Walter Tydecks

Island

ein anderer Weg aus der Finanzkrise
 

Druck einer Zahnbrücke
Island im Winter, aufgenommen vom NASA-Satelliten Aqua am 28. Januar 2004

 

Beitrag für das Nord-Süd-Forum am 18.6.2015 in Bensheim

 

Island

Auf Island leben ca. 325.000 Einwohner, also kaum mehr als im Kreis Bergstraße. Daher wird bisweilen bezweifelt, ob Island ein Modell für andere Länder sein kann. Meiner Meinung nach bietet gerade ein kleines Land wie Island beste Möglichkeiten, alternative Wege auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln, von denen andere profitieren können, auch wenn sie sich nicht eins zu eins übertragen lassen. Griechenland scheint unter der Regierung von Syriza große Anstrengungen zu unternehmen, für sich einen vergleichbaren Weg zu finden.

Landwirtschaft und Fischerei sind traditionell die beiden wichtigsten Wirtschaftszweige, wobei nur 30% der Fläche Islands bewachsen sind. Inzwischen hat es im Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner Finnland, Japan, Frankreich und Großbritannien überholt. Politisch zählt Island zu den Gründungsmitgliedern der NATO, verfügt jedoch über keine eigene Armee. 1940 besetzten britische Truppen das neutrale Land, um einer deutschen Besetzung zuvorzukommen. Die britischen Truppen wurden weitgehend von US-Truppen ersetzt, die jedoch 2006 überraschend abgezogen wurden. Seither kooperiert Island militärisch mit Norwegen. Es gehört weder der EU noch der Euro-Zone an, ist jedoch Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums EWR und des Schengener Abkommens (Wikipedia, abgerufen am 23.5.2015).

Ökonomisch lebt Island vor allem von der Fischerei und der Fischverarbeitung. Es verfügt dank Geothermie und Wasserkraft über große Energieressourcen und hat daher Vorteile beim Aufbau extrem energie-verbrauchender Industrie wie Aluminium.

Wirtschaftssektoren von Island

Wirtschaft von Island 2013
Wirtschaftssektoren und Export von Waren und Dienstleistungen, Quelle: Centralbank of Iceland, S. 14

Weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen

Hintergrund der turbulenten Entwicklung in Island sind drei große weltökonomische Veränderungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: die Deindustrialisierung der fortgeschrittenen Industrienationen, der schleichende Dominanz-Verlust der USA und die daraus resultierenden Strategien einer neuen, auf Finanzinnovationen beruhenden Weltökonomie, um die Vorherrschaft des Westens zu erhalten. Als Wendepunkt ist die Aufhebung der Goldpreisbindung des Dollar anzusehen, die 1973 nach dem verlustreichen Verlauf des Vietnam-Kriegs unvermeidlich wurde. Seither hat sich ein System flexibler Währungskurse entwickelt mit starken Schwankungen und großen Unsicherheiten. Das hat zum Aufblühen von Versicherungsindustrien und Währungsspekulationen geführt, die vor allem von den USA ausgehen, und in deren Windschatten Island für sich eine lukrative Sonderrolle suchte.

Commodity Price Indices

Deindustrialisierung der US-Ökonomie
Quelle: Wikipedia, abgerufen am 23.5.2015

Zum Vergleich: 2013 betrug der Anteil der Industrie nur noch in wenigen Ländern mehr als 20%, so in China (32%), Deutschland (22%), Tschechien, Slowakei, Slowenien, Ungarn und Weißrußland (um die 25%), und einigen anderen asiatischen Ländern wie Indonesien, Korea, Malaysia, Thailand (worldbank.org, abgerufen am 23.5.2015). In Island betrug er 8,8%, hinzukommen 10,7% für Fischerei und Fischverarbeitung.

