Walter Tydecks

Die Sprache der Kunst(kritik)
und die ästhetischen Prädikate

Duchamp Urinal
Marcel Duchamp Fountain, Foto von Alfred Stieglitz (1917)

Beitrag für das Philosophische Colloquium der Akademie 55plus Darmstadt am 19.2.2018

Kunstkritik

Für den US-amerikanischen Philosophen Arthur Coleman Danto (1924-2013) führt der Weg zum Verständnis der Sprache der Kunst über die Kunstkritik. Danto hat u.a. bei Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) studiert, und sah sich als eine Art Grenzgänger unter den analytischen Philosophen, bei denen er Nietzsche und Sartre rehabilitieren wollte. Was lässt sich von der analytischen Sprachphilosophie für eine traditionell eher hermeneutische Philosophie der Kunst lernen? Wie ist eine analytische Untersuchung der Sprache der Kunst möglich? Sie zerlegt die Sprache in Texte, Sätze und ihre Bestandteile. Die kleinste Einheit einer Sprache der Kunst sollten ästhetische Prädikate sein wie z.B. ‘schön’, ‘erhaben’, ‘anregend’, ‘gehaltvoll’. Damit wechselt die analytische Philosophie von der Sprache der Kunst zur Sprache der Kunstkritik. Es geht ihr um sprachliche Urteile über die Kunst und weniger um die Frage, ob die Kunst eine eigene Sprache hat. Aus Perspektive der analytischen Philosophie fallen beide letztlich zusammen. Wenn ein Künstler mit seiner Kunst etwas sagen will, muss es in der einen oder anderen Weise ästhetischen Urteilen genügen oder in den Beispielen ganz großer Kunst geradezu neue Definitionen und Kategorien der Kunst hervorbringen. Damit bricht die analytische Philosophie zugleich mit der Tradition der Ästhetik, die nach objektiven Eigenschaften suchte, was Kunst ausmacht. Sie will aber auch nicht in das andere Extrem rein subjektiver Geschmacksurteile fallen, sondern geht einen eigenen Weg. Um diesen Ansatz verständlich zu machen, wählt Danto Extrembeispiele, an denen auf den ersten Blick alle Versuche versagen müssen, über Kunst urteilen zu können, wie das 1917 von Marcel Duchamp ausgestellte Urinal und die Brillo-Boxes von Warhol (1964), das sind ganz normale Lebensmittelkartons aus einem Supermarkt. Sind das noch Kunstwerke? Sie sind völlig identisch mit Gebrauchsgegenständen des Alltags und lassen sich daher als Gegenstände nicht anders beschreiben als die Objekte, die aus der Alltagswelt geholt und in einem Museum ausgestellt wurden. Wenn sie dennoch als Kunst gelten sollen, dann muss es für sie ästhetische Prädikate geben, die sich von allen üblichen sachlichen Prädikaten der Protokollsätze unterscheiden.

Für Danto waren diese Kunstwerke – wenn sie überhaupt als solche bezeichnet werden können – eine Art Offenbarung. Erst an ihnen lässt sich für ihn die Sprache der Kunst klar von der üblichen Sprache unterscheiden, mit der im Alltag über Gegenstände gesprochen oder in der Naturwissenschaft Experimente protokolliert werden. Für ihn liegt die Kunst dieser Kunstwerke in nichts anderem, als dass sie eine Sprache provozieren und bewusst werden lassen, die über ihre eigenen ästhetischen Prädikate verfügt. Was Wittgenstein noch recht unbestimmt als Sprachspiel bezeichnet hat, wird an diesen Kunstwerken ihr ästhetisches Prädikat: Das ist ihre Fähigkeit, ein bisher unbekanntes Sprachspiel auszulösen, das sich im Gespräch über diese Kunstwerke entzündet. Für Danto erzeugen sie nicht nur ein Sprachspiel und zeigen nicht nur eine Lebensform, die sich an Gesprächen dieser Art erfreut und möglicherweise über sie in ihrem Selbstverständnis definiert, sondern an ihnen konstituiert sich eine Kunstwelt, deren Eigenschaft ausschließlich in ihrer Sprache besteht. Es ist unmöglich, für die Sprache der Kunstwelt objektive Bedeutungen zu finden nach dem Muster, wie Frege sagen konnte, dass es sich beim Abendstern und dem Morgenstern übereinstimmend um die Venus handelt. Bei allen Kunstwerken kann nur übereinstimmend gesagt werden ›das ist Kunst‹ oder ›das ist keine Kunst‹, so wie sich nach Frege auf einer Meta-Ebene über alle Sätze nur sagen lässt ›das ist wahr‹ oder ›das ist nicht wahr‹. (Hegel fasste Urteile dieser Art wie ‘schön’ oder ‘wahr’ als Urteile des Begriffs, Wissenschaft der Logik, Band 2, HW 6.344).

