Walter Tydecks

 

2. Mathematik in der Zeit des Mutterrechts

Der Norden hat eine eigene Faszinationskraft. Die bewußtesten Anregungen kommen von England, Skandinavien und dem Baltikum. Getrennt vom Festland oder weit genug entfernt vom römischen Zentrum gingen von hier am Ende der langen eigenständigen ökonomischen Entwicklung im Mittelalter die neuen Impulse aus, die spätestens seit 1600 das neuzeitliche Denken prägen. Es genügt Shakespeare und Herder zu erwähnen. Herder verbrachte die Jahre seiner Ausbildung und ersten Berufstätigkeit in Königsberg und Riga. Seine Kritik der Aufklärung war getragen vom neuen Selbstbewußtsein des Nordens gegenüber allen Entwicklungen, die letztlich auf Rom und den Papst zurückgingen. Er hat als erster das Mechanische und Lebensfeindliche der neuen Vernunftreligion etwa bei Voltaire kritisiert, noch vor der Französischen Revolution und der von ihr ausgelösten Schockwellen. "Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit" von 1774 ist wirklich ein Pamphlet im besten Sinn des Wortes und liest sich heute aktueller als je zuvor.

Bewußt soll als erster Autor aus dem 20. Jahrhundert Ernst Bloch zitiert werden, dem sicher keine politische Nähe zum Faschismus nachgesagt werden kann. Im "Prinzip Hoffnung" liegen für ihn die geographischen Utopien trotz aller Liebe zum Süden eher im Norden.

"Der 'wilde Apoll' suchte statt der Plastik des Mittags Sturmgewölk, fliegendes Mondlicht, ahnend verhangene Weite. (...) Es war eine Welt aus weichen und zugleich ungeheuren Heldengestalten, eine nur aus Rohr, Felsen, Mooren, Seen und Winden bestehende Natur, eine elegisch erinnerte und sinkende, aber von jenem Abendrot umgeben, jenem Sturm und Wolkenzug, der sich nur auf der nördlichen Heide, nahe am Meer, anlassen kann, mit der Mitteilung: Thule." (Bloch, "Prinzip Hoffnung", S. 912f)

Solche Seen- und Sumpflandschaft wird seit Bachofen als Symbol der Sehnsucht nach den ältesten mutterrechtlichen Zeiten verstanden. Mathematik in den Zeiten des Mutterrechts ist die ursprüngliche Vision einer jeden nordischen oder eingeschränkter deutschen Mathematik.

Niemand hat dies klarer zeigen können als Werner Danckert in seinem 1966 erschienenen Buch "Tonreich und Symbolzahl". Wie so viele andere Musikwissenschaftler der Nachkriegszeit in Westdeutschland ist Danckert mit den Instituten der Nationalsozialisten verbunden gewesen. Er wurde zur Mitarbeit an der Stelle Musik am Rosenberg-Institut herangezogen. Von daher war er sicher gut vertraut mit den Arbeiten von Baeumler und geht konsequent von Bachofen aus.

Seine Arbeit ist in erster Linie ein Beitrag für die Musikgeschichte. Mit zahlreichen Notenbeispielen aus mutterrechtlichen Kulturen widerlegt er die Ansicht, wonach es Tonleitern erst in Hochkulturen gibt. In großem Umfang dokumentiert er Lieder, die den Zweiton-Melos, den Dreiklang-Melos, die Tetratonik und die Fünftonmusik kennen. Dagegen gibt es aus dieser frühen Zeit praktisch keine Musik auf Basis von Tonsystemen mit 6 oder 7 Tönen. Ausgehend von der Musikgeschichte ist für ihn daher sicher, dass bereits zu dieser Zeit ein elementares Zahlenverständnis bestanden haben muß.

Denn es ist natürlich die Frage, was überhaupt unter "Mathematik in Zeiten des Mutterrechts" zu verstehen ist. Im heutigen Sinn gerechnet wurde wohl kaum und auch mathematisch fundierte Himmelsbeobachtungen sind alle erst in späterer Zeit entstanden. Die Zahlen hatten einen ausschließlich sinnlichen Charakter. Sie sind nicht durch Abstraktionen entstanden, indem etwa das Gemeinsame aller Mengen mit zwei Elementen abstrahiert wurde, sondern sie wurden buchstäblich gehört und gesehen. Beim Singen wurden bestimmte Tonintervalle mit festen Zahlenverhältnissen eingehalten, andere gab es nicht. Unter der unendlichen Vielfalt geometrischer Gestalten in der Natur wurden bestimmte einfache Gestalten hervorgehoben und bevorzugt. Danckert scheint bewußt nicht die Frage zu stellen, ob hier bereits von mythischem Denken oder ästhetischer Anschauung gesprochen werden kann. Stattdessen will er zeigen, dass die ersten natürlichen Zahlen in der Zeit des Mutterrechts einen deutlich anderen Symbolgehalt gehabt haben als heute.

