viel zu spät bemerkte), durchschaut Nietzsche wunderbar, welchem faulen Kompromiss Schumann gefährlich nahe kam. Dabei dachte er sicher eher an dessen frühe Werke, vielleicht auch an seine Lieder, und wird die "Gesänge der Frühe" und anderen Spätwerke nicht gekannt haben. Es muss Spekulation bleiben, ob das sein Urteil geändert hätte.
Und doch möchte ich Schumann gegenüber Nietzsche in Schutz nehmen. Nietzsche zog aus dem Scheitern der Französischen Revolution und Napoleons den Schluss, dass sie im Grunde noch nicht radikal genug waren und die Fehlentwicklung Europas, der europäische Nihilismus, wesentlich tiefer ging als von ihnen geahnt. Sie hatten zwar erstmals Europa aus der Kleinstaaterei und bornierten Engstirnigkeit herausgerissen und damit erstmals den Horizont geöffnet, von wo aus die weiter gehenden Fragen zu stellen sind. Aber Nietzsche wünschte und erwartete, dass wir dank Napoleon jetzt erst "ins klassische Zeitalter des Krieges getreten sind", an dessen Ende "das eine Europa ... und dies als Herrin der Erde" stehen werden (Fröhliche Wissenschaft, Aph 362). Das klingt wie ein verzweifelter Ausbruchversuch und wäre nur eine Katastrophe mit umgekehrtem Vorzeichen. Leider hat sich vieles davon im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert bewahrheitet, mit Nordamerika als Erben Europas. Die willenlose Unterwerfung unter orientalische Einflüsse (Orient im Sinne Nietzsches) geht zwar schier unaufhaltsam weiter und hat längst zu krankhaften Symptomen wie dem wachsenden Drogen-Konsum seit 1945 geführt, und wird doch zugleich begleitet von einer politischen und militärischen Demütigung der gesamten Dritten Welt. Das Ziel der Aufklärung, eine Epoche weltweiten gegenseitigen Respekts und der Fähigkeit voneinander zu lernen, ohne die jeweils eigenen Stärken aufzugeben, scheint weiter entfernt denn je.
Unter den Nachfolgern von Kant, Goethe und Beethoven gab es in Deutschland viele, die Europas Fähigkeiten aus dem deutschen Wesen erklären wollten, so wie ganz analog Frankreich sich seither als Vertreter des Geistes schlechthin versteht. Auch Schumann war in seiner Überheblichkeit gegenüber "nationalen" Komponisten wie dem Dänen Gade nicht davon frei. Sie zogen aus der Niederlage Napoleons und Frankreichs den Schluss, dass nun Deutschland an der Reihe sei. Dafür hat Nietzsche nichts als Spott übrig und sah das als zu überwindendes Hindernis für seine Europa-Vision an.
Aber Hölderlin hat eine Kehrtwende ganz anderer Art begonnen. Er träumte nicht mehr davon, die kriegerische Idee Napoleons durch neue Generationen noch zu überbieten und Europa gar als "Herrin der Erde" einzusetzen. Obwohl seine "Vaterländischen Gesänge" später von den Nationalsozialisten vereinnahmt wurden, zeigt gerade sein Gedicht "Germanien" eben nicht das waffenstarrende, sich als das Wesen der Menschheit verstehende "Mordsweib mit fliegenden Haaren und einem Riesenschwert" (Heidegger), so wie es dann auf dem Niederwalddenkmal bei Rüdesheim als Wacht am Rhein gegen Frankreich gestaltet worden war, sondern das scheue, zurückgezogene Mädchen, dem Hölderlin wünscht, dass es "wehrlos Rath giebt rings / den Königen und den Völkern". Hölderlin wollte zurückgehen auf ein neues Verständnis der nationalen Eigenarten, nicht um kleinlich die großen Ideen der Revolution zu verraten, sondern um einen neuen Ausgangspunkt für einen anderen Versuch zu finden.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es Schumann bei den Gesprächen während des Besuchs von Bettina von Arnim in Düsseldorf ein halbes Jahr vor seiner Einlieferung in das Irrenhaus endlich wie Schuppen von den Augen gefallen ist, was er eigentlich schon immer wollte. Dass er also endlich anfing, zu seiner träumerischen, zurückgezogenen Art zu stehen und zu begreifen, wie er schon lange in dem ihm eigenen Stil begonnen hatte, im Sinne von Hölderlin das Deutsche zu treffen.
Heute höre ich auch die frühen Werke Schumanns von seinen Spätwerken wie den "Gesängen der Frühe" her. Sie enthalten tatsächlich bisweilen etwas Kleinliches, von Nietzsche gut registriert. Das kommt aber gerade daher, wenn Schumann sich bemüßigt fühlte, nicht konsequent zum Eigenen zu stehen, sondern zu versuchen, seinen schönen Einfällen einen allgemein-menschlichen Anstrich zu geben, was dann ungewollt als Biedermeier herauskam. Wird durch dies hindurch gehört, dann zeigt sich Schumann durchaus seinem Freund Mendelssohn verwandt als nationaler Komponist, dem in seinen gelungenen Passagen für Deutschland das gelang, was dann wenig später etwa Grieg oder - weniger bekannt - Ciurlionis aus seiner Musik zu lernen wussten und getragen von den Überlieferungen ihrer eigenen Heimat fortzuführen vermochten.
Schumann zitiert nicht nur andere Komponisten, sondern er hörte sie, fühlte sich direkt von ihnen angesprochen. Dagmar Hoffmann-Axthelm vertritt in dem Essay "Robert Schumann 'Glücklichsein und tiefe Einsamkeit'" die These, Stimmen wie die von Schubert hätten ihn schließlich so überwältigt, dass er Eigenes und Fremdes nicht mehr unterscheiden konnte und in einen Wahn geriet, der unter den damaligen Umständen der Psychiatrie eine Überweisung in eine Nervenklinik notwendig machte. (Von notwendiger "professioneller Betreuung" wage ich nicht zu sprechen, wenn die dazu geführt hat, dass der Patient buchstäblich nach kaum mehr als 2 Jahren tot war.)
Schumann hatte zeitlebens eine besondere Beziehung zu Schubert. Die Nachricht von dessen frühen Tod hatte ihn 1828 in eine der vielen depressiven Krisen gestürzt. 11 Jahre später besuchte er 1839 in Wien dessen Bruder und entdeckte über ihn die unveröffentlichte 9. Sinfonie. Er gab sie Mendelssohn zur Uraufführung.
"Seinem Freund Becker berichtet er enthusiastisch von der Probe, in dieser Musik seien 'alle Ideale meines Lebens' aufgegangen. Und Clara Wieck lässt er wissen: 'Ich war ganz glücklich und wünschte nichts, als Du wärest meine Frau und ich könnte auch solche Symphonien schreiben.'" (Hoffman-Axthelm, S. 162).
Wenige Tage vor seinem Selbstmordversuch im Februar 1854 glaubte er, Schuberts Geist zu hören, und schrieb das Thema für seiner Geister-Variationen auf. Dies Thema klingt wirklich sehr nach Schubert. Aber ist dem Komponisten entgangen, dass er hier im Grunde sich selbst zitiert hatte, das Thema aus dem langsamen Satz des 1853 entstandenen Violinkonzert?
Schumann fühlte sich zweifellos von Stimmen bedrängt. Er war in Düsseldorf in die Enge gedrängt worden von einem Musikdirektorium, seiner Frau, zwei jungen Freunden (Brahms und Joachim), die vielleicht nichts anderes wollten, als normal sein, d.h. so, wie es von der Gesellschaft erwartet wurde. Diese wachsende Distanz zu ihm ist ihm offenbar nicht richtig bewusst geworden, aber gespürt hat er es sicher als eine bedrückende Kälte, die ihm auch alle neuen Erfolge wie bei den Konzerten in Holland Ende 1853 und dem gemeinsamen Musizieren mit Clara und den vermeintlichen Freunden zu rauben drohte, bis er keinen anderen Ausweg wusste, als den Ehering in den Rhein zu werfen und sich in die Fluten zu stürzen.