Daher droht sich diese Sprache für einen Außenstehenden in nichtssagende Tautologien aufzulösen wie ›Kunst ist, was einen künstlerischen Einfall enthält‹, so wie die analytische Philosophie mit Tautologien nach dem Muster »Die Aussage ‚Schnee ist weiß’ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist« (Tarski) in eine Sackgasse geraten war. Nach Reiner Wiehl ist für Danto die Kunst letzten Endes nichts anderes als eine »künstlerische Aussage über ein Geschehen« (Wiehl, 221). Was unterscheidet eine künstlerische Aussage von einer gewöhnlichen Aussage? Kunst und künstlerische Aussage fallen zusammen. Aus dieser Perspektive gibt es keine Sprache der Kunst vergleichbar der Sprache der Blumen oder der Steine, sondern Kunst ist eine besondere Sprachfähigkeit, nicht nur über Dinge oder Ereignisse etwas bisher nie Gesagtes sagen zu können (was auch einem naturforschenden Entdecker möglich ist), sondern darüber ein Sprechen anzuregen, das diese Dinge und Ereignisse aus ihrem gewöhnlichen Zusammenhang reißt und eine neue Art von Gespräch über sie eröffnet. Es wird z.B. nicht mehr darüber gesprochen, wie ein Lebensmittelkarton gelagert, geöffnet und entsorgt werden kann, wie er hergestellt wurde, welche Eigenschaften er hat (Farbe, Größe, Material, Haltbarkeit und Wiederverwendbarkeit usf.), sondern er erscheint als ein reines Phänomen, an dem sich etwas anderes zeigt. Die Kunst ist die Fähigkeit, den Blick auf dies Andere zu öffnen und über Dinge und Ereignisse nicht mehr nur in ihrem jeweiligen Sachzusammenhang zu sprechen, sondern sie in einem großen Ausdruck philosophisch zu sehen. An diesem Punkt scheinen mir trotz aller gegenseitigen Kritik Heidegger, Adorno und Danto übereinzustimmen.

Die moderne Kunst des 20. Jahrhunderts gibt Danto die Möglichkeit, die traditionelle Unterscheidung in gewöhnliches und spekulatives Denken zu unterlaufen. Wenn von der traditionellen Philosophie der analytischen Philosophie vorgeworfen wurde, sie sei zu nüchtern und ihr fehle sowohl jede Intuition wie auch jedes Gefühl für die Heiligkeit und Einmaligkeit der Dinge, dann ist für Danto die moderne Kunst eines Andy Warhol (1928-1987) oder Roy Lichtenstein (1923-1997) die Möglichkeit, im analytischen Sprechen über ihre Kunst einen eigenen Weg zu finden, der diese Schwachstelle ausfüllt. Er sucht nicht mehr nach hintergründigen Eigenschaften der Dinge, die sich erst und nur dem intuitiven oder visionären Denken erschließen, sondern er fragt nach der spezifischen künstlerischen Sprachfähigkeit, ihre eigene Welt zu schaffen. Ich vermute, dass er die von Carnap kritisierten philosophischen Werke im Stil von Hegel oder Heidegger letztlich nur als Kunstwerke gelten ließe, die nicht anders als Duchamp oder Warhol in der Lage waren, ihre eigene Sprache zu schaffen und eine Gemeinde von Menschen um sich zu scharen, die sich über diese Sprache miteinander verständigen und von allen anderen Menschen unterscheiden wollen.

Danto gibt ein Beispiel:

»Was folgt ist eine Liste von Termini, die ich einem kritischen Bericht über eine Ausstellung von André Racz entnahm. Es sind zufälligerweise Blumenzeichnungen, und es ist bedenkenswert, daß nur wenige der hier aufgelisteten Prädikate sich ohne weiteres auf Blumen anwenden ließen: ‘kraftvoll’, ‘flink’, ‘flüssig’, ‘Tiefe haben’, ‘Körperlichkeit haben’, ‘scharf’, ‘beredt’, ‘feinfühlig’.« (Danto 1981, 237)

Andere Beispiele für ästhetische Prädikate sind ‘billig’ und ‘gewöhnlich’, bei Musikstücken werden häufig Emotionsausdrücke wie ‘traurig’ gewählt (Danto 1981, 145, 289). Die Kunstwelt verlässt sich darauf, dass jeder intuitiv versteht, was gemeint ist. – Wer böswillig ist, wird die Kunstkritik als eine Variante der Weinsprache ansehen, wenn für diese z.B. gilt: »Reich, tief, lang oder adstringierend sind Wörter, die den Geschmack eines Rotweins beschreiben können« (Wikipedia, abgerufen am 27.1.2018). Vergleichbar der selbst ernannten Gemeinde von Weinkennern bildet sich eine Elite von Kunstkennern, die in ihren eigenen Reihen eigene Maßstäbe setzt und gelten lässt. Warum gelten nur die Brillo-Boxes von Warhol als Kunst, während jeder Außenstehende für unkünstlerisch abqualifiziert worden wäre, wäre er mit einer ähnlichen Aktion aufgetreten? Offenbar gelingt es einzelnen Künstlern, in der Kunstwelt eine besondere Autorität zu erlangen, die mit dem Charisma ihres Auftretens und ihrer Vernetzung in der Kunstwelt zu tun hat. Es kommt darauf an, im richtigen Moment mit der richtigen Idee den jeweiligen Zeitgeschmack zu treffen. Ist einmal so etwas erfolgt wie die Brillo-Boxes, dann ist anschließend die Idee verbrannt und jeder würde sich lächerlich machen, der sie zu wiederholen versucht.

Danto ist sich dessen völlig bewusst. Ihm geht es um die zweifache Zirkularität, die sich in dieser Sprache zeigt:

(i) Sie kann nicht anders als für Kunstwerke ästhetische Prädikate zu wählen, die ursprünglich Prädikate für die realen Gegenstücke von Kunstwerken waren (wie in diesem Beispiel ‘kraftvoll’, ‘flink’ usf.). Ein Maler kann einen bewegten See zeichnen, doch muss deswegen sein Bild nicht bewegt sein. Andererseits versteht jeder, was gemeint ist, wenn ein Kunstwerk als bewegt gilt. Das lässt sich bis auf die Grundbegriffe der Physik erweitern: »Jede Statue hat Gewicht, jedes Gemälde nimmt Raum ein; aber nicht jede Statue drückt Gewicht aus, und ebenso wenig drückt jedes Gemälde Raum aus, obwohl einige dies sicher tun.« (Danto 1981, 291)

(ii) In seiner Sprache über Kunst äußert der Angehörige der Kunstwelt seinen Sinn für Kunst und dass er den sprachlichen Code der Kunstwelt beherrscht und daher zu ihr gehört. Kunstwerke geben der Kunstwelt die Möglichkeit, sich in der Sprache über die Kunstwerke zu konstituieren, und sie existieren ihrerseits als Kunstwerke nur in den Urteilen aus der Kunstwelt. Beide konstituieren sich gegenseitig. Danto gibt damit einer bereits verblüffend ähnlichen Formulierung von Heidegger eine überraschende, neue Wendung. »Künstler und Werk sind je in sich und in ihrem Wechselbezug durch ein Drittes, welches das erste ist, durch jenes nämlich, von woher Künstler und Kunstwerk ihren Namen haben, durch die Kunst.« (Heidegger, 1) Während jedoch Heidegger die Kunst als ein Geschick zwischen Erde und Himmel versteht, welches den Künstler ergreift, ist es für Danto nichts weiter als ein gesellschaftlicher Mechanismus, in dem die Kunstwelt, um bestehen zu können, die zu ihr passenden Künstler und deren Werke anzieht und fast nach Belieben etabliert oder wieder fallen lässt.

Die Logik dieses doppelten Wechselverhältnisses entspricht dem vom Gödel eingeführten Verfahren der Gödelisierung. So wie Gödel mit den Gödelzahlen den elaborierten Elementen der logischen Sprache Elemente aus ihrer Referenzmenge – den gewöhnlichen Zahlen – zuwies, so kann die Sprache der Kunst ihre eigenen Sprachelemente (die ästhetischen Prädikate) nur aus der gewöhnlichen Sprache entnehmen, mit der über die realen Gegenstücke der Kunstwerke gesprochen wird. In der Konsequenz gerät sie zwangsläufig in die von Gödel genannten Paradoxien. Es ist unvermeidlich, dass in fortlaufender Selbstbezüglichkeit auch eine Kunst entstehen wird, die das Kraftvolle von Kunstwerken ihrerseits als Kunstwerk darstellt usf. Danto erwähnt zwar Gödel und die mit ihm geltenden Schlussfolgerungen nicht, aber er nennt ein Beispiel, das in diese Richtung geht: Das 1962 ausgestellte Portrait of Madame Cézanne von Roy Lichtenstein (1923-1997): Paul Cezanne hat 1885-1887 ein Gemälde von seiner Frau gemalt. Erle Loran hat 1943 eine graphische Zeichnung über den Bildaufbau dieses Gemäldes erstellt, die wiederum Lichtenstein photogenau kopiert und als Kunstwerk angesehen hat.

Cezanne Madame Cezanne    Cezanne Loran    Cezanne Lichtenstein

Paul Cézanne, Portrait of Madame Cézanne, 1885-1887
Erle Loran's diagram of Portrait of Madame Cézanne from Cézanne's Composition, 1943
Roy Lichtenstein, Portrait of Madame Cézanne, 1962

Urheber: Cézanne: By Paul Cézanne, Public Domain, Link
    Loran: By Source, Fair use, Link
    Lichtenstein: By Source, Fair use, Link

An diesem Beispiel lässt sich zugleich die Kontroverse von Carnap und Gödel veranschaulichen: Bedeutet das im Ergebnis, dass alles als künstlerisch gelten kann, wenn es in irgendeiner Weise gelingt, hierfür eine ästhetische Sprache zu entwickeln, die innerhalb der jeweiligen Kunstwelt gültig ist und sich nach außen verständlich machen kann? Das scheint mir Danto nahe zu legen, und insofern folgt er dem Toleranzprinzip von Carnap. Gödel fragte demgegenüber nach »objektiven ästhetischen Werten« (Gödel, 374). Siehe hierzu den Beitrag Gödel und die Sprache der Kunst.

Ein Grenzfall ist für mich das Werk von Joseph Beuys (1921-1986), wenn er über letztlich beliebige ästhetische Prädikate hinaus Kunstwerke von visionärer Kraft schaffen wollte. Seine Verwendung von Fett, Honig, Filz, Hasen soll etwas treffen, das nicht nur die Darstellung eines beliebigen realen Gegenstücks durch ein Kunstwerk zeigt, oder eine Stufe abstrakter die Darstellungsmethode der Kunst, sondern hat für ihn im Sinne von Gödel einen objektiven Wert. Er ist für mich daher entgegen allen Vorurteilen ein Beispiel, die Kunst aus der Gefahr der Beliebigkeit hinauszuführen und dies mit den aktuellsten Methoden seiner Zeit, »mit dem fortgeschrittensten Material seiner Periode« (Adorno, 37).