Nicht weniger gravierend ist die Entwicklung des Goldpreises in Dollar. Während er 1930-70 in der Phase einer ständig wachsenden Stärke der US-Ökonomie fiel, ist es seither zu dramatischen Veränderungen gekommen. Das erfordert eine finanzielle Absicherung aller Exporte und ermöglicht unvorstellbare Gewinne und Verluste in der Währungsspekulation und allen darauf aufbauenden Finanzinstrumenten. Island ging es solange gut, wie es gelang, unter diesen Bedingungen die eigene Währung überzubewerten.

Goldpreis im 20. Jahrhundert

Goldpreis im 20. Jahrhundert
Quelle: Macrotrends, abgerufen am 23.5.2015

Wer unter solchen Bedingungen die Möglichkeit hat, die Preise früher als die anderen anpassen zu können, kann unermessliche Gewinne einsammeln. Das gilt solange für die USA, wie der Dollar vor allem dank seiner Stellung auf dem Ölmarkt faktisch die Weltwährung ist.

Aufstieg und Niedergang des »Bankhauses Island«

Das Geschäftsmodell Islands beruhte auf seiner besonderen Lage zwischen den USA und Europa. Es hat dank seiner Neutralität einen guten Ruf, dank seiner Nähe zu Europa sehr gute Beziehungen zu Sparern in Europa und durch seine Beziehungen zu den USA gute Finanzverbindungen. So lag es nahe, europäische Kunden anzusprechen, die weit mehr sparen als Amerikaner, und mit diesem Geld wiederum bei den amerikanischen Banken zu spekulieren. Europäische Sparer sehen Island und damit die Banken Islands eher als »heimische«, vertrauenswürdige Banken an als die Banken Amerikas, und die amerikanische Finanzwirtschaft war interessiert an allen Geldzuflüssen, mit denen dank der neuen Finanzinnovationen Geschäfte gemacht werden konnten.

Daher musste als erstes eine Deregulierung erfolgen, die die Banken von allen üblichen Finanzaufsichten befreite. Das geschah in Island 2001 (Wikipedia). Die Zentralbank Islands setzte die Zinsen extrem hoch auf bis zu 18%, während sie z.B. in Großbritannien unter 6% und in Deutschland knapp über 4% lagen (tradingeconomics). Den europäischen Sparern wurde ein Sparzins angeboten, der weit oberhalb der Zinsen in den jeweiligen Ländern lag. Er betrug über 5%. Das führte dazu, das bald 1 Million Europäer ihr gespartes Geld bei einer isländischen Bank hinterlegt haben, das sind dreimal so viel Menschen als Island Einwohner hat (Wikipedia).

Zinssatz in Island

Zinssatz von Island 2013
Quelle: tradingeconomics, abgerufen am 23.5.2015

»Die Ursache der Verschuldung isländischer Banken war: Die isländischen Banken boten für Sparkonten eine hohe Verzinsung. Viele Ausländer, vor allem Deutsche, Niederländer und Briten, eröffneten ein vermeintlich sicheres Konto bei einer der Onlinebanken, wie z.B. der Icesave Bank – einer Tochtergesellschaft der Landesbanki, eine andere solche Bank war Kaupthing Edge. Mit dem Geld wurden vorwiegend die internationalen Geschäfte der Banken finanziert. Außerdem wurden kurz vor der Krise Kredite an isländische 'Häuslebauer' in Milliardenhöhe vergeben. Das Prekäre dabei: Viele dieser Immobilienkredite waren in Euro oder Dollar notiert, was für die Kreditnehmer tragisch wurde, als die isländische Währung die Hälfte ihres Wertes verlor; die Schulden waren damit mit einem Schlag doppelt so hoch. Die Schulden der drei größten Banken beliefen sich zum Ausbruch der Krise auf das Fünffache des isländischen BIP. Unter dem Eindruck der Finanzkrise zeigte sich, wie schwer sich die isländischen Banken überhoben hatten; sie brachen schließlich unter der Last ihrer eigenen Verbindlichkeiten und der großen Zahl nicht bedienter Forderungen zusammen und mussten verstaatlicht werden« (Weltin, S. 7).