Solche "Verschwörungstheorien" werden von der heutigen Musikwissenschaft überwiegend abgelehnt. Es ist wohl notwendig, tiefer in die Quellen, den Briefwechsel und die Krankenberichte zu gehen, aber auch dies Material ist ja in wichtigen Teilen vernichtet (die Tagebücher von Clara Schumann, der Krankenbericht aus der entscheidenden ersten Zeit), so dass auch dort keine letzten Erkenntnisse zu erwarten sind und jeder auf die eigene Intuition angewiesen bleibt.
Schumann suchte immer in der Musik einen Weg, seine Gefühle und inneren Probleme zu gestalten. Es ist bestimmt nicht übertrieben zu sagen, dass Musik ihm öfters das Leben gerettet hat, auch wenn dann die Katastrophe 1854 nicht abgewendet werden konnte.
Aber was ist hier "Musik"? Für Schumann waren es Stimmen, wo er - und das glaube ich sofort - Schubert hörte. Musik war für ihn ein Feld, wo er mit der Musik anderer unmittelbar verbunden war, so dass sich die Formel "Musik der Musik" nicht mehr klar voneinander trennen ließ.
Brahms konnte sich von den Ereignissen 1853 ff nie mehr losreißen. Einerseits hat er dann wiederum das Geister-Thema von Schubert aufgegriffen und eigene Variationen darüber geschrieben, also Musik der Musik der Musik in der dritten Steigerung. Andererseits hat er sogar noch 1893 zwei Jahre vor dem Tod Clara Schumanns und vier Jahre vor dem eigenen Tod in einem Brief an Heuberger geschrieben: "Frau Schumann hat erst vor ein paar Wochen ein Heft Cellostücke von Schumann verbrannt, da sie fürchtete, sie würden nach ihrem Tode herausgegeben werden. Mir hat das sehr imponiert." (nach Struck, S. 561f). Es handelte sich um die Romanzen für Violoncell und Pianoforte, dem letzten Stück Schumanns vor den Geister-Variationen, das er im November 1853 geschrieben hat. Er hatte erfolglos noch von Endenich aus versucht, dies Stück zu veröffentlichen. Schon damals hatte Brahms am 14.3.1855 Clara Schumann aufgefordert, ihrem Mann solche Schreiben an Verleger aus der Hand zu nehmen.
Musik der Musik kann also auch Vernichtung der Musik der Vorgänger und in diesem Fall sogar der Bahnbereiter bedeuten!
Mit ganz anderen Ohren höre ich heute das 1859 in Hannover mit Joachim uraufgeführte 1. Klavierkonzert von Brahms. Dies war sein erstes großes sinfonisches Werk. Der erste Satz ist vom Frühjahr 1854 bis zum Herbst 1856 entstanden, also genau der Zeit, als Schumann in größter Isolation in Endenich litt, und wurde dann noch einige Male bis 1859 umgearbeitet, nun auch unter der enttäuschenden Erfahrung, dass ihm mit Clara Schumann kein persönliches Glück beschieden sein würde. In der Tonart d-Moll ist Schumanns Violinkonzert fortgeführt.
Welche Stimme hat dann Ravel bewogen, in seinem Klavierkonzert für die linke Hand in der Einleitung das Klavierkonzert von Brahms mit der "Toteninsel" von Rachmaninov auf kleinstem Raum zusammen zu packen und jazzmäßig zu verfremden, als Zeichen der Katastrophe, die sich im 19. Jahrhundert zusammengebraut und dann in den 1930ern entladen hat?
Gerade gegenüber einem Komponisten wie Schumann sind solche Zusammenhänge alles andere als übergestülpt.
