Walter Tydecks

Das Licht

Vier Fragen der Relativitätstheorie an den Buddhismus
 

Spacetime_lattice_analogy
Sonnenlichtstrahl im Hohlraum der Rocca ill'Abissu an der Fondachelli Fantina, Sizilien

Beitrag für den Themenkreis Naturwissenschaft und Technik von 50plus aktiv an der Bergstraße am 25.9.2019 in Bensheim

 

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit
Zeit und Altern, Zirkularität des Mediums
Unsichtbarkeit des Äthers (thatata)
Photozentrismus und Erleuchtung (bodhi)
Die Kraft des Lichts (siddhi)
Energie und Information (Rauch, Schnee, Schaum, Filz) (rupadhatu)
Anhang: Engel – Lichtwesen im Christentum und Buddhismus (tennin)

Einleitung

Die Relativitätstheorie ist experimentell außerordentlich gut bestätigt und – wenn einmal der Dreh verstanden ist – mathematisch im Grunde sehr einfach herzuleiten. Sie funktioniert, sie stimmt, alles scheint gelöst. Daher gibt es anders als bei der Quantenmechanik keine grundsätzlichen Kontroversen über ihren Stellenwert mehr und vergleichsweise wenig Literatur über ihr Verhältnis zum Buddhismus. Heute ist kaum mehr vorstellbar, welche Erschütterung sie in den Jahren nach ihrer Veröffentlichung 1905 ausgelöst hat. Das hat sich vollständig geändert, seit alle Tests der speziellen Relativitätstheorie positiv verlaufen sind und ohne die Spezielle Relativitätstheorie weder die Experimente der Teilchenphysik noch die Flugbahnen von Weltraummissionen berechnet werden könnten. Die Auswirkungen reichen bis in den Alltag: Moderne Navigationssysteme wären ohne das Global Positioning System (GPS) nicht möglich, das relativistische Effekte berücksichtigen muss. Seither wird die Relativitätstheorie nicht mehr in Frage gestellt und ist im Grunde besser bestätigt und genauer als zahlreiