Walter Tydecks

 

Das Zusammengehen der Begriffe in die Objekte

Erschienen in: Hilmar Kunath, Thomas Collmer (Hg.): Rollercoaster # 10, Hamburg, Ahrensburg 2017, S. 13-30

Objektivität als Denkbestimmung

Welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn kann es bringen, nicht nur von Logik, sondern von der Objektivität der Logik zu sprechen? Gilt die Logik nicht schon an sich objektiv, und warum soll es nicht genügen, von »logisch« oder »wahr« zu sprechen ohne den Zusatz »objektiv logisch« oder »objektiv wahr«?

Objektivität entsteht für Hegel als Negation der Subjektivität. Das Subjekt erhält in der Logik eine Vielzahl von Rollen. Es tritt als Satzsubjekt auf, dem Prädikate zugeschrieben werden, als das Ich, das alle Sätze begleitet, und als Handlungs- und Sprachsubjekt, das der Sprache mächtig ist, über die Kraft der Logik verfügt, in der Gemeinschaft von Menschen kommuniziert und an allen seinen Worten mit seinen Gefühlen beteiligt ist. Hegel hat aus immer neuen Perspektiven die Geschichte des Subjekts geschrieben, als Erziehungsgeschichte, Geschichte philosophischer Begriffe, verwoben mit der Geschichte des menschlichen Denkens von ihren Anfängen bis zu seinen Zeitgenossen, bis zur logischen Geschichte des Subjekts als selbstreflexive Denkbestimmung, ohne die es kein Denken gibt (siehe den Beitrag zur logischen Konstruktion des Subjekts).

In der Wissenschaft der Logik gibt es daher wie in einer persönlichen Biographie Höhepunkte und Krisen. Einer der dunkelsten Punkte wird erreicht, wenn sich nicht nur die Logik, sondern mit ihr das logisch denkende Subjekt in die Ausweglosigkeit des Widerspruchs zu verfangen droht. Da geht es um nicht weniger als um Leben und Tod, oder genauer um Lebendigkeit und Verzweiflung, nach Kierkegaard die Krankheit zum Tode. »Etwas ist also lebendig, nur insofern es den Widerspruch in sich enthält, und zwar diese Kraft ist, den Widerspruch in sich zu fassen und auszuhalten.« (HW 6.76)

Wenn das Denken Krisen dieser Art ausgestanden hat, schwingt es sich auf zum ozeanischen Gefühl der Grenzenlosigkeit. Alles scheint ihm möglich, und es gibt nichts, das ihm Widerstand leisten könnte. Doch in dem Moment, wenn das Denken im Bewußtsein seiner eigenen Subjektivität wie in einen Rausch gerät und von der vermeintlichen Allmacht seiner Freiheit überbordet (»Wie es die freie Macht genannt worden, so könnte es auch die freie Liebe und schrankenlose Seligkeit genannt werden« HW 6.277), sieht es sich unversehens zwei Gefahren ausgesetzt, und alles droht zu kippen: Je bewusster es sich der eigenen Subjektivität versichert, sieht es sich schutzlos dem Zweifel ausgeliefert, dass es möglicherweise gar nicht es selbst ist, welches denkt, sondern dass es von einem unterliegenden, fremdem Subjekt gesteuert wird und in dessen Regeln und Bestimmungen gebannt ist (sei dies der Dämon, von dem sich Descartes geplagt fühlte, oder der Leib oder das Es, von dem sich nach Hegel die von Nietzsche und Freud gegründeten Richtungen getrieben sahen). Und zugleich läuft es Gefahr, dass sich alle seine frei ersonnenen Ergebnisse als bloßes Hirngespinst, als Nichts erweisen und gegenüber der harten Realität (dem Realen) bedeutungs- und wirkungslos in sich zusammenfallen.

In diesem Moment entsteht die Objektivität als Negation der Subjektivität. Das denkende Subjekt sieht sich radikal in Frage gestellt und wendet die von ihm entwickelte Negativität gegen sich selbst. Hatte es zuvor mittels der Negativität alles zu durchdringen und transparent zu machen verstanden, scheint nun in seinem eigenen Innern ein undurchschaubarer blinder Fleck zu sitzen. Wie lässt er sich auflösen? Hegel findet die Antwort bei Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) der 1794-95 in Jena während seiner Arbeit an der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre auf die gleiche Frage gestoßen war. Er war wie Hegel und dessen Studienfreunde Schelling und Hölderlin begeistert von der Konsequenz der Substanz-Philosophie von Spinoza. Doch von Hölderlin kam Kritik. Hölderlin hörte Fichte während seines Aufenthalts in Jena von November 1794 bis Mai oder Juli 1795 und hielt ihm vor, ähnlich wie Spinoza das Ich absolut zu setzen und alle Realität im Ich zu sehen. Hölderlin war dagegen überzeugt, dass es nur ein Ich geben kann, wenn ihm Objekte gegeben sind, die außerhalb des Ich liegen und über eine eigene Realität verfügen. Fichte reagierte darauf und gab seiner Wissenschaftslehre eine neue Wende. Er sah ein, dass es nur ein Denken geben kann in Beziehung auf außer ihm stehende Objekte. »Der letzte Grund aller Wirklichkeit für das Ich ist demnach nach der Wissenschaftslehre eine ursprüngliche Wechselwirkung zwischen dem Ich und irgend einem Etwas ausser demselben, von welchem sich weiter nichts sagen lässt, als dass es dem Ich völlig entgegengesetzt seyn muss.« (Fichte, 279, auch zitiert bei Scheier, 149). Violetta Waibel hat diese kritische Phase der Philosophiegeschichte bis ins Einzelne dokumentiert.

Bei aller Kritik an Fichte hat Hegel diesen Grundgedanken aufgenommen und umgearbeitet in seine Wissenschaft der Logik. Die Logik handelt für ihn nicht wie die Realwissenschaft von den dem Menschen gegenüberstehenden Sachen, sondern von den Denkbestimmungen. Es ist für ihn eine eigene Denkbestimmung, dass alles Denken nicht nur jeweils ein Etwas denkt, das sowohl ein realer Gegenstand wie auch ein reines Gedankengebilde sein kann (eine Gegebenheit im Sinne von Husserl), sondern dass es nur denken kann, weil es ein  Gegenüber  gibt, auf das es sich bezieht und an dem es eine Grenze findet, sei dies der Widerstand der Sache, das Andere der Vernunft oder in der Sprachweise von Kant das Ding-an-sich. Es genügt nicht, etwas zu denken, sondern das Denken muss sich auf etwas beziehen, das sein Objekt und die Sache des Denkens ist, die nicht aufgeht in dem Etwas, das im Gedanken ausgesprochen wird. Ohne kreative Spannung im Austausch mit einem Gegenüber ist kein Denken möglich. So wie es kein Denken gibt, das von niemanden gedacht wird, – das ist die Subjektivität als Denkbestimmung –, so gibt es kein Denken, das eine reine Selbstbeziehung auf sich wäre. Das Denken muss sich auf etwas beziehen, dessen ihm fremde Macht es spürt und worauf sich seine eigene Macht bezieht, die es erst in Wechselwirkung mit der Macht des Gegenüber erfährt und bestimmen kann. Um diese Macht geht es nach meinem Verständnis im Abschnitt über die Objektivität. Sie ist ebenso eine Denkbestimmung wie die Kategorien, Reflexionsbegriffe oder die Regeln der Urteils- und Schluss-Logik.