Zwei Heute wird die Zwei vor allem in Konnotation gesehen zu "Zweifel", "Zwist", "zwischen" und all den Vokalen, die mit "zer-" beginnen (zertrennen, zerschneiden, zerhacken usw.), d.h. als Symbol für Polarität und Verlust der Einheit. Ursprünglich sieht Danckert mit der Zwei aber eher Beispiele von Zwillingen und von androgynen, mann-weiblichen Wesen verbunden.

Das Zeichen dieser Zwei aus mutterrechtlichen Zeiten ist am ehesten überliefert im chinesischen Yan-Ying-Symbol. In ähnlicher Weise kann es auch verstanden werden als das Bild der zwei Schlangen oder zwei Drachen, die das Ei der Heroengeburt umgeben oder als Bild der beiden "Rößchen des Mondes", wie die litauischen Heldenzwillinge bezeichnet wurden. Hier umspielen zwei wahlverwandte Seelen einander, ergänzen sich und erfreuen sich der unbegrenzten Möglichkeiten, die aus ihrer Gemeinsamkeit entstehen.

Drei Entsprechend vertritt die Drei heute vor allem die Idee der wiederhergestellten, höheren Einheit, der Synthese, die auf These und Anti-These folgt. Ursprünglich war dagegen das anschauliche Bild des Dreiecks prägend in all seinen Gestalten, als Delta, Kegel, Pyramide, Mutterbaum. "Noch heute bedeutet in der Medizin das Zeichen Delta die weibliche Scham. Delta = Daleth heißt 'Tür'. Vergleiche die biblische Redewendung 'eingehen zum Weibe'." (Danckert, S. 64)

Die Drei steht in enger Beziehung zum Mondzyklus. Es gibt 3 Lichtphasen und 3 Dunkelmondtage. So entstand die Vorstellung der dreifaltigen Mondgöttin, z.B. Hekate. Zuerst gab es 3 Mütter der Welt, die Mütter des Meeres, der Nacht und der Erde. Von ihnen leiteten sich dann all die anderen Dreierpaare ab.

Diese Drei symbolisiert den Übergang. Es wurde nicht ausgegangen von Gegensätzen, die einander direkt entgegengestellt werden, z.B. hell und dunkel, sondern es wurden 3 Phasen gesehen: hell, dämmernd, dunkel. Die Dämmerphase ist keine höhere Einheit des Gegensatzes von hell und dunkel, sondern gehört mit hell und dunkel zu einer zusammengehörigen Einheit, die erst die Kontinuität des ganzen Prozesses herstellt.

Daher ist die Drei die "Tür", durch die der Übergang erfolgt. Sie steht insbesondere für die wichtigsten Übergänge im Leben: Geburt und Tod.

"In Ost- und Südosteuropa ist noch heute der Volksglaube lebendig, dass nach Geburt eines Kindes drei Laumen (weiße Frauen, Geburtsgöttinnen, Schicksalsfrauen) erscheinen und dem Kind sein Los zuteilen. Durch Speise- und Trankopfer muß man sie geneigt machen." "Drei ist die beherrschende Zahl in der Totenpflege: dem Toten gibt man drei Kleider mit, drei Tage hält man Leichenwacht, bei der Beisetzung nach drei Tagen werden drei Tiere geschlachtet, dreimal umschritten wird der Scheiterhaufen des Toten, dreißig Tage oder drei Monate währt die Trauerzeit." (Danckert, S. 72 und 73)

Vier Wenn die Drei den Übergang darstellt, so die Vier das Feste, auf das gebaut werden kann. Das Quadrat, der Würfel, das Quader und der Kubus geben Halt und sichere Begrenzung. Das Geviert des Raums kann als die Geborgenheit verstanden werden, die er gewährt. Die 4 wird daher als weibliche Erde verstanden gegenüber dem männlichen Himmel. Die Erde erscheint flach und eben, und sie gilt begrenzt als Viereck. Aus dieser Vorstellung entstehen die 4 Ströme des Paradieses, die 4 Himmelsrichtungen und die 4 Jahreszeiten.

"Auch der Würfel wird in der alten Welt weiblichen Gottheiten zugeschrieben. Er ist nach Bachofen 'Bild der Ruhe, Sicherheit, Festigkeit', Seßhaftigkeit. Schwarze Steinwürfel waren vielerorts Kultsymbole der Erdgöttin, so auch der Kybele, in deren Namen nach W. Schultz die griechischen Wortwurzeln für 'Würfel' und 'Kubikelle' anklingen. Die Kybos-Gestalt der irdischen Welt entspricht dem durch ganz Vorderasien verbreiteten Würfelsymbol für die Erdgöttin Ka'abe-Kuba. Über dem würfelförmigen Unterbau wölbt sich die Tonnenwölbung Kamara = Mondgöttin des Himmels. Die Göttin Ka'aba, verkörpert in dem heiligen Stein von Mekka, genannt 'die reife Jungfrau', hieß astrologisch 'Haus' des Mondgottes. Der Stein 'Ka'aba, tetrágonos lithos, war das 'Haus' eines Obelisken, eines konischen Phallus-Steins. Den würfelförmigen Nabelstein des Weltalls nennt Philolaos: 'Das Erstgefügte, das Eine, inmitten der Kugel wird Hestia geheißen.' Der Stein der Hestia-Vesta war offenbar ein Ischtar-Kybelestein, göttlicher Mutterstein (petra genitrix) gleich dem heiligen Stein in der Ka'aba zu Mekka." (Danckert, S. 136f)

Heute dagegen übernimmt die Vier in etwa die Funktion der früheren Drei. Das zeigt sich schon darin, dass in einer charakteristischen Verschiebung der hebräische Buchstabe "daleth", der den offenen Winkel des Dreiecks zeigt, den Zahlenwert Vier bekommen hat. Die Vier steht heute für das Offene, Unerwartete, Intuitive. Entwicklungsprozesse werden nicht in drei, sondern in vier Phasen aufgeteilt und die vierte Phase erhält die Bedeutung der Innovation, wodurch die Phase der Depression überwunden wird. Während die durch die Trinität hergestellte Einheit als zu eng und zu dicht erscheint, öffnet die Quaternität neue Wege und gibt neuen Ideen Einlaß. Da aber die frühere Symbolbedeutung der Vier als Sicherheit und Begrenzung so überzeugend ist, ließ sie sich nie vollständig verdrängen und lebt etwa in den 4 Himmelsrichtungen weiter. Das hat zu einer großen Verunsicherung geführt und ständig droht die Vier aus der Balance zu geraten. Sprichwörtlich ist die Rede von dem Vierten, der vergessen wurde. Daher wird die 4 heute mal weiblich als Quadrat (Feld, Raum) und mal solarisch, d.h. männlich als Kreuz symbolisiert.

Fünf Wenn heute bereits mit der Vier die Symbolik der Zahlen zu wanken beginnt und das ausgerechnet dort, wo mit Quadrat und Quader Sicherheit gegeben werden soll, zeigt die Fünf unverhüllt die Krise, die am Ende der Zeit des Mutterrechts steht. Für die Pythagoreer sollte mit der Tetraktys das Gebäude der Zahlen abgeschlossen werden. Sie waren so konsequent, die Tonintervalle, die auf der 5 basieren, die große und die kleine Terz, äußerst kompliziert mit Potenzen von 2 und 3 darzustellen. "Statt 5/4 ergibt sich so der unübersichtliche Bruch 81/64; statt 6/5 erhalten wir 32/27." (Danckert, S. 236) Terzen und Sexten (d.h. die Intervalle 3:5, 4:5, 5:6 und 5:8) galten als weniger schön und wurden möglichst vermieden. Die "Moderne" der Musik begann, als erstmals im 13. Jahrhundert diese Hörgewohnheit durchbrochen wurde.

Als der Pythagoreer Hippasos den fünften regelmäßigen Körper (den Dodekaeder) entdeckte, wurde er ertränkt. Die ersten vier regelmäßigen Körper sind aus regelmäßigen Dreiecken bzw. Vierecken konstruiert (das Tetraeder aus 4 Dreiecken, das Oktaeder aus 8 Dreiecken, das Ikosaeder aus 20 Dreiecken, der Kubus aus 6 Quadraten), während der Dodekaeder aus 12 Fünfecken besteht. Das durfte nicht sein. Die Pythagoreer hielten diesen Körper konsequent geheim. Auch Platon wußte ihn nicht in sein System einzuarbeiten, wo die ersten 4 regelmäßigen Körper für die 4 Elemente stehen. Fünf ist die Zahl der bedrohlichen Irrationalität geworden. Sie paßt nicht in die rationalistischen, auf der Vier aufgebauten Systeme. Es gibt keine 5er Kristalle und keine 5er Parkette.