"Clara Schumann gegenüber beschreibt Schumann sein Bestreben, in der Musik das Unterschiedliche, Widersprüchliche, gedanklich nicht oder nur schwer Erfassbare von Welt und Menschen einzufangen: '... es affectirt mich Alles, was in der Welt vorgeht, Politik, Literatur, Menschen - über Alles denke ich auf meine Weise nach, was sich dann durch die Musik Luft macht, einen Ausweg suchen will. Deshalb sind auch viele meiner Compositionen so schwer zu verstehen, weil sie sich an entfernte Interessen anknüpfen, oft auch bedeutend, weil mich alles Merkwürdige der Zeit ergreift und ich es dann musikalisch wieder aussprechen muß.'" (nach Hoffmann-Axthelm, S. 113).
Marie (1841 - 1929) Wird schon ab 1851 die rechte Hand der Mutter. Opfert sich vollständig für sie auf. Kümmert sich um die jüngeren Geschwister, übernimmt ihre Korrespondenz, plant deren Konzertreisen, richtet vor ihren Auftritten ihre Kleidung, hat weder einen eigenen Beruf noch einen Mann. Nach Claras Tod ist sie zuständig für den Erhalt des Clara-Mythos. Ihr gelang es, für die Biographie Berthold Litzmann (1857 - 1926) zu gewinnen, dem ersten Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte in Bonn. Litzmann hatte Werke von Hölderlin herausgegeben, verehrte früh Thomas Mann und zog nach seiner Emeritierung nach München, um sich dort bis zu seinem Tod 1926 dessen Freundeskreis anzuschließen.
Elise (1843 - 1925) Temperamentvoll, eigenwillig. Lässt sich in ihrer Selbständigkeit nicht blockieren und tritt von allen am selbstbewußtesten gegenüber der Mutter auf. Musikalisch. 1865 Klavierlehrerin in Frankfurt. Heiratet 1877 den Großkaufmann Sommerhoff. Etliche Jahre in New York. Ab 1883 wieder in Frankfurt.
Julie (1845 - 1872) Liebling der Eltern. Kränklich. Wird 1856 zur Großmutter nach Berlin geschickt. Trotz ihrer sich verschlechternden Gesundheit immer neue Stationen. Ihr Irrweg ist nicht mehr rekonstruierbar. Schwindsucht. Schwermütig. Auch Brahms sieht sie mit Liebe: Am 2.2.1868 bedauert er in einem Brief an Clara, "daß Euer Weihnachtsfest ohne Julie gefeiert werde, habe ich nicht geglaubt. Wie traurig für Dich, das arme Mädchen (an das man wirklich nicht wohl ohne einige Schwärmerei denken kann)." Julie heiratet 1869 einen italienischen Grafen. Brahms kann seine Liebe nicht zeigen und ist tief verstimmt, auch gegenüber Clara. Juli stirbt bei der dritten Schwangerschaft. Clara gibt derweil ein Konzert in Heidelberg.
Emil (1846 - 1847) stirbt noch im ersten Jahr nach der Geburt
Ludwig (1848 - 1899) Leidet am meisten unter der Abwesenheit erst des Vaters und dann der Mutter. Kommt 1856 in ein Internat in Bonn. Schulschwierigkeiten, möglicherweise aufgrund nicht erkannter Hör- und Sehschwierigkeiten. Kommt dann zum alten Wieck. 1870 schwer krank. Kommt nach Colditz, einer der schlimmsten Irrenanstalten Deutschlands, das als Arbeitshaus für Landstreicher aufgegeben werden musste und nun für die Irren gut genug war. Clara besucht ihn 1875 und 1876, nachweislich dreimal, danach nicht mehr. Holt ihn dort aber nicht heraus. Ludwig erblindet völlig. In einem Brief an ihre Kinder erläutert Clara im Juli 1889 ihre Erbpläne, darin heißt es zu Ludwig: "Unser armer Ludwig ist ja aus dem lebendigen Leben durch die gänzliche Umnachtung seines Geistes als geschieden zu betrachten. Für seine Erhaltung wird das Pflichtteil (das heißt die Zinsen davon) wohl hinreichen."