An diesem kritischen Punkt, an dem das Denken seine Fähigkeit der Negativität gegen sich selbst zu wenden hat und damit das Risiko eingeht, bis in die völlige Selbstauslöschung zu geraten, steht für Hegel die Frage nach der Objektivität. Die Objektivität negiert ein »bloß subjektives« Denken, das möglicherweise Ausdruck eines fremden Subjekts oder reiner subjektiver Willkür sein könnte. Stattdessen setzt Hegel alle Hoffnung und allen Glauben darauf, dass sich an dem Denken in seiner Subjektivität nachweisen lässt, wie es  an sich selbst  etwas trägt, an dem sich die Macht der Objektivität zeigt. Wenn es gelingt das nachzuweisen, dann braucht es keine Sorge zu haben, von einer fremden Macht überwältigt zu werden, sondern erkennt an seinen eigenen Denkbestimmungen, dass hier bereits diese Macht wirksam und erkennbar ist.

Sie kann nur in einer umfassenden Negativität sich selbst gegenüber erkannt werden und wird daher von vielen Interpreten Hegels gescheut, die den Abschnitt über die Objektivität mit seinen Ausführungen über den ontologischen Gottesbeweis als Rückfall in metaphysisches Denken ansehen, die Ausführungen über Teleologie und die Arbeitsmittel der Vernunft (aristotelisch gesprochen das organon) als instrumentelles Denken und die Lehre von der Objektivität im Ganzen als Verrat an der Subjektivität, als Abgleiten aus der Philosophie in die Realwissenschaft. Das ist bewusst übertrieben dargestellt, aber es soll zeigen, dass in meiner Deutung Hegel eine Kritik dieser Art geradezu provoziert hat und sie für eine ähnliche und gleichfalls notwendige Reinigung ansieht wie den Skeptizismus. Es ist meiner Ansicht nach verfehlt, gegenüber der Kritik an Hegels Ausführungen zur Objektivität diese zu verharmlosen und ihre Herausforderung oder den Ernst der Kritik daran kleinzureden. Das Denken spürt und erkennt an sich eine Macht, an der es zugleich erkennt, wie sie über das Denken hinausgeht. Diese Differenz aufzureißen und so klar wie möglich deutlich zu machen, ist Aufgabe des Abschnitts über die Objektivität.

Kant sprach vom transzendentalen Schein, der die Vernunft »wider alle Warnungen der Kritik, gänzlich über den empirischen Gebrauch der Kategorien wegführt und uns mit dem Blendwerke einer Erweiterung des reinen Verstandes hinhält«, und in Grundsätzen endet, »welche diese Grenzen überfliegen sollen« (KrV, B351-352). Trotz dieser Warnung ist Hegel geradezu systematisch auf diese Weise vorgegangen: Es war sein Anspruch, die Vorgehensweisen und Prinzipien des Verstandes zu erkennen und  an ihnen  zu zeigen, was über sie hinausgeht. Nach meiner Überzeugung steht und fällt seine Wissenschaft der Logik daher mit dem Abschnitt über die Objektivität, in dem er begründen will, dass es die von ihm ergriffene Objektivität ist, warum die Warnung Kants auf sein (Hegels) Denken nicht zutrifft. – Hegel erkennt, dass die Warnung Kants im Grunde für jedes spekulative Denken gilt. Die Macht des spekulativen Denkens ist für Hegel keine geheimnisvolle Macht, die sich einer unerklärlichen Eingebung oder Offenbarung verdankt (wie z.B. Jacobi annahm) oder unbemerkt vom Denken Besitz ergreift, sondern in der geduldigen Arbeit an der Sache gewonnen wird. Es geht für mich im Abschnitt über die Objektivität zentral um die Frage, was das spekulative Denken vom gewöhnlichen Denken unterscheidet. Während für den gewöhnlichen Kritiker das spekulative Denken als höchster Ausdruck willkürlicher Subjektivität erscheint (Herumspekulieren im Sinne von Herumfantasieren, oder Spekulieren als eine Art Glücksspiel wie an der Börse), zeigt sich für Hegel am spekulativen Denken die verborgene Macht der Objektivität, die am Denken schon immer enthalten war, aber erst in einer radikalen Kritik an einem formalen Denken ergriffen werden kann.

In einer Kritik wie der von Kant scheint das Denken in seiner Energie und seinem Übermut gebändigt werden zu müssen, soll es bei der Vernunft bleiben. Hölderlin hatte im Grund zum Empedokles die Kritik von Kant noch radikalisiert. Für ihn droht ein Denken, das glaubt, sich jeden Stoff unterwerfen zu können und unterwerfen zu müssen, in seinem Machtwillen unbemerkt im eigenen Innern von der Wildheit dessen ergriffen zu werden, das es angeblich und scheinbar zivilisieren möchte. Es merkt nicht, dass je mehr Naturgewalten von ihm unterworfen wurden, um so mehr Naturgewalten in sein eigenes Inneres eingezogen sind, bis es jedes Maß und Band verliert. Es kommt in den Worten von Hölderlin zum Austausch des Aorgischen und Organischen. Welche Macht zeigt sich in solchem Denken, das über die Stränge schlägt und zugleich von Blindheit geschlagen ist, sein eigenes Tun zu sehen?

Im Abschnitt über Objektivität (und ähnlich später über die Methode) finden sich Ausführungen, die mindestens Missverständnisse nahelegen, in dieser Weise die Macht der Subjektivität zu übertreiben. Byung-Chul Han hat sie in Hegel und die Macht überzeugend zusammengetragen. Ich will ihm nicht direkt widersprechen. Eine solche Deutung lässt sich überzeugend am Text begründen. Aber ich halte eine andere Deutung für ebenfalls möglich, die sich nur schwieriger, wenn überhaupt am Text nachweisen lässt. Mir genügt es im Grunde, wenn Hegel zu einer solchen Deutung anregen kann, selbst wenn er oft genug gegen seine eigenen Worte (und möglicherweise seine eigene Intention) gelesen werden muss. So gesehen will er zeigen, wie das Denken nicht einer fremden Macht verfällt, sondern an sich selbst die Macht wahrnimmt, von der es in seiner Subjektivität herausgefordert wird, und die zum notwendigen Korrektiv werden kann. »Die Objektivität endlich ist die Unmittelbarkeit, zu der sich der Begriff durch Aufhebung seiner Abstraktion und Vermittlung bestimmt.« (HW 6.406) Das deute ich so, dass das Denken an seinen eigenen Begriffen eine Objektivität erkennt, die nicht von ihm kommt, sondern eine Negation der eigenen Subjektivität ist, die es aber in einer zweiten Negation aufheben kann, ohne ihm anheimzufallen. Es muss die Herausforderung der Macht der Objektivität an sich selbst erkennen, um sich darüber läutern zu können. Es wäre sowohl verkehrt, diese Herausforderung und die mit ihr verbundenen Gefahren zu leugnen wie auch, sich ihr gegenüber in kleinliches Verstandesdenken zurückzuziehen.

Die formale Logik (Subjektivität) enthält im ersten Abschnitt den Begriff in seiner Unmittelbarkeit, in der formal-logische und spekulative Sätze noch nicht getrennt sind. Es denkt unmittelbar in Sätzen. Hegel stellt den einfachen Sätzen wie ›S ist p‹ nicht einfach spekulative Sätze gegenüber, sondern er hat im Gang der Wissenschaft der Logik zeigen wollen, wie die einfachsten und elementarsten Begriffe der Logik an sich selbst widersprüchlich sind und über sich hinausweisen.

Das Anliegen von Hegels Abschnitt über die Subjektivität (das ist die Lehre von Begriff, Urteil und Schluss) verstehe ich so, die Unmittelbarkeit aufzubrechen, in der sich anfangs die formal-logischen und spekulativen Sätze ineins befinden, und zu einer neuen Unmittelbarkeit zu gelangen, die mit der Objektivität hervortritt und sich der ursprünglichen Unmittelbarkeit entgegenstellt. Er will an den formal-logischen Sätzen nachweisen, dass sie bereits an sich ein spekulatives Element enthalten, das schrittweise an Bedeutung gewinnt. Das spekulative Moment tritt  an der formalen Logik  – und nicht ihr gegenüber – als Macht hervor. Schon in der Differenzschrift von 1801 forderte Hegel, dass aus dem Buchstaben bei Kant »das rein spekulative Prinzip aus dem Übrigen herausgehoben« werden muss (HW 2.9). Wird das mit der Objektivität geleistet? Dann wird in der Objektivität das gefunden, das sich nicht in Aussagesätzen ›S ist p‹ oder in Schlüssen ausdrücken lässt, aber an ihnen bereits enthalten ist und ihrem unmittelbaren Wortlaut gegenübergestellt werden muss. Hegels Gegenüberstellung des unendlichen Urteils und des mechanischen Prozesses ist für mich ein Beispiel, wie in der Objektivität gegenüber dem Buchstaben der formalen Logik das spekulative Element hervortritt. Mit der Idee wird abschließend diese Ur-Teilung in formale und spekulative Sätze in eine höhere Einheit gebracht. Es gelingt der Schluss von der formalen Logik über die Objektivität zur Idee.

Es ist für mich nahezu synonym, von der Macht der Objektivität zu sprechen oder dem Spekulativen, das in der Objektivität hervortritt. Byung-Chul Han zeigt, wie sich bei Hegel genügend Indizien finden lassen, dass für ihn die Macht der Objektivität wie ein Staatsorgan mit seinem Gewaltmonopol oder als Zwang und Kunst der Überredung und Verführung auftritt, die jeden Widerstand bricht. Unter dieser aus seinen Worten ablesbaren Schicht liegt für mich bei Hegel verborgen ein anderes Verständnis von Macht, um das es mir geht. Die Macht oder das Spekulative treten nicht hervor als eine Zerstörungskraft, die das Verstandesmäßige sprengt und wegräumt, damit die Vernunft freie Bahn erhält und sich entfalten kann, sondern wenn am Verstandesmäßigen die in ihm enthaltene Macht erkannt wird, die sich nicht in bestimmten Inhalten oder logischen Formen zeigt, sondern in der Mitteilung, dem Medium und dem Mittel.

(1) Im Mechanismus ist dargestellt, wie sich in der Mitteilung von einem mechanischen Objekt an ein anderes etwas Allgemeines zeigt, welches die Kapazität der jeweils einzelnen mechanischen Objekte sprengt, zwischen denen es mitgeteilt wird (HW 6.420). Diese Macht steht nicht den einzelnen Sätzen gegenüber, sondern kein einzelner Satz wäre möglich, wäre an ihm nicht die Macht der Mitteilung nachweisbar, auf die er sich implizit beruft und die über ihn hinausgeht. Dies zu erkennen und nachzuweisen ist die erste Aufgabe spekulativen Denkens.

(2) Zum chemischen Prozess schreibt Hegel: »Diese Momente (des Schlusses, t.) sind hiermit die abstrakte, gleichgültige Basis einerseits und das begeistende Prinzip derselben andererseits, welches durch seine Trennung von der Basis ebenfalls die Form gleichgültiger Objektivität erlangt.« (HW 6.433) Das Medium hat die Macht, dass sich die im Medium befindlichen Objekte einander zuneigen und verstehen. Ein Beispiel ist für Hegel die Sprache. Die Sprache hat als Medium die Macht, dass sich nicht nur die Menschen, sondern auch die Subjekte mit den Objekten in ihr verständigen können. Ohne eine solche vom Medium verliehene Zuneigung wäre keine einzige Aussage möglich, die nicht sinnlos völlig allein bei sich selbst bleibt.

(3) Und in der Teleologie spricht Hegel von der Macht der Mittel, mithilfe derer sich der Zweck (das Ziel, telos) durchsetzen kann (»die im Mittel mit ihm verbundene Objektivität«, HW 6.451).

(4) Wird die Macht der Mittel für sich erkannt, dann gelingt der Übergang zur Methode (organon des Denkens, wobei mit organon wesentlich mehr gemeint ist als ein bloßes Instrument). Es kommt zum Zusammenfallen der Objekte. Auch ihre Macht erweist sich in ihrer Negativität der Subjektivität gegenüber als einseitig. Das legt das Missverständnis nahe, als würde damit die Macht der Objekte gebrochen und das subjektive Denken könne am Ende doch noch triumphieren, wenn Hegel schreibt, der Methode gegenüber kann »kein Objekt, insofern es sich als ein äußerliches, der Vernunft fernes und von ihr unabhängiges präsentiert, Widerstand leisten, gegen sie von einer besonderen Natur sein und von ihr nicht durchdrungen werden könnte« (HW 6.551). Diesem Wortlaut gegenüber, der nur vom Widerstand des Objekts spricht und damit nahelegt, als wäre die Methode bloß ein Werkzeug des Subjekts, möchte ich eine nahezu entgegengesetzte Deutung entwickeln, die umgekehrt mit der Methode die »absolute Befreiung« des Denkens zur »Natur« gegeben sieht (HW 6.573).

An der formalen Logik ist zu zeigen, wie sie bereits an sich die Macht enthält, die Hegel in der Objektivität für sich betrachten möchte. Hier ist für Hegel der terminus medius der Schlüsselbegriff. Jeder Satz, der einem Subjekt ein Prädikat zuschreibt (oder allgemeiner einer Situation oder einer Stimmung ein bestimmtes Attribut, z.B. eine innere Erregung, eine Aufforderung oder eine Klärung) bedarf einer Vermittlung, über die die Verbindung von Subjekt und Prädikat gelingen kann. Wird diese Verbindung für sich betrachtet, erweist sich jeder Satz als ein Schluss, der aus zwei Erkenntnissen über ein Subjekt und über ein Prädikat darauf schließt, in welcher Weise beide zueinander gehören. Der Schluss erfolgt über den terminus medius. Wird dieser in schrittweise komplexer gestalteten Schlüssen für sich betrachtet, erweist sich für Hegel, dass der terminus medius die Objektivität der Sache und ihrer Umgebung zeigt, auf die sich ein Schluss beziehen und berufen kann. Damit gelingt es Hegel, die Objektivität nicht abstrakt der formalen Logik gegenüber zu stellen, sondern herauszuarbeiten, wie die formale Logik bereits im Innern die Objektivität enthält und auf sie verweist.

Inhaltlich ergibt sich ein Übergang zur Objektivität, indem in der vorangehenden Lehre vom Schluss der terminus medius Schritt für Schritt aufgewertet wird und sich daraus die drei zentralen Begriffe der Objektivität ergeben: (a) Im Mechanismus die Mitteilung, bereits verblüffend ähnlich wie die Signalübermittlung in der Relativitätstheorie, (b) im Chemismus das Medium mit den Beispielen des Wassers und der Sprache (die Sprache also als Medium der Kommunikation) und (c) das Mittel als Werkzeug der Teleologie. Bei der Teleologie ist wichtig zu verstehen, dass die äußere, vom Menschen an die Natur herangebrachte Zweckbestimmung nur Erfolg haben kann, wenn sie die in der Natur bereits vorhandene und angelegte innere Zweckbestimmung erkennt und für sich einzusetzen versteht (z.B. Eigenschwingungen, Hebelgesetze etc.).