Ursprünglich war das Zeichen der Fünf die fünfblättrige Blüte (z.B. Rose, Lilie, Weinstock). Sie ist das Symbol der Venus bzw. ihrer Vorgängerinnen, das Symbol der Liebe, der Lebendigkeit und der Vollkommenheit. Die Wandlung von der fünfblättrigen Blüte zum fünfeckigen Stern zeigt bereits den Auflösungsprozeß des Mutterrechts. Der Stern am Himmel ersetzt die Pflanze auf der Erde.

"Der fünfeckige Stern taucht bereits in Sumer-Babylon-Elam auf. Überall im Orient war er das Zeichen der 'Vollkommenheit', des Kosmos, Symbol des Lebens und der Gesundheit mit der Beischrift 'Hygieia' bei den Griechen. Plutarch nennt die Gesundheitsgeberin Minerva Hygieia. Später verwandelt es sich in die Fensterrose gotischer Kirchen (z.B. Rouen). Noch heute ist das Pentagramm bäuerliches Zauberzeichen gegen böse Geister und Seuchen (an Viehställen). Das Pentagramm ist ursprünglich das Zeichen der Himmelskönigin." (Danckert, S. 228f)

Die Fruchtbarkeit der 5 hat sich in der griechischen Mythologie erhalten in der 50: so gibt es 50 Danaiden, Argonauten, Nereiden, Söhne und Töchter des Priamos, fünfzigköpfige Ungeheuer und Riesen, Heere, Chöre, Kollegien und Herden.

Sieben Die Siebenzahl symbolisiert für Danckert den Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat. Dies ist der erste Tonraum, für den er keine Beispiele aus matriarchalischen Kulturen findet. Es gibt für die Sieben keine figürliche Gestalt entsprechend dem Delta, dem Quadrat oder der Blüte. Ihr Zeichen bedeutet im Chinesischen, dass ein gerades und ein krummes Holz aufeinander gelegt sind. Die Sieben ist die Grenze, wo die sinnliche Wahrnehmbarkeit verlassen wird. Die Wahrnehmungsphysiologie bestätigt, dass es ab Mengen mit 7 Elementen nicht mehr möglich ist, die Anzahl der Elemente ohne Nachzählen auf einen Blick zu erfassen.

Die Pythagoreer standen an der Grenze. Bei ihnen stehen früheres und neues Wissen oft unvermittelt nebeneinander. Empfanden sie die Fünf bereits als irrational, so galt die Sieben regelrecht als Un-Zahl. "Die Zahl Sieben galt in Hellas als 'ekmelische', d.h. außermusikalische Zahl. Der Pythagoreer Philolaos verglich sie mit der mutter- und kinderlosen Athene-Nike; sie gebiert keine (irdischen) Töne, ist daher die 'jungfräuliche' Zahl." (Danckert, S. 277) Wenn die Pythagoreer schon die Terzen und Sexten nicht hören mochten und umständlich umschrieben, ist die Naturseptime (4:7) ganz aus der abendländischen Musik verbannt. Daran wagte selbst die "moderne" Musik der Neuzeit nicht zu rütteln. Gehörphysiologisch klingt sie keineswegs weniger harmonisch, und daher kann bis heute die Musikwissenschaft keine andere Erklärung geben, als dass die "böse 7" vermieden werden sollte.

Das älteste Beispiel heptatonischer Leiterbildung sieht Danckert in der "Melodik des altindischen Saman-Veda-Gesangs" (S. 282), das eindeutig auf die männlichen Götter zurückgeht und wohl zeitlich mit den Veden entstanden ist. Überhaupt verkörpert die Heptatonik für Danckert das typisch Männliche, Vorandringende, Erobernde:

"Bei den Hirten (Turkvölkern und Mongolen) verliert die Pentatonik mit anderen Worten ihre pflanzerische Ursprungsbedeutung: sie ist keinesfalls noch hüllende Sphäre, Medium sich einbettender Melodik, sondern Organon eines ungehemmten Weitendranges, der sich z.B. in Großumfängen, Großintervallen, machtvoller Steigerung und Vortragsart kundgibt. Am reinsten prägt sich sich dieses Großlinige, Weite, Machtvolle im Melos der Mongolen aus." (Danckert, S. 303)

Und die 7 erscheint als die Zahl des Nordens. Mal in dem Sinne, dass die Hirtenvölker oft von Norden her in die Hochkulturen eingedrungen sind. In China sieht Richard Wilhelm noch in den 1920er Jahren eine Vorliebe für Heptatonik im Norden und für Pentatonik im Süden. Aber auch durch ihre astrale Bedeutung. Die 7 ist symbolisiert in den 7 Sternen des Großen Bären, dem Symbol des Nordhimmels. Andere astrale Bedeutungen der 7 sind die 7 als Viertel des 28-tägigen Mondzyklus, als Planetenzahl und recht selten als Zahl der Sterne der Pleiaden. Dagegen spielt die 7 keine Bedeutung in der Gesteinswelt oder der belebten Natur.

Die 7 als Nordzahl bedeutet allerdings nicht, dass sie zuerst im Norden im heutigen Sinn, d.h. in Nordeuropa, ihre Bedeutung bekam. Die 7er Systeme wurden systematisch zuerst von den Babyloniern ausgearbeitet, d.h. nach Eindringen von Hirtenvölkern aus dem Norden in die ältesten Kulturen.

"Zur zeugungsfernen, reinen Licht- und Geistzahl, Zahl der Wandellosigkeit, wurde die Sieben in Hellas, im Judentum und Islam. Aus der weithin bekannten Fülle der biblischen und kabbalistischen Siebenzahlen seien hier vor allem diejenigen herausgegriffen, die mit der altorientaischen Vorstellung der musica mundana zusammenhängen: sieben Priesterhörner (Jobelhörner) erschüttern nach sieben Umgängen die Mauern Jerichos; die sieben planetarischen der zehn Sephirot - die drei obersten sind Fixsternsphären - nennt die Kabbala die 'sieben Stimmen'.

Kanaaniter wie Hebräer kennen den Siebenjahreszyklus. Der Schöpfungsmythos von Ugarit 'Die Geburt der Götter' wurde wahrscheinlich zum Abschluß eines siebenjährigen Zyklus und zu Beginn des neuen Zeitabschnitts als Kultdrama aufgeführt. Die Vorbilder für die himmlisch gute wie für die verhängnisvolle Sieben stammen aus dem Zweistromlande. Auch die Iranier schließen sich mit ihrer Vorliebe für Heptaden offenkundig an babylonische Vorbilder an. Auffälig und bezeichnend ist es jedoch, dass die beiden so scharf getrennten Welthälften und Geisterreiche des zoroastrischen Systems gleichmäßig an der Siebenzahl teilhaben." (Danckert, S. 313)

So wird in der monotheistischen Welt die Sieben "Signatur sich anbahnender Welt- und Gottesspaltung". Gott und Satan stehen einander gegenüber. Nicht nur in den zoroastrischen Systemen gliedern sich Gut und Böse nach Siebenzahlen. Auch im Judentum und Christentum wird die Sieben heilige und zugleich ruchlose Zahl. 7 Worte Christi am Kreuz, 7 Vaterunser-Bitten, aber auch 7 Todsünden. Für Bachofen siegt das Patriarchat mit der Erhebung der Hebdomas über die Pemptas.

"Sie ist Sonnenzahl, daher auch dem Sonnenhelden Herakles beigelegt, Platons siebensaitiger Lyra. Sie symbolisiert auch die mutterlos geborene 'über den Stoff erhabene', zur Lichtnatur durchgedrungene Athene: die Pythagoreer nannten die Sieben (nach babylonischem Muster) 'Pallas'." (Danckert, S. 315)

So ist das wichtigste Resultat der Arbeit von Danckert, dass das Symbolische in der Mathematik nichts Unveränderliches ist. Der Untergang des Mutterrechts war auch eine erste Krise der symbolischen Mathematik, die im Grunde bis heute verdrängt wird. Danckert wendet sich daher gegen Arbeiten aus der Schule von Jung ("Zahlensymbolik im Unbewußten" von Paneth, erschienen 1952 in Zürich), wo die Zahlen als Archetypen interpretiert werden, die zu allen Zeiten und für alle Menschen gelten. Das gilt aber genau so für andere Symbolbedeutungen, etwa das Symbol des Nordens.

Literaturhinweise

© tydecks.info 2002