Ferdinand (1849 - 1891) Kommt 1856 mit Ludwig nach Bonn. Als Ludwig in der Schule versagt, darf er zur Mutter nach Berlin, die allerdings 10 Monate pro Jahr unterwegs auf Konzertreisen ist. Banklehre. 1870-71 im deutsch-französischen Kriegs, allerdings nicht bei Kampfhandlungen. Heiratet 1873 Antonie Deutsch. Ab 1880 schwerer Rheumatismus. Wird mit Morphium behandelt, Ferdinand wird süchtig. Clara unterstützt die Familie finanziell, aber nur unter der Bedingung, dass wie in ihrer eigene Familie die 7 Kinder an viele Orte verteilt und die Familie zerrissen wird. Als Ferdinand stirbt, ist er von den Kindern getrennt. An der Beerdigung nimmt Marie statt Clara teil.
Eugenie (1852 - 1938) Wird erst von den Schwestern erzogen, dann in einem Internat bei Frankfurt. Leidet dort sehr unter einer äußerst rigiden Erziehung. Anschließend in einem der seinerzeit fortschrittlichsten Mädchenpensionate unter der Leitung von Henriette Schrader-Breymann. Klavier-Studium in Berlin. Lernt dort die Sängerin Marie Fillunger kennen, mit der sie dann eine lebenslange Partnerschaft verband. Clara und Brahms hatten nichts dagegen einzuwenden. Beide leben in Frankfurt mit Eugenies Mutter und Schwester Marie. Als es 1889 zum Krach kommt, folgt Eugenie ihr nach London. Nach Claras Tod ziehen die Schwestern und Marie Fillunger wieder zusammen. Veröffentlicht 1925 Erinnerungen an die Geschwister und Clara.
Felix (1854 - 1879) Kommt 1856 zur Großmutter nach Berlin. Will Musiker werden. Clara ist dagegen. Schwindsucht. Studiert in Heidelberg. Dort geht es ihm gut. Wird aber wieder krank und geht zur Mutter nach Frankfurt. Stirbt dort sehr jung. Clara gibt in der Nacht vor seinem Tod ein Konzert, Marie nimmt ihr die Pflege des Kranken ab, der im Todeskampf furchtbar gelitten hat.
Doch schließen möchte ich mit einem Stück von Schumann, das mir besonders gefällt: "Vogel als Prophet". Lange Jahre hatte Schumann nicht mehr für das Klavier komponiert, bis dann 1848 das "Album für die Jugend" und die "Waldszenen" entstanden. Der "Vogel als Prophet" wurde erst nachträglich im Januar 1849 den anderen acht Stücken hinzugefügt. Wie schon die Toccata op. 7 fällt es völlig aus dem gewohnten Rahmen.
Max Ernst: "Was für ein Vogel bist du?"; Link: images.art
Schumann hatte nach Abschluss der Komposition geplant, allen Stücken literarische Motti voranzustellen, sie später jedoch außer für die "Verrufene Stelle" wieder gestrichen. Für den "Vogel als Prophet" war "Hüte dich! Sei wach u. munter!" nach Eichendorff vorgesehen. Der gesamte Zyklus erhielt als Motto: "Komm mit, verlaß das Marktgeschrei, / Verlaß den Qualm, der sich dir ballt / Um's Herz, und athme wieder frei; / Komm mit uns in den grünen Wald" (aus "Die Waldlieder" von Gustav Pfarrius, im gleichen Jahr 1850 erschienen).
Die wahre literarische Quelle scheinen mir jedoch die "Kreisleriana" von E.T.A. Hoffmann zu sein, die Schumann bereits 1838 zu dem gleichnamigen Zyklus inspiriert hatten. Im letzten Stück "Johann Kreislers Lehrbrief" findet sich die Erzählung des jungen Chrysostomus ( online ) von einem "Wald voll Ton und Gesang", die alle Motive der "Waldszenen" enthält. Besonders "Vogel als Prophet" scheint mir wesentlich besser die Musikauffassung Hoffmanns zu treffen als die früheren "Kreisleriana", die stärker auf die zerrissene Persönlichkeit abzielen. Zugleich weist diese Erzählung von Hoffmann mit ihrer Rede von Gesängen und Geisterstimmen auf die letzten Stücke Schumanns vor seiner Einlieferung nach Endenich.
Die Veröffentlichung zog sich lange hin, weil Schumann in Dresden keine auf Dauer befriedigende Anstellung fand und sich zum Umzug nach Düsseldorf entschloss. "Vogel als Prophet" zeigt die innere Umbruchsituation - und ist vielleicht auch prophetisch, wenn an das nahe Unglück in Düsseldorf gedacht wird?
Der Wald war eine romantische Metapher der Weltflucht. Zur Zeit von Schumann befindet sie sich schon im Übergang zu einem harmloseren, idyllischen Verständnis, wohl nochmals verstärkt nach der gescheiterten 1848er Revolution, so auch in den Versen von Pfarrius. Schumann hat das teils gespürt, wie seine Unsicherheit bei der Auswahl literarischer Texte zeigt, und teils mitgemacht. Doch der "Vogel als Prophet" steht gegen diese Tendenz.
Jürgen Uhde und Renate Wieland charakterisieren dieses Stück sehr schön in ihrem Buch "Denken und Spielen":
"Ist dieser Vogel Prophet, so spricht er wahr, aber die Wahrheit ist rätselhaft. Seine Stimme steht merkwürdig indifferent zwischen Sprache und Tanz; die Melodie bleibt durch die dissonanten langen Vorhalte, Boten fremder Tonalität, selber wie fremd, und so hält sich in dieser Stimme ein abseitiger, beunruhigender Ton. Vom Interpreten ist nicht gefühlvolles Espressivo, sondern eine Haltung des Lauschenden gefordert. (...) So entsteht hier ein Fragment subjektiven Ausdrucks, der gewaltlos wieder im Naturlaut, dem unverändert rätselhaften, untergeht. Gegenüber der subjektiven Sprache behält hier gerade in einem romantischen Stück das Objektive das letzte Wort." (S. 418)
Dass dieses Stück etwas getroffen hat, das bis heute hochaktuell ist, zeigt der sehr unterschiedlich aufgenommene Roman "Mister Aufziehvogel" von Haruki Murakami, erschienen 1994 in Japan. Der Erzähler lebt in einer unwirklich konstruierten Welt Ende des 20. Jahrhunderts, aber sein Schicksal ähnelt in Grundzügen dem von Schumann. Er kommt mit seiner Arbeit nicht klar, wird von seiner Frau verlassen und wird von obsessiven, erotischen Angst-Träumen heimgesucht, als deren innerer Grund sich die verdrängten Erzählungen über die Kriegsgräuel erweisen, der Entfesselung des Bösen in der modernen Welt. Auch Schumann war in einer Nachrkriegszeit aufgewachsen. Medium der Träume ist bei Murakami eine eigenartige Frauengestalt, Kreta Kano, die gegen ihren Willen die Macht bekommen hat, Träume zu steuern, sich dadurch als "Prostituierte des Geistes" fühlt. Sie spricht "mit leiser, aber durchdringender Stimme, wie der Prophet-Vogel, der im Wald lebt".
Beatrix Borchard: Clara Schumann, Ihr Leben, Berlin 1991
Auszüge aus den von Litzmann veröffentlichten Briefen und Tagebüchern. Die Kürzungen betreffend Schumanns Zeit in der Irrenanstalt erscheinen mir recht parteiisch, jedoch gegenüber dem Schicksal von Schumanns Kindern hat sie mehr Mitgefühl und zitiert ausführlich aus den Erinnerungen von Eugenie Schumann, der jüngsten Tochter.
Peter Härtling: Schumanns Schatten, Köln 1996
Eine subjektive Sicht, die jedoch sehr zum Nachdenken und zum Einfühlen in die Person anregt. Gerade als Einstieg sicher gut geeignet. Vieles darf nicht allzu wörtlich genommen werden und zeigt stärker eine Gegenwartsbiographie denn Schumann. Das macht es aber auch wieder so anregend. Der Leser muss halt mitdenken und das rechte Maß an Distanz wahren.
Dagmar Hoffmann-Axthelm: Robert Schumann 'Glücklichsein und tiefe Einsamkeit', Stuttgart 1994
Sehr spannend geschrieben und unbedingt empfehlenswert, wenn auch bisweilen recht psychologisch. Nur was die Zeit in Endenich betrifft, ist sie wie blind.
Catherine Kautsky: Music, Magic, and Madness: Tales of Hoffmann, Schumann and Kreisler
http://www.music.wisc.edu/uploads/media/KautskyKreisler.pdf
Dieter Kühn: Clara Schumann, Klavier - ein Lebensbuch, Frankfurt 1998
Bemerkenswert vor allem seine Darstellung des Schicksals der Schumann-Kinder
Akio Mayeda, Klaus W. Niemöller, Bernhard R. Appel (Hg.): Robert Schumann in Endenich (1854-1856). Krankenakten, Briefzeugnisse und zeitgenössische Berichte. Schott-Verlag, Mainz 2006
Dies Buch macht erstmals vollständig die erhalten gebliebenen Teile des Krankenberichts von 1854 - 56 sowie zahlreiche weitere Briefe und Dokumente zugänglich.
Uwe Henrik Peters ist in seinen "Erläuterungen zum Endenicher Krankenbericht Schumanns" Punkt für Punkt der Frage nachgegangen, ob von einer Syphilis-Erkrankung ausgegangen werden kann: Über Halluzinationen wird 14mal berichtet, doch meistens nur sehr ungenau. Von Depression ist nirgends, von Melancholie nur am 25.12.1854 (einen Tag nach dem ersten Besuch durch Joachim) und am 12.9.1855, dem Hochzeitstag, die Rede. Die Sprechstörungen entsprechen nicht dem bei Progressiver Paralyse typischen Bild. Die Pupillenstörungen sind ungesichert. Die Befunde an Schumanns Leiche entsprechen nicht wie von Richarz dargestellt dem syphilitischen Bild, wie es Guislain beschrieben hat. Die Tagebuch-Berichte von 1831 deuten eher auf eine Ansteckung mit Herpes oder den weichen Schanker denn auf Syphilis. - Siehe hierzu jetzt eine zusammenfassende Darstellung von Peters im Ärzteblatt.
Barbara Meier: Robert Schumann, rowohlt monographie, Reinbek 1995
Berthold Litzmann: Clara Schumann, ein Künstlerleben, 3 Bd., Leipzig 1902-08
Das Standardwerk über Clara Schumann, die einzige Quelle ihrer Tagebücher, die wahrscheinlich anschließend von ihrer Tochter Marie vernichtet wurden. Daher bis heute die einzige ausführliche Information über Robert Schumanns Selbstmordversuch und Einlieferung nach Endenich. Aber auch zahlreiche Briefe an Brahms und die Kinder.
Uwe Hendrik Peters: Depression oder schöpferische Krise? Etwas Grundsätzliches am Beispiel von Rilke und Schumann
in: Herman Lang, Hermann Faller, Marion Schowalter (Hg.): Struktur - Persönlichkeit - Persönlichkeitsstörung, Würzburg 2007
Peters versteht Schumanns "Schwermut" als die minder schwere, schöpferische Melancholie, wie sie seit der Antike von der schwarzen Melancholie unterschieden wurde. Erst in der amerikanischen Psychiatrie wurde diese Unterscheidung zugunsten einer einheitlichen, mittleren Melancholie aufgegeben.