Der Ontologische Gottesbeweis und das Zusammenfallen logischer Sphären

Hegel will das spekulative Denken nicht dem gewöhnlichen Denken gegenüberstellen, sondern am gewöhnlichen Denken zeigen, wie es bereits den Widerspruch umfasst, der nur spekulativ aufgelöst werden kann. Wenn dies Vorhaben gelingt, droht eine andere Gefahr. Wenn gezeigt werden kann, wie die Subjektivität bereits die Objektivität an sich trägt und diese aus ihr hervorgeht, dann kann daraus der Fehlschluss gezogen werden, als sei die Subjektivität in der Lage, aus sich die Objektivität zu erzeugen.

Das ist im Prinzip der gleiche Fehlschluss, der allen Varianten des ontologischen Gottesbeweises zugrunde liegt. Er zeigte sich bereits im Übergang vom Grund zur Existenz, wenn das Denken glaubt, nicht nur den Begriff ‘Existenz’, sondern auch die Existenz von etwas erzeugen zu können, und wiederholt sich, wenn das Subjekt an der Objektivität seiner Denkfiguren nicht nur die Objektivität als Denkbestimmung entwickeln will, sondern glaubt, die Objekte (vereinfacht: die Dinge-an-sich) frei aus sich konstruieren und erzeugen zu können. Hegel hatte bereits bei Einführung des Begriffs der Existenz auf diesen übergreifenden Zusammenhang hingewiesen.

»Insofern die Beweise von der Existenz Gottes hier erwähnt werden können, ist zum voraus zu erinnern, daß es außer dem unmittelbaren Sein erstens und zweitens der Existenz, dem Sein, das aus dem Wesen hervorgeht, noch ein ferneres Sein gibt, welches aus dem Begriffe hervorgeht, die Objektivität.« (HW 6.125)

Für ihn ist keine Frage, dass der Übergang zur Objektivität »seiner Bestimmung nach dasselbe ist, was sonst in der Metaphysik als der Schluß vom Begriffe, nämlich vom Begriffe Gottes auf sein Dasein, oder als der sogenannte ontologische Beweis vom Dasein Gottes vorkam.« (HW 6.402) Und er ist sich bewusst, dass dieser Beweis auf den ersten Blick nicht nur durch seine Wissenschaft der Logik bestätigt ist, sondern der Übergang von der Subjektivität zur Objektivität alle früheren Varianten des ontologischen Gottesbeweises übertrifft. Denn in seiner Logik ist nicht nur der reine Begriff »der absolute, göttliche Begriff selbst«, sondern darüber hinaus ist »die Objektivität gerade um so viel reicher und höher als das Sein oder Dasein des ontologischen Beweises, als der reine Begriff reicher und höher ist als jene metaphysische Leere des Inbegriffs aller Realität« (HW 6.405). Ist daher mit seiner Logik ein neuer ontologischer Gottesbeweis gelungen, auf den die Kritik von Kant gegen die überlieferten Gottesbeweise nicht mehr zutrifft? Hegel hält unmissverständlich fest, dass für ihn »auch diese Objektivität noch nicht die göttliche Existenz, noch nicht die in der Idee scheinende Realität« ist und »daß in Wahrheit nicht das Verhältnis einer Anwendung stattfinden würde, sondern jener logische Verlauf die unmittelbare Darstellung der Selbstbestimmung Gottes zum Sein wäre« (HW 6.405). Ein höheres Wesen wird sich für ihn erst indirekt zeigen, wenn das Erkennen zu Aussagen fähig ist, die auf etwas verweisen, das über den Gang des Erkennen hinausgeht. Das wird am Beispiel des Satzes von Pythagoras ausgeführt und wird für Hegel erst möglich, wenn die Objektivität ihrerseits negiert und in der Idee aufgehoben ist (siehe hierzu Der Satz des Pythagoras bei Hegel).

Mit der Objektivität ist mehr erreicht, als üblicherweise mit einem Beweis des Daseins Gottes gezeigt werden kann. Doch hält Hegel die üblichen Ziele eines Gottesbeweises grundsätzlich für verkürzt. Es ist für ihn undenkbar, nach einem übergreifenden Beweis für eine Existenz zu suchen, der dann auf Gott in »Anwendung« gebracht werden kann, um dessen Existenz zu beweisen. Ein solcher Beweis würde über Gott stehen, und Gott wäre nur ein Element (ein bestimmter Wert im Argumentverlauf einer Funktion), das in eine übergreifende Regel eingesetzt werden kann. Für ihn bedeutet Gott (oder das Absolute) weit mehr als irgendein einzelner Begriff oder Denkbestimmung, die in der Wissenschaft der Logik vorkommt. Es ist übergreifend der »logische Verlauf« im Ganzen, der »die unmittelbare Darstellung der Selbstbestimmung Gottes zum Sein wäre«.

Daher scheint mir der von Richli kritisch gegen Henrich Der ontologische Gottesbeweis geäußerte Gedanke zuzutreffen, der sich aus seiner Sicht »gegen die Einsicht (sträubt), dass das Logische als Ganzes der ontologische Beweis seiner selbst ist« (Richli Form und Inhalt, 39).

Aber es ist für Richli auffallend, dass überall dort, wo Hegel sachlich dem ontologischen Gottesbeweis nahekommt, der Widerspruch in anderer Bedeutung auftritt als sonst:
Werden – Dasein
Grund – Existenz
Subjektivität – Objektivität
Logik – Naturphilosophie.

Hier kann der Widerspruch nicht durch Negation aufgelöst werden. Es ist nicht mehr möglich, eine Seite eines Widerspruchs ihrerseits in einer Negation der Negation zu negieren, denn an diesen Stellen ist jeweils die gesamte Sphäre ausgeschöpft, innerhalb derer Negationen gebildet werden können. Daher gibt es keine Möglichkeit mehr für eine bestimmte Negation, sondern es ist wie bei einem unendlichen Urteil die gesamte Sphäre zu negieren, in der der Widerspruch aufgetreten ist. In diesem Moment kommt es zum Zusammenfallen der Sphäre. Im Zusammenfallen und Hervorgehen zeigt sich eine höhere Bewegung, die für Hegel das Anzeichen Gottes ist. Hier wird nicht Gott oder dessen Existenz bewiesen, sondern im Gegenteil sind die jeweiligen logischen Möglichkeiten ausgeschöpft, mit denen etwas bewiesen werden könnte. Wenn es dennoch gelingt, in der Entwicklung fortzufahren, kann das als ein negativer Gottesbeweis angesehen werden. Gott zeigt sich darin, dass der logische Verlauf durch eine Krise hindurchgeht, aus der er sich mit der eigenen Kraft der Logik der jeweils gegebenen Sphäre nicht hätte befreien können. Daher ist für Hegel beides zu zeigen: Wie die Logik an einen Punkt kommt, an der sie nicht weiter kann, und wie es dennoch weiter geht. So war es der Fall, als sich im Grund alles in eine Mannigfaltigkeit von Bedingungen auflöste und daraus die Existenz hervorkam, und so wiederholt es sich hier, wenn die formale Logik alles ausgeschöpft hat, dessen sie fähig ist. Die Sphäre der Urteile ist ebenso vollständig abgeschritten wie die Sphäre der Schlüsse. Es ist nicht mehr möglich, einen Schluss auf die Objektivität zu ziehen, wenn die Mittel der Schlüsse erschöpft sind. Der Übergang von der formalen Logik zur Objektivität kann nur gelingen, wenn die Sphäre zusammenfällt und an ihre Stelle etwas Neues tritt. Aber an der Ordnung der Worte (der Syntax, den Urteilstafeln, den Figuren von Schlüssen) hat sich bereits die Objektivität gezeigt, die im Zusammenfallen der Sphäre der formalen Logik erhalten bleibt und hervortritt. Das zu zeigen ist die Aufgabe des Kapitels über den Mechanismus.

Anmerkung 1: Hegel gebraucht ‘Zusammenfallen’ und ‘Zusammengehen’ synonym, wie sich an seinen Ausführungen zum Vielen und zur Einheit zeigen lässt, in die das Viele zusammenfällt bzw. gleichbedeutend zusammengeht (HW 5.254, 256).

Anmerkung 2: Fichte spricht in der Wissenschaftslehre von 1794-95 an zwei kritischen Stellen von einer Erschöpfung: Nachdem »die Masse dessen, was unbedingt und schlechthin gewiss ist, nunmehr erschöpft (ist)«, d.h. nachdem das Denken in einem ersten Durchgang alles abgeschritten hat, was sich aus seinen eigenen Regeln ergibt und daher für das Denken völlig transparent ist, setzt es »im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen« (Fichte, 110). Das Nicht-Ich bleibt zwar zunächst ebenfalls eine theoretische Konstruktion innerhalb des Ich, ermöglicht aber weitere Einsichten über Wechselbestimmung, Gegensatz und Widerspruch, d.h. inhaltlich über die Gesamtheit der überlieferten Reflexionsbegriffe. Und erst als die ebenfalls völlig durchgegangen sind und Fichte sachlich den gleichen Punkt erreicht hat wie Hegel am Ende der Reflexionslogik, ist für Fichte auch die Grundlage des theoretischen Wissens erschöpft und es erfolgt der Übergang zur Wissenschaft des Praktischen, und dort zur Einsicht, dass es nicht nur ein Nicht-Ich gibt, das vom Ich in sich selbst erkannt werden kann, sondern dass es auch ein »Etwas ausser demselben« geben muss (Fichte, 279). An dieser entscheidenden Stelle fügt Fichte die programmatische Bemerkung ein: »Jede Wissenschaft ist beschlossen, deren Grundsatz erschöpft ist; der Grundsatz aber ist erschöpft, wenn man im Gange der Untersuchung auf denselben zurückkommt«, d.h. wenn die Wissenschaft in Zirkel gerät (Fichte, 218f). – Nach meinem Eindruck hat Hegel die Begriffslogik so aufgebaut, dass er am Ende der Lehre von Begriff, Urteil und Schluss ebenfalls einen Punkt erreicht, an dem alle überlieferten Urteilstafeln und Figuren des Schlusses abgeschritten sind. Er hat bewusst den üblichen Aufbau seiner Wissenschaft der Logik verlassen und die Kapitel über die Urteile und die Schlüsse so gestaltet, dass die überlieferten Tafeln erkennbar sind. Er bewegt sich in ihnen, geht sie durch und kommt an den Punkt, an dem sie auf ähnliche Weise erschöpft sind wie bei Fichte die Grundlage des theoretischen Wissens. – Allerdings verwendet Hegel an diesen Stellen nicht das Wort ‘Erschöpfung’, sondern gebraucht es im Sinne einer vollständigen Aufzählung, sowohl bei mathematischen Mengen (z.B. HW 5.237f, 310, 330, 344, 366) wie bei den Arten einer Gattung (z.B. HW 6.280, 331f, 384, 524). Da er an dieser Stelle die Urteils- und Schluss-Tafeln vollständig aufgezählt hat, sehe ich dennoch eine sachliche Übereinstimmung mit Fichte.

Mechanismus

Wegen seiner zahlreichen Hinweise auf die Physik wird das Kapitel über den Mechanismus oft als Fremdkörper in einer Logik empfunden. Was haben dort Ausführungen über die mechanischen Gesetze des Stoßes und der Bewegung von Körpern um einen Zentralkörper zu suchen? Ich kann mir vorstellen, dass Hegel wie in einem Sprachspiel erst das »bloß Mechanische« an der überlieferten formalen Logik kritisiert hat, bis ihm aufgefallen ist, dass umgekehrt das Mechanische an der formalen Logik etwas zeigt, das weit über sie hinausgeht. Die traditionelle Lehre der Urteile und Schlüsse kann verstanden werden als ein formaler Kalkül von standardisierten Worten und Symbolen, mit denen ein Subjekt S mit einem Prädikat P verknüpft wird, Urteile in Tafeln katalogisiert werden (Syllogismus) und aus einzelnen Urteilen Schlüsse und Urteilsketten bis hin zu semantischen Netzen gebildet werden können. Im Ergebnis entstehen in der Informatik Ontologien, die heute Grundlage der Künstlichen Intelligenz werden.

Was hier geschieht ist »bloß mechanisch« und kann von Rechenmaschinen übernommen werden. Bei näherer Betrachtung ist das Mechanische jedoch weit mehr als bloßes Wiederholen immer gleicher Abläufe. Um das zu sehen, ist die Perspektive zu wechseln. Wenn die Regeln mechanisch ausgeführt werden, gelten sie unabhängig von den jeweiligen Inhalten und haben einen eigenen Träger. Dieser Perspektivwechsel von den Inhalten zum Mechanismus, wie mit den Inhalten formal operiert wird, entspricht dem Wechsel von den Worten in der Kategorienlehre zu den Symbolen in der Analytik bei Aristoteles, von der Sprache zu den Buchstaben des ihr unterliegenden Alphabets, von komplexen chemischen Stoffen zu den Molekülen, aus denen sie zusammengesetzt sind, von musikalischen Klängen zu den einzelnen Tönen und ihren Harmonien, und allgemein von einem Zusammengesetzten zu seinen Elementen (stoicheion), von der Semantik zu den Sprachelementen und ihrer Syntax usf.

Kann aus diesen Beispielen eine Regel gewonnen werden, wie im Ganzen die Begriffe in die Objekte zusammengehen? Das würde heißen, dass im Ergebnis die Begriffe nicht mehr einfach die freien und willkürlichen Schöpfungen sprechender Menschen sind, sondern dass sie zurückgehen auf eine unterliegende Schicht von Objekten. Der Mensch glaubt nur in einer naiven Phase des Selbstbewusstseins, dass er in freier Wahl Worte findet und den Dingen Namen verleiht, während er in Wahrheit nur ausspricht, was in den Objekten bereits angelegt ist, und hierbei unbemerkt den bei ihnen vorgegebenen Regeln folgt. Der Grund der Worte ist nicht die Kreativität und Subjektivität des Menschen, der mit seiner Phantasie Worte aus dem Nichts bildet, sondern die Objekte, die in den Worten benannt werden. Der Mensch hat mit seiner Sprachfähigkeit nur eine vermittelnde Funktion, und aus einem übergreifenden Horizont kann seine Sprachfähigkeit verstanden werden als das Sprachorgan der Objekte. Heidegger wird schreiben: »Vielmehr ist die Sprache das Haus des Seins, darin wohnend der Mensch eksistiert, indem er der Wahrheit des Seins, sie hütend, gehört.« (Heidegger, 333). Und schon Hegel fasst das in die einfache »Definition ‘das Absolute ist das Objekt’« mit dem Zusatz »allerdings ist Gott das Objekt, und zwar das Objekt schlechthin, welchem gegenüber unser besonderes (subjektives) Meinen und Wollen keine Wahrheit und keine Gültigkeit hat.« (Enz § 194, HW 8.350f) – Von daher wird klar, warum Hegel Logik und objektive Logik unterscheidet: Die Logik ist das am Denken erkannte Regelsystem, die objektive Logik ihre Zurückführung auf die Regeln von Objekten, die unabhängig vom Denken bestehen und ihm vorausgehen.

Hegels Verständnis der Objektivität wird jedoch erschwert, da im Grunde drei Schritte zusammengefasst werden und leicht durcheinander gebracht und verwechselt werden können. Es wird nicht nur von den Worten zu den mit ihnen angesprochenen  Sachen  übergegangen, sondern zusätzlich innerhalb der Gesamtheit der Sachen zu den ihnen unterliegenden  Objekten, aus denen die Sachen zusammengesetzt sind (so wie chemische Stoffe aus Molekülen bestehen), und als deren Modell werden die mechanischen  Partikel  angesehen.

Welcher Freiraum bleibt den Sachen und dem denkenden Subjekt? Sind sie vollständig durch die Regeln der Objekte bestimmt? Angesichts der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz ist das eine sehr aktuelle Frage, und mit Hegel kann es vielleicht besser gelingen, hierfür ein philosophisch ausgewiesenes Verständnis zu finden. Hegel lehnt alle vereinfachenden Ansätze ab und fügt im Übergang von den Begriffen zu den Objekten zahlreiche Aspekte zusammen, die er als Momente eines Ganzen versteht. Er will die relative Freiheit der Sprache nicht nur erhalten, sondern im Mechanismus, Chemismus und der Teleologie der Objekte den abschließenden Übergang begründen, der zur Ideenlehre führen wird.

– Die formale Logik zeigt, wie es an den Begriffen, Sätzen und Schlüssen Strukturen gibt, die unabhängig von den jeweiligen Inhalten gelten. Diese Strukturen können für sich als Modelle betrachtet werden. Ein Beispiel ist für mich die hundert Jahre nach Hegel 1948 von Claude Shannon eingeführte Informationstheorie, mit der nicht die Inhalte der Informationen, sondern mathematisch die Eigenschaften des Informationsprozesses unabhängig von allen Inhalten beschrieben werden.

– Es handelt sich für Hegel jedoch nicht nur um Beziehungen und Modelle, sondern sie haben einen eigenen materiellen Träger, so wie z.B. die Bewegungsgesetze chemischer Stoffe zurückgeführt werden auf die Bewegungsgesetze der Moleküle oder die Eigenschaften elektrischer Ströme auf die Merkmale der Elektronen.

– Die Objekte bilden eine Totalität und können sich gegenseitig verändern. Ein Objekt kann z.B. einem anderen Objekt einen Impuls mitteilen und damit dessen Impuls ändern.

– Für die Mitteilungen von einem Objekt an ein anderes wird eine eigene Klasse von Wechselwirkungsteilchen angenommen.

– Die Totalität der Objekte ist zu verstehen als eine genauere Bestimmung der Mannigfaltigkeit.

»Das Objekt ist daher zunächst insofern unbestimmt, als es keinen bestimmten Gegensatz an ihm hat; denn es ist die zur unmittelbaren Identität zusammengegangene Vermittlung. Insofern der Begriff wesentlich bestimmt ist, hat es die Bestimmtheit als eine zwar vollständige, übrigens aber unbestimmte, d. i. verhältnislose Mannigfaltigkeit an ihm, welche eine ebenso zunächst nicht weiter bestimmte Totalität ausmacht.« (HW 6.411, vgl. auch Enz. § 236 HW 8.388)

Was hier mit »zusammengegangen« gemeint ist, ist in meiner Interpretation das Zusammenfallen. So wie der Widerspruch zu Grunde geht, sind die von der Logik gebildeten und gebrauchten Worte und ihre Verknüpfungen und Vermittlungen »zusammengegangen«. Wenn die Worte und die Operatoren ihrer Verknüpfungen zusammengehen, ist von den Worten alles abzustreifen, was auf die Subjektivität des Denkenden und Sprechenden zurückgeht. Was nach dem Zusammengehen übrig bleibt, ist jedoch nicht Nichts, sondern die Mannigfaltigkeit, um die es Hegel an dieser Stelle geht. Anders als beim Hervorgehen der Existenz aus dem Grund lässt sich jedoch jetzt mehr über die Mannigfaltigkeit sagen, und für mich nähert sich Hegel dem nach ihm von der Mathematik entwickelten Begriff einer topologischen Mannigfaltigkeit, die den geometrischen und physikalischen Systemen vorausgeht.

Während die Worte einmal gebildet fest bleiben und sich gegenseitig nicht verändern können (es wäre zum Beispiel sinnlos zu sagen, das Wort ‘Sturmschlag’ könnte das Wort ‘Haus’ beschädigen oder ein Wort könnte an einem anderen Wort etwas hinzufügen, – das kann nur derjenige, der in Worten denkt und nicht die von ihm gedachten Worte selbst), ist mit den den Worten zugrunde liegenden Objekten etwas gefunden, das sowohl in den Worten ausgesprochen ist als auch der gegenseitigen Veränderung fähig ist. Am treffendsten ist daher Hegels Vergleich der Objekte mit den Monaden von Leibniz (HW 6.411, Enz. § 194 HW 8.350), die ebenfalls eine logische Struktur bilden und sich dennoch anders als die üblichen logischen Symbole und Worte gegenseitig beeinflussen können. Während jedoch Leibniz mit den Monaden etwas meint, das sich nur in Gedanken, aber nicht sinnlich erfassen lässt, will Hegel mit den Objekten zugleich den Übergangspunkt von der Logik zur Naturphilosophie treffen. Die Objekte sind für ihn sowohl den Monaden ähnlich wie auch den Gesetzen der Mechanik unterworfen, die nur für massehaltige Körper gelten (insbesondere die Stoßgesetze). – Hierin unterscheidet er sich auch von Fichte. Er sagt nicht nur wie Fichte, dass es ohne Objekte kein Denken geben kann und die Objektivität eine Denkbestimmung ist, sondern diese Objekte liegen für ihn zugleich der Naturphilosophie zu Grunde. Sie sind dasjenige, was erhalten bleibt, wenn nicht nur die formale Logik, sondern die Logik im Ganzen erschöpft ist und sich ihrerseits »zusammennimmt« – ein weiteres Synonym für Zusammenfallen – und zum »Anfang einer anderen Sphäre und Wissenschaft« wird. Dann handelt es sich allerdings um keinen »Übergang« mehr, wie er innerhalb der Logik von der Subjektivität zur Objektivität möglich war, sondern in der Ausdrucksweise von Hegel um eine »Befreiung« von der Logik im Ganzen. (HW 6.573)

(a) Daher ist die Grundidee des mechanischen Systems, dass die Elemente in Beziehung zueinander treten. Sie bleiben zwar nach wie vor starr (elastisch, hart, vgl. Hegel zur »Härte« HW 6.416), aber sie können eine Mitteilung austauschen. Das ist im Fall der klassischen Mechanik der Impuls. Wenn zwei starre Körper aufeinanderprallen, teilen beide einander ihren Impuls mit und verteilen ihn entsprechend einfacher Formeln neu. Der übertragene Impuls hat jedoch keine eigene Masse und ist im System der mechanischer Objekte dimensionslos, er ist ein »imponderables« Agens (HW 6.416). (Hegel nimmt damit die von Einstein entwickelte Idee vorweg, dass in einem mechanischen System die Bewegung durch Austausch von Teilchen erfolgt, die eine Ruheenergie von Null haben, das sind in der Elektrodynamik die Photonen.)

mechanischer Stoß

Elastische Stöße mit verschiedenen Anfangsgeschwindigkeiten

Zwei mechanische Körper mit gleicher Masse stoßen aufeinander. Im Moment des Zusammenstoßes kommt es zur Impulsübertragung, wodurch sich die Bewegungszustände der beiden Körper verändern. Wikipedia

Die moderne Physik betrachtet einen Raum mit unendlich vielen Dimensionen, der alle möglichen Systemzustände enthält und beobachtet die Übergangswahrscheinlichkeiten von einem Zustand in einen anderen. Jeder einzelne Übergang wird verstanden als das Ergebnis einer Mitteilung eines Wechselwirkungsteilchens, z.B. in der Elektrodynamik das Photon.