Dadurch wurde eine künstliche Nachfrage nach isländischer Währung erzeugt. Sie war schnell überbewertet. Das benachteiligte natürlich die isländische Industrie, deren Produkte im Export viel zu teuer waren, und ebenso den isländischen Tourismus, da ein Urlaub auf Island nahezu unbezahlbar war. Der Fischfang halbierte sich von 2003-2008 auf 1.000 to jährlich und erholt sich seither wieder. Das Geld wurde aber auch angelegt für den Aufbau energie-intensiver Industrien (vor allem Aluminium), die von 2006-2010 auf mehr als das Dreifache gewachsen sind und seither diesen Stand halten können. Hier machte sich der konsequente Einsatz der Geothermie bezahlt, die seit 1995 systematisch ausgebaut wird. Island bezog 2012 85% seiner Energie aus erneuerbaren Quellen (Centralbank of Island, S. 17-19).

Und es ermöglichte den Isländern, außerordentlich günstig im Ausland Schulden zu machen. Sie liehen sich Geld in ausländischer Währung und vertrauten darauf, dass die eigene Landeswährung ständig weiter steigen würde. Die Verschuldung der isländischen Bürger betrug im Schnitt 213% des Jahreseinkommens. Das überstieg sogar die Werte aus den USA, dem Land, in dem sich die Bürger ebenfalls aus ähnlichen Motiven hoch verschulden. Dort liegt sie bei ca. 150% (Wikipedia). Dadurch wurden für die isländischen Schuldner extrem niedrige Schuldzinsen möglich, und in Island brach ein binnenländischer Bauboom aus, um sich mithilfe des billigen Geldes den Lebensstandard zu erhöhen.

Das System funktionierte solange, bis es zu einer weltweiten Bankkrise kam und alle Zinsen radikal fielen. Mit einem Mal verloren die isländischen Banken die Möglichkeit, die mit den aus den Sparguthaben begonnenen spekulativen Anlagen fortzuführen. Stattdessen kam es zu großen Verlusten. Die isländische Währung stürzte ab, die Isländer konnte ihre in Fremdwährung aufgenommenen Schulden nicht mehr zurückzahlen und die europäischen Sparer wollten ihr Geld zurück. Wie dramatisch die Entwicklung war, zeigt der isländische Aktienindex, der von einem Kurs bei 9.000 auf unter 300 fiel (Wikipedia).

Vor der Krise hatte Island eine Staatsverschuldung von 28% des BIP und einen Haushaltsüberschuss von 6% des BIP (Wikipedia). Es besaß ein Top-Rating (Tripel-A) und nahm den Spitzenplatz im Human Development Index ein (Weltin, S. 1, 4).

2008 betrug die Auslandsverschuldung von Island 50 Mrd. €, davon 80% bei den Banken. Das ist das Vielfache des jährlichen Bruttoinlandsprodukt von 8,5 Mrd. € (Wikipedia).

Die Staatsschulden betrugen allerdings auf dem Höhepunkt der Krise nur 101% gemessen am BIP 2014, in Griechenland dagegen auf dem bisherigen Höhepunkt der Krise 2014 175%. Das liegt daran, dass der isländische Staat die Bankschulden nicht übernommen hat.

Staatsschulden von Island   Staatsschulden von Griechenland

Staatsschulden von Island und Griechenland 1996-2014 gemessen am BIP 2014
Quelle: tradingeconomics, abgerufen am 23.5.2015, siehe auch Centralbank of Iceland, S. 51

Islands Lösung

Alle Devisentransaktionen waren wochenlang gesperrt. Importeure werden scharf kontrolliert. Ausländische Währung darf nur für lebenswichtige Produkte wie Nahrungsmittel, Medikamente und Öl genutzt werden (Wikipedia).