Danto ist sich der Beliebigkeit und Zirkularität der Kunstsprache (und mit ihr der Kunst) bewusst, sieht hierin jedoch nicht wie Gödel einen Mangel oder immerhin eine offene Frage, sondern erklärt in Anlehnung an Hegel konsequent das Ende der Kunst (The End of Art), so in seinem 1984 veröffentlichten gleichnamigen Beitrag für die Zeitschrift Nation. Umgekehrt heißt das für mich, dass Gödel weitsichtig das drohende Ende nicht nur der Kunst und ihrer Sprache, sondern auch der Mathematik und der Logik gesehen hat, wenn sie den von Carnap vorgeschlagenen Weg geht.

Vom Anfang und vom Ende der Kunst

Die Geschichte der uns bekannten Kunst beschränkt sich für Danto ungefähr auf die 600 Jahre von 1350 bis 1960, oder anders gesagt von der Renaissance bis zur Pop-Art. Was war vor der Kunst? Danto beruft sich auf Hans Belting Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1991: Vor 1350 wurde Kunst noch nicht als Kunst wahrgenommen. Es gab nur zwei Möglichkeiten, den besonderen Status von Bildern zu erklären, die wir heute als Kunst bezeichnen würden: (i) »Bei diesen Bildern handelt es sich effektiv um physische Spuren wie Fingerabdrücke, weshalb sie auch den Stellenwert von Reliquien genossen.« (Danto 1997, 41) Das sind in christlicher Tradition vor allem die Christusreliquien wie das Schweißtuch der Veronika, die Windeln Jesu, Nägel vom Kreuz, an dem Jesus getötet wurde u.ä., aber auch andere Weltreligionen kennen Reliquien. (ii) »Der Maler war ein Heiliger wie der heilige Lukas, 'von dem man glaube, Maria habe ihm zu Lebzeiten Porträt gesessen. ... [Man ließ] entweder die Madonna selbst das Porträt vollenden, oder gar ein Wunder, verursacht durch den Heiligen Geist, geschehen, um eine noch höhere Authentizität zu behaupten.« (Danto 1997, 41)

Erst mir der Renaissance wird die Kunst als das Werk großer Künstler und ihrer subjektiven Ausdruckskraft verstanden. Ähnlich wie Descartes eine Wende in der Philosophie vollzog, als er von der Frage nach dem Objekt überging zur Frage, wie das Subjekt das Objekt erkennen kann, hatte sich die Kunst Zug um Zug um die Fragen der künstlerischen Gestaltung gekümmert wie die Perspektive, die Beschränkung des Bildes auf ein Rechteck und schließlich die Subjektivität des Künstlers, die sich in dessen Werk zeigt.

Mit dem Höhepunkt der Aufklärung und der Französischen Revolution wurde absehbar, dass deren Möglichkeiten irgendwann ausgeschöpft sind. Für Danto ist seit 1806 die Geschichte der Kunst am Ende. Das war das Jahr, in dem Hegel die Phänomenologie des Geistes veröffentlichte. Die Geschichte der Kunst war in dem Moment beendet, als der Künstler sich als Philosoph zu verstehen begann, der mit seinem Werk seine eigene Sicht der Objekte und letztlich seine philosophischen Überzeugungen zu gestalten vermag. An diesem Punkt kann die Philosophie an die Stelle der Kunst treten, wenn sich der Künstler bewusst wird, dass es in seinem Werk im Grunde nur um seine Philosophie geht. Da wird es einfacher, direkt zur Philosophie zu wechseln statt mühsam in der Kunst Gedanken auszuführen, die in ihrem Wesen philosophische Aussagen sind. Für Hegel geht die Philosophie über die Kunst hinaus.

»Die Kunst in ihren Anfängen läßt noch Mysteriöses, ein geheimnisvolles Ahnen und eine Sehnsucht übrig, weil ihre Gebilde noch ihren vollen Gehalt nicht vollendet für die bildliche Anschauung herausgestellt haben. Ist aber der vollkommene Inhalt vollkommen in Kunstgestalten hervorgetreten, so wendet sich der weiterblickende Geist von dieser Objektivität in sein Inneres zurück und stößt sie von sich fort. Solch eine Zeit ist die unsrige. Man kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde, aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein.« (Hegel Vorlesungen über die Ästhetik, HW 13.142)

Es folgte eine zerfahrene Zeit der »manifestbestimmten Kunst« mit den Manifesten des Futurismus, Kubismus, Fauvismus, Surrealismus usf., die einander in immer kürzeren Zyklen ablösten. Der Abstrakte Expressionismus und die monochrome Malerei waren die letzten Versuche, neue Kunstrichtungen auf die Beine zu stellen. Ihre Vertreter wie Mark Rothko (1903-1970) waren anfangs überzeugt, damit habe sich ein neues Paradigma gebildet, das nun über Jahrhunderte Bestand habe. Zugleich sah sich die Kunst von der Technik herausgefordert. Einen ersten Schock hatte es bereits mit Entstehen der Fotografie ab 1826 gegeben. Charles Baudelaire (1821-1867) war von dem Kunstfotografen Nadar (1820-1910) nicht weniger begeistert als von einer anderen neuen Richtung, den Illustratoren und Gestaltern der modernen Kunst- und Salonzeitschriften wie Constantin Guys (1802-1892). Hellsichtig sah er die Vorzeichen einer neuen Art von Kunst, die sich im 20. Jahrhundert durchsetzte, sei es in den nahezu unbegrenzt vielfältigen Ausgestaltungen des Design bis zur Medienkunst oder einer neuen Art, mit der Performance-Kunst die Grenzen von Kunst und Leben zu überschreiten. Diese Richtungen hat Danto jedoch nur in ihren Anfängen bei Warhol und Beuys wahrgenommen und es wäre ein eigenes Thema, ihnen und ihrer philosophischen Deutung weiter nachzugehen. Derzeit versucht sich eine performance philosophy zu etablieren. Ausgehend von Nietzsche und Foucaults Sorge um sich wird Performance "als eine Art des Denkens gegenüber der Philosophie" verstanden (Marion Leuthner Performance als Lebensform, Bielefeld 2016, S. 11 in einer Dissertation mit Schwerpunkten über die Arbeit der Performancekünstler Linda Montano, Genesis P-Orridge und Stelarc).

Literatur

Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt 1973 [1970]

Arthur C. Danto 1981: Die Verklärung des Gewöhnlichen, Frankfurt am Main 2014 [1981]

Arthur C. Danto 1997: Das Fortleben der Kunst, München 2000 [1997]

Kurt Gödel: Modern Development of the Foundations of Mathematics [1961]
in: Kurt Gödel: Collected Works, Bd. 3, Oxford 1995, 374-387

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in 20 Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu ediert. Red. E. Moldenhauer und K. M. Michel. Frankfurt/M. 1969-1971 (zitiert als HW); Link

Martin Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks [1936]
in: Martin Heidegger: Holzwege, Frankfurt am Main 1980, 1-74

Frederic Jameson: Postmoderne, Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus [1984]
in: Andreas Huyssen, Klaus Scherpe (Hg.): Postmoderne, Reinbek 1986, 45-102

Reiner Wiehl: Philosophische Ästhetik zwischen Immanuel Kant und Arthur C. Danto, Göttingen 2005

Bildnachweis des Titelbildes: Von Marcel Duchamp - src Original picture by Stieglitz, Gemeinfrei, Link


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