(b) Wenn ein Objekt auf ein anderes trifft und ihm etwas mitteilt, geschieht zweierlei: Das eine Objekt wird vom anderen Objekt berührt und erhält eine Mitteilung. Es wird durch die Berührung keineswegs überwältigt oder gar vernichtet, wie Hegel sagt (vgl. HW 6.420). Aber es kann keinerlei Widerstand gegen die Weitergabe der Mitteilung leisten. Wenn zwei mechanische Objekte aufeinander treffen, gibt es nichts, was verhindern kann, dass die Impulse weitergegeben werden. Allerdings ist dieser Prozess völlig gleichberechtigt und betrifft beide Objekte gleichermaßen. Beide können sich dem Vorgang nicht entziehen, eine Mitteilung zu geben und zu erhalten. Beide sind machtlos gegenüber dem mechanischen Prozess. Wenn überhaupt vom Machtungleichgewicht eines Stärkeren gegen etwas Schwächeres gesprochen werden kann, dann ist es die größere Macht des Systems im Ganzen, die alle seine Elemente gleichermaßen trifft.

Daher kann Hegel von Determinismus, Fatalismus und Schicksal sprechen. Doch ist nicht das eine Objekt das Schicksal des anderen, sondern die Zugehörigkeit zum mechanischen System ist das Schicksal für alle mechanischen Objekte. Hegel wählt gern Beispiele aus der Mythologie. Es ist nicht das Schicksal von Ödipus, dass er von einem stärkeren Heroen überwältigt wird, sondern dass er sich der Ordnung nicht entziehen kann, in der er lebt. McTaggart ignoriert die Arroganz Hegels gegen die Dummen und Unedlen (HW 6.420) und fasst trocken und zutreffend zusammen: »This conception of the sacrifice of the Object to the order of things outside.« (239).

Mit der Mitteilung ist das Dritte gefunden, das in der Seinslogik im Maß-Kapitel und in der Wesenslogik im Widerspruchs-Kapitel noch offen geblieben war. Durch Mitteilungen werden die Änderungen ausgelöst, die von einem Zustand in einen anderen führen, und es sind gegenseitige Mitteilungen, die vom starren Gegensatz zur Pulsation des Widerspruchs und dessen Auflösung in den Grund führen. Die Monadologie von Leibniz »ist so der vollständig entwickelte Widerspruch« (Enz. § 194 HW 8.350).

(c) Hegel beschreibt, wie innerhalb des mechanischen Systems die Tendenz vorherrscht, ein einzelnes Objekt hervorzuheben. Seine Macht besteht nicht einfach in seiner Größe, sondern darin, mithilfe seiner Größe den Austausch der Mitteilung steuern zu können. Das ist im absoluten Mechanismus der Zentralkörper, der mit seiner übermächtigen Schwere alle anderen Körper zwingt, in dem von ihm dominierten System zu bleiben.

Doch ist die Macht des Zentralkörpers abhängig von der Ordnung, mithilfe derer er dominiert, und von der Existenz der anderen Körper, über die er dominiert. Gäbe es sie nicht, dann wäre er machtlos. In einer großartigen Wendung zeigt Hegel, wie die Übermacht des Zentralkörpers, der das Allgemeine zu verkörpern und auf alle anderen mit der bloßen Macht der Notwendigkeit (»Alternativlosigkeit«) zu herrschen scheint, umschlägt in drei Schlüsse, in denen der Zentralkörper, die peripheren Körper und ihre Ordnung jeweils ihren Platz wechseln und dadurch volle Freiheit erlangen (HW 6.424-426).

Der Mechanismus gerät in die Krise. Er hat mit der Einführung der Mitteilung den Ausweg aus der formalen Logik geöffnet, aber er gerät seinerseits mit dem freien Wechselspiel von Ordnung, Zentrum und Peripherie in einen indifferenten Zustand, der die Frage aufwirft, entsprechend welcher tieferliegender Gesetzmäßigkeiten dieses System im Ganzen in Bewegung gerät.

Chemismus

Damit wird der Chemismus erreicht. In der chemischen Reaktion wird nicht mehr nur eine Mitteilung ausgetauscht, die die beteiligten Objekte ansonsten völlig unverändert lässt, sondern zwei Stoffe verschmelzen zu einem neuen oder ein Stoff scheidet sich in zwei selbständige Bestandteile. Als Ursache von Verschmelzung oder Scheidung sieht Hegel Liebe, Freundschaft, Zuneigung und negativ wären zu ergänzen Gleichgültigkeit, Feindschaft oder Antipathie.

Hier gerät Hegel jedoch keineswegs in ein oberflächliches Psychologisieren, sondern er fragt, was Verschmelzen oder Scheiden ermöglichen kann. Die beteiligten Stoffe müssen sich in einem Medium treffen, das die chemische Reaktion unterstützt. Dafür steht in der Natur das Wasser, für die geistige Mitteilung ist es die Sprache. Wenn zwei Objekte nicht nur eine ihnen im Grunde fremde Mitteilung austauschen sollen, müssen sie eine gemeinsame Sprache finden, in der sie zueinander kommen können.

Am Beispiel des Wassers lässt sich der Gedanke am besten objektivieren. Das Wasser hat besondere chemische Eigenschaften, wodurch zum einen Kristallgitter aufgelöst werden können und zum anderen die Entstehung von Makromolekülen begünstigt wird, weswegen das Vorliegen von Wasser (oder einer Lösung mit vergleichbaren Eigenschaften) als notwendige Bedingung für das Entstehen von Leben gilt.

Dipol im Wasser   Wasser-Netzwerk

Molekülaufbau des Wasser und daraus erzeugtes drei-dimensionales Netzwerk

»Wasser (H2O) besteht aus den Elementen Wasser und Sauerstoff. Der kleinste Verbund zwischen diesen beiden ist ein Molekül in Winkelform, bei dem zwei positive H-Atome in einem Winkel von 104,5° an einem negativ geladenen O-Atom gebunden sind. Diese bilden einen Dipol. ... Der Auflösungsvorgang beruht auf der Reaktion der Wassermoleküle mit den Molekülen des in Lösung gehenden Stoffes. Zuerst gruppieren sich die polaren Wassermoleküle um die Ionen eines Kristallgitters, welches durch die Gitterenergie zusammengehalten wird.« Sie bewirken dadurch eine nach außen gerichtete elektrische Kraft (Hydratationsenergie). »Sobald die Hydratationsenergie die Gitterenergie übertrifft, zerfällt das Kristall und geht in Lösung. « Quelle
Die hier beschriebene elementare Eigenschaft des Wassers ist nur ein Merkmal, weswegen Wasser eine entscheidende Rolle für die Entstehung des Lebens hat (siehe ausführlicher Wikipedia).