Dieter Schnebel: Rückungen - Ver-rückungen
Psychoanalytische Betrachtungen zu Schumanns Leben und Werk
in: Musik-Konzepte, Sonderband Robert Schumann I, 1981
Enthält sowohl eine klare Übersicht über das Leben wie zahlreiche Werkanalysen und eine ungewöhnlich ausgearbeitete Zeitübersicht
Eugenie Schumann: Claras Kinder, Berlin 1999
ursprünglich 1925 als "Erinnerungen" veröffentlicht
Das ausführliche Nachwort von Eva Weissweiler kann als Fortsetzung ihrer Biographie über Clara Schumann angesehen werden und nimmt Bezug auf die bis 1995 weiteren veröffentlichten Werke.
Stiftung Akademie der Künste, Berlin (Hg.): Robert Schumanns letzte Lebensjahre, Berlin 1994
Ein Auszug aus den ärztlichen Protokollen, der jedoch nur 7 Seiten umfasst. Mehr war öffentlich bis 2006 nicht zugänglich. Diese Seiten schildern deutlich genug, wie es Schumann in Endenich ging. Der Kommentar von Franz Hermann Franken "Robert Schumann in der Irrenanstalt Endenich" liest sich dagegen wie ein Rechtfertigungsbericht, um das Tun früherer Ärzte zu verteidigen.
Michael Struck: Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Robert Schumanns, Hamburg 1984
Ausführliche musikalische Analyse der Werke und umfassende Dokumentation des Schriftverkehrs von Clara, Brahms und Joachim sowie Aufführungsgeschichte. Dies Buch ist jedem zu empfehlen, der tiefer in diese Materie eindringen will.
Leo Tolstoi: Der Tod des Iwan Iljitsch
Gehört eigentlich nicht hierher, hat aber meine Einstellung zu den Ärzten bestärkt. Verhältnis von Krankheit und Politik.
Jürgen Uhde, Renate Wieland: Denken und Spielen, Kassel 1988
Eva Weissweiler: Clara Schumann: Ein Biographie, Hamburg 1991
Dort finden sich all die Fragen, die sonst nicht gestellt werden. Das provozierte natürlich Vorwürfe, z.B. bei Die Tonkunst. Zum besseren Verständnis siehe auch ein Interview über die Biographie.
Beim Surfen durch das Internet fand ich diese Seiten mit zum Teil recht konträren Standpunkten:
"In meinen Tönen spreche ich zu Dir", Bericht über einen Vortrag von Sucharit Bhakdi Link
Wilhelm Otto Deutsch: Der Tod und Johannes Brahms Link
Caspar Franzen: Robert Schumann (1810-1856): "Qualen fürchterlichster Melancholie" Link
Wolfram Goertz: Das eiskalte Genie Link
Wolfram Goertz: Der Endenicher Patient Link
Mit Berufung auf zwei international ausgewiesene Syphilis-Experten, Hans-Jochen Hagedorn (Herford) und Hilmar Prange (Göttingen), soll Uwe-Hendrik Peters' Stellungnahme widerlegt werden, dass es keine schlüssigen Nachweise für eine Syphilis-Anstreckung gibt. Entscheidend ist die Auswertung des Tagebuchs von 1831. Die detaillierten Erläuterungen von Peters werden jedoch nicht diskutiert.
Siegfried Kasper: Zwischen Genie und Wahnsinn: Der Komponist Schumann Link
Lindsay Moore: Robert Schumann: Did you know ...? Link
POX: Genius, Madness, and the Mysteries of Syphilis, aus dem Kapitel über Robert Schumann Link
Joachim Strunkeit: Joseph Joachim Link
© tydecks.info 2006 - Erstveröffentlichung im Tamino-Klassikforum, mehrere Beiträge 2005 - 2007, einige 2007 überarbeitet