Im Oktober 2008 fragt Island Rußland und die EZB an, ob es Kredite bekommen kann. Zugleich erhielt Island Unterstützung durch Dänemark und Norwegen. Nachdem Hilfe aus Rußland greifbar schien, bekam Island im November 2008 einen 4,75 Mrd. US-Dollar Kredit vom IWF ohne die üblichen Auflagen (Wikipedia).

Ab November 2008 kam es zu ständig größeren Straßendemonstrationen (»Kochtopf-Revolution«), die zum Rücktritt der Regierung und Neuwahlen führten (Bernburg, Berger 2012, Ströbele). Island hat eine sehr hohe Beschäftigungsquote und einen sehr hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von 85% (Centralbank of Iceland, S. 25f).

Die Banken wurden nicht verstaatlicht, sondern unter Zwangsverwaltung gestellt. Der künstlich aufgeblähte Banksektor musste einschneidend verkleinert werden. Die Bilanzsumme der Banken betrug zum Zeitpunkt der Krise das Zehnfache des isländischen Bruttosozialprodukts und wurde bis 2012 auf das Doppelte des isländischen Bruttosozialprodukts heruntergefahren. (IMF).

»Ein Notstandsgesetz wurde erlassen, das es der Regierung erlaubte, alle Einlagen und Vermögenswerte von den gescheiterten Banken auf neue Banken zu verlagern. Es wurden Kapitalkontrollen eingeführt, und Mitte 2009 waren 93% des Finanzsektors verschwunden.« (Sigfússon)

Good Banks statt Bad Banks. Lebensnotwendige Aufgaben der Banken für die Einleger werden in Good Banks übertragen und staatlich verwaltet, toxische Geschäfte bleiben bei der Bank und gehen zulasten von deren Gläubigern, die in diese Banken investiert hatten (Berger 2012).

Ausländischen Kunden wurde die Auszahlung der extrem überhöhten Guthabenzinsen gekündigt. Großbritannien reagierte darauf mit dem Anti-Terror-Gesetz, nachdem es sich entschieden hatte, aus dem britischen Haushalt die Einleger zu entschädigen und das Geld auf staatlicher Ebene in Island wieder einzufordern. Um die Entschädigungsforderung abwehren zu können, wurden sie nach zwei Referenden 2010 und 2011 per Gesetz abgelehnt. Im Januar 2013 hat Island den »Icesave-Prozess« beim EFTA-Gerichtshof gewonnen. (Berger 2012, Berger 2013).

Die Verluste der Pensionsfonds könnten 15-25% betragen (Wikipedia). Island hat sich entschieden, das Pensionssystem stärker vom Finanzsektor abzukoppeln und auf Finanzierung durch Steueraufkommen umzustellen. Damit wird einem wesentlichen Druckmittel entgegengearbeitet, das vom Bankensektor auf den Staat ausgeübt wird (Centralbank of Iceland, S. 26f).

Kürzung von Pensionen und Renten der Oberschicht, Erhöhung der Mindestrente (Berger 2012).

»Die Rentenreform bedeutete eine Abschwächung des Äquivalenzprinzips, welches die staatlichen Rentenzahlungen an das Einkommen bzw. die geleisteten Beitragszahlungen koppelt. Auch die Kürzungen beim Kindergeld sowie beim Elterngeld konzentrierten sich auf die höheren Einkommen, indem diese Zahlungen stärker an der Bedürftigkeit ausgerichtet und somit mit steigendem Einkommen zurückgefahren wurden« (Bandau, S. 449).

Lohnkürzungen von 14% der Beschäftigten, Arbeitszeitreduzierung von 7% (Wikipedia). Die Arbeitslosenquote stieg von unter 2% im Jahr 2007 auf bis über 9% 2011 und ist seither bis 2014 auf 4% gefallen (tradingeconomics).

Steuererhöhungen:

»Wir führten eine dreistufige Einkommensteuer ein, die die mittleren und höheren Einkommensgruppen höher belastete. Wir erhöhten die Kapitalertragsteuer und die Unternehmenssteuern. Wir führten eine CO2-Steuer ein und erhöhten die Alkohol- und die Tabaksteuer. Tatsächlich gab es somit nur sehr wenige Dinge, deren Steuern wir nicht erhöhten. Wir führten sogar eine Vermögenssteuer für die reichsten Familien ein.« (Sigfússon)

Die Sozialversicherungsbeiträge wurden von 5,34% auf 7% und später 8% erhöht (Bandau, S. 448).

Mit diesen Maßnahmen waren alle Schichten beteiligt. Zugleich wurde einiges unternommen, um den drohenden wirtschaftlichen Ruin der meisten Isländern aufgrund ihrer Überschuldung abzuwenden und ihre wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zu erhalten:

Fremdwährungskredite wurden rückwirkend für gesetzwidrig erklärt. Dadurch werden die Anleger vor dem Ruin gerettet (Berger 2012).

Die Hypothekendarlehen des Privatsektor wurden per Gesetz auf 110% des Wert der versicherten Immobilie reduziert (Berger 2012). Die Banken mussten alle Kredite, die darüber hinaus gingen, abschreiben. In der Krise sind die Immobilienpreise um 40% gefallen, nachdem sie sich in den 1990ern vervierfacht hatten (Weltin, S. 4). Mehr als ein Viertel der Isländer bekam einen Teilschuldenerlass, der 13% des BIP entspricht (Berger 2012).

Die Entwicklungshilfe für andere Länder wurde von 0,31 auf 0,27% des Bruttosozialprodukts gekürzt (Wikipedia).

Verfahren gegen die verantwortlichen Banker wegen Wirtschaftskriminalität, Korruption und Bestechung mit zum Teil mehrjährigen Haftstrafen ((Wikipedia)

Vom Parlament wurde eine »Wahrheitsfindungskommission« eingerichtet, die einen 2.400 Seiten umfassenden Bericht erarbeitet hat, in dem die auf Island lange Zeit herrschende Vetternwirtschaft weniger Familien kritisiert wurde (Tobias Kaiser).

Die reichsten Familien Islands haben ihr gesamtes Vermögen verloren oder den größten Teil. Es gibt keine Milliardäre mehr auf Island (FAZ vom 20.3.2013).

Die Staatsschulden konnten inzwischen stark abgebaut werden (siehe Graphik oben). Zur Entlastung der Staatsausgaben trägt bei, dass Island kein Militär unterhält, Vollbeschäftigung erreicht ist und die Bevölkerung im Vergleich zu anderen Industrieländern relativ jung ist.

Der größte Teil der isländischen Schulden liegt jedoch im nicht-staatlichen Bereich, da der Staat konsequent keine Schulden übernommen hat. Mit »Corporate Debt« werden alle nicht-staatlichen Schulden zusammengefasst. Auch sie können inzwischen stark abgebaut werden.

Corporate Debt von Island

Nicht-staatliche Schulden von Island 2003-2013
Quelle: Centralbank of Iceland, S. 74

Dies Bild zeigt noch einmal deutlich, in welcher Weise Island bisher einen entgegengesetzten Weg als Griechenland gegangen ist. Die Lösung von Island lässt sich daher zusammenfassen: Der Staat hat nur in geringem Maß Schulden der Wirtschaft oder von Privathaushalten übernommen, mit seiner Gesetzgebung jedoch dazu beigetragen, dass sich die Privathaushalte wieder allmählich entschulden können.

Jens Berger (nachdenkseiten.de) hält jedoch eine Übertragbarkeit nur für bedingt gegeben: Island verfügt über eine eigene Währung, besaß als nordisches Land einen Vertrauensvorschuss beim IWF, erhielt Unterstützung durch skandinavische Banken, Rußland und Polen und verfügt über eine starke Exportwirtschaft (Aluminium, Fischerei), die nach der Abwertung aufblühte. Als Lehren sieht er, dass »das Finanzsystem« Staaten schätzt, »die ihre Realwirtschaft ankurbeln«, und »dass das deutsche Austeritätsdogma« gescheitert ist (Berger 2012). Wird das Verhalten des »Finanzsystems« gegenüber Griechenland gesehen, ist die Aussage wohl etwas zu relativieren. Es sind bestimmte Vertreter wie Paul Krugman und Vertreter des IWF, die den Weg Islands unterstützt haben, doch gibt es andere Kräfte mit gegenteiliger Meinung. Für mich stellt sich die Frage, warum in Island erreicht werden konnte, dass die Banken anders als etwa in Griechenland ihre Forderungen zurückgestellt haben. Mögliche Antworten: Island ist kleiner; der Imageschaden einer Pleite Islands, für die die Banken unmittelbar verantwortlich gemacht werden können, erschien daher den Banken größer; Island ist nicht gebunden an die EU; die geopolitische Lage Islands erscheint möglicherweise kritischer.

Nachdem die Wirtschaftspolitik Islands von der deutschen Wirtschaftspresse überwiegend positiv gesehen wurde, häufen sich jetzt kritische Stimmen, die Island vorwerfen, sich nicht der EU anzuschließen. Offenbar würden viele Island gern wieder enger einbinden. In Island wird inzwischen über weitergehende Reformen nachgedacht. Derzeit wird die Einführung eines Vollgeldsystems diskutiert, wonach die Banken alle Kredite 100% absichern müssen (Polleit, Stelter). Das ist zwar ebenfalls umstritten, aber es besteht keine Frage, dass gravierende Änderungen des Banksystems notwendig sind.

Literatur und Links

Frank Bandau: Wer zahlt für die Krise? Die Politik der Schuldenbekämpfung in Island und Großbritannien
in: dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management, 6. Jg., Heft 2/2013, S. 441-461; Link

Jens Berger: Island – ein Fanal der Hoffnung in Zeiten der Krise
in: Nachdenkseiten, 4. Juli 2012; Link

Jens Berger: Island siegt im 'Icesave-Prozess'
in: Nachdenkseiten, 31. Januar 2013; Link

Jón Gunnar Bernburg: Financial Crisis and Protest in Iceland October 2008 - January 2009
in: CritCom 22. Mai 2014; Link

Central Bank of Iceland: Economy of Iceland, Report 2014; Link

IMF: Iceland's Recovery: Can the Lessons Be Applied Elsewhere?
Interview mit Julie Kozack (IMF's mission chief for Iceland)
in: IMF Survey, 24.10.2011 ; Link

Tobias Kaiser: Islands Quarantäne könnte in die Katastrophe führen
in: Welt, 6.9.2014; Link

Thorsten Polleit: Island denkt über "Vollgeldsystem" nach
in: Goldseiten.de, 13.4.2015; Link

Tim Rahmann: Island droht der nächste Knall
in: WirtschaftsWoche, 26.4.2013; Link

Florian Rötzer: EU? Nein danke
in: Telepolis, 22.2.2014; Link

Richard Schütze: Inseldenken
in: The European, 5.8.2013; Link

Steingrímur Sigfússon (Wirtschaftsminister Islands): Rede in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 26. Juni 2012; Link

Daniel Stelter: So lösen sich Schulden in Nichts auf
in: Cicero, 8.4.2015; Link

Carolin Ströbele: "Jetzt kommt die Wut geballt heraus"
in: Zeit, 19.2.2009; Link

Andreas Wehr: Island nach dem Crash
in: Junge Welt, 12.10.2011; Link

Patrick Weltin: Island / Irland, Wie aus Privatschulden Staatsschulden werden – oder auch nicht
in: erlassjahr.de, Fachinformation No. 36, Düsseldorf 2012; Link

Wikipedia: Islands Finanzkrise; Link

Wikipedia: Islands Wirtschaft; Link

Bildnachweis:

Iceland satellite von Jeff Schmaltz – Quelle. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons – Wikimedia

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