Der Grundgedanke des Chemismus ist so weitreichend und tief, dass er – so weit ich sehe – bis heute in der Hegel-Forschung nicht einmal wahrgenommen wurde, auch nicht von McTaggart. Das mögen zwei weitere Beispiele zeigen. Die moderne Physik hat mit der Allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein und der darauf aufbauenden Differentialgeometrie eine Theorie entwickelt, mit der deutlicher werden kann, was Hegel gemeint hat. Während die Quantenmechanik lediglich die unterschiedlichen Zustände und ihre Übergangswahrscheinlichkeiten beschreibt, liefert die Allgemeine Relativitätstheorie das Modell für ein Medium. Die von ihr betrachteten Raumkrümmungen sind nicht mehr der Wirkungshorizont ausgehend von einem Zentralkörper in einem mechanischen System, sondern führen zur Frage der Dynamik und Stabilität von Zustandsänderungen. Die Raumkrümmung wird bisher zu kurz gefasst, wenn sie einfach mathematisch eine andere Darstellung der im Raum verteilten Masse sein soll, die den Raum krümmt. Vielmehr stellt sich darüber hinaus die Frage, nach welchen tieferliegenden Kriterien der Raum so gekrümmt ist, dass er – wie das Wasser für die chemischen Reaktionen – den Ablauf der physikalischen Ordnungen ermöglicht. Mathematisch handelt es sich um die zweite Ableitung, physikalisch um die Energie: Die mechanischen Impulse ändern einen Zustand, die Krümmung ändert den Impuls. Mathematisch ist dies Gebiet noch nahezu völlig offen und ungeklärt. Es ist die Frage nach den Resonanz-Verhältnissen: Wann hebeln Resonanzen ein System aus und wann stabilisieren sie es? Fragen dieser Art weisen bereits hinüber zu Hegels Gedanken über die Harmonie des Universums im Ganzen (die Ideen des Wahren und des Guten).

Wenn eine mechanische Situation den Zustand eines Systems und das Ereignis beschreibt, um diesen Zustand zu ändern, dann beschreibt das Medium zusätzlich die chemische Situation, welche innere Neigung (Energie) vorhanden ist, dies Ereignis auszuführen (zu verwirklichen).

Hegel bleibt nicht bei naturwissenschaftlichen Beispielen stehen, sondern nennt auch die Sprache als Medium. Damit entwickelt er die Idee für die Lösung eines Problems, das er übersprungen hatte. Im formalen Raum der Urteile tritt der innere Widerspruch auf, dass die Urteile aus sich heraus keinen inneren Zusammenhang liefern können. Es wurde kein Prinzip gefunden, nach dem Urteile sich zu Urteilsketten zusammenschließen können. Diese Frage beantwortet der Hinweis auf die Sprache als Medium. So wie das Wasser chemische Reaktionen in Gang bringt und wie die Allgemeine Relativitätstheorie die Stabilität der physikalischen Gesetze garantiert, sind für die Sprache die inneren Eigenschaften zu verstehen, mithilfe derer sie die unterschiedlichsten Urteile in einen inneren Zusammenhang zu bringen vermag. Wenn Hegel hier von Zuneigung und Liebe spricht, ohne die die verschiedenen sprachlichen Äußerungen nicht zusammen zu bringen und zu einer höheren Einheit zu führen sind, mag das an die Kristallisation erinnern, mit der Hegels Zeitgenosse Stendhal die Liebe beschrieben hat.

Das alles bleibt an dieser Stelle vorläufig eine Anregung, wie die Sprachwissenschaft sich in eine ganz andere Richtung entwickeln könnte, die die Erkenntnisse zu formalen Sprachen aufnimmt, aber entschieden weiterführt. Bisher wurde die Sprachfähigkeit ausgehend vom Menschen verstanden, der zu sprechen lernt und zu versprechen vermag. Wenn die Begriffe in die Objekte zusammengehen, ist von den Objekten auszugehen. In ihren Mitteilungen und ihrem Medium liegen die Anfänge eines übergreifenden Sprachverständnisses, innerhalb derer der Mensch mit seinen Sprachfähigkeiten erst eine bestimmte Rolle erhält.

McTaggart beschreibt mit Hegel die Krise des Chemismus, dass die Kette der Verschmelzungen und Scheidungen in eine unendliche Wellenbewegung (»continual oscillation«) führt, die wiederum in eine schlechte Unendlichkeit zu zerfallen droht (McTaggart, 248). Das Wasser vermag Voraussetzungen zu geben, damit Leben entstehen kann, aber es muss noch etwas hinzukommen, um das Leben in freier Gestalt zu »begeisten«.

McTaggart sieht zudem die Gefahr, dass das neutrale Objekt des Chemismus sich völlig auflöst (»vanish altogether«), weil es einerseits wie die mechanischen Objekte alles umfasst, also nach außen nichts anderes mehr existiert, aber zugleich auch kein Inneres existiert (McTaggart 249). Am Beispiel der Raumkrümmung ist das die Frage, ob es zu einem völlig chaotischen System des Rauschens kommen kann, in dem weder Stabilisierung noch Brüche möglich sind. Es muss daher wiederum etwas Tieferes geben, dass die Wellenbewegung des Chemismus im Ganzen orientiert.

Das Organische (Teleologie, Leben)

McTaggart fasst die beiden einander folgenden Kapitel über Teleologie und über das Leben aus den Abschnitten Objektivität und Idee zusammen, da für ihn auf den Mechanismus und Chemismus das Organische folgt. Mechanismus, Chemismus und Organisches ergeben für ihn eine in sich vollständige dialektische Triade, aus der dann die abschließende Triade hervorgeht (Erkennen mit der Idee des Wahren, Wollen mit der Idee des Guten, dialektische Methode zur Herstellung der absoluten Idee). So wie er bereits im Kapitel über den Mechanismus Hegels moralische und politische Ideen des Elitären übergangen hat, will er hier Hegels Gedanken zur »Gewalt« und »List der Vernunft« (HW 6.452), die höhere Ehre des Mittels über das Zwecke und »die Macht des Zwecks über das Objekt« (HW 6.453) vermeiden, die für ihn vom Weg abführen.

Der Chemismus hatte zur Frage geführt, wie die drohende Indifferenz vermieden werden kann. Die Antwort ist für McTaggart das Organische, in dem alle Glieder einem gemeinsamen Zweck zugeordnet sind und sich in freier Lebendigkeit äußern können. Für McTaggart ist der Zweck die Einheit der Mittel, und er vereint damit das Zentrum der Mechanik und das indifferente Neutrale des Chemismus. Daher ist für ihn auch die Erreichung eines Ziels keine bloße Tautologie, sondern »the realisation brings in a fresh element«, eine besondere Freude (»pleasure«) (Mc Taggart, 255).

Siglenverzeichnis

HW = Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in 20 Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu ediert. Red. E. Moldenhauer und K. M. Michel. Frankfurt/M. 1969-1971; Link

KrV = Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (1781, 1787)

Literaturverzeichnis

Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre
in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 1, Berlin 1845/1846; Link

Byung-Chul Han: Hegel und die Macht, – ein Versuch über die Freundlichkeit, München 2005

Martin Heidegger: Brief über den Humanismus (1946)
in: Martin Heidegger: Wegmarken, Frankfurt am Main 1996

John McTaggart: A Commentary on Hegel's Logic, Cambridge 1910 (Neudruck durch "Forgotten Books" 2012); Link

Urs Richli: Form und Inhalt in G.W.F. Hegels »Wissenschaft der Logik«, Wien, München 1982

Claus-Artur Scheier: Die Selbstentfaltung der methodischen Reflexion als Prinzip der Neueren Philosophie, Freiburg, München 1973

Walter Tydecks: Konstruktion des Subjekts und seiner Wirklichkeit nach der Wissenschaft der Logik von Hegel, Bensheim 2013
unter: http://www.tydecks.info/online/logik_kraft_subjekt.html

Walter Tydecks: Die Wende zur absoluten Idee – Der Schluss von der Lebendigkeit über den Satz des Pythagoras auf die dialektische Methode, Bensheim 2015
unter: http://www.tydecks.info/online/logik_kraft_pythagoras.html

Violetta Waibel: Hölderlin und Fichte 1794 - 1800, Paderborn 2000

2012, 2016-2017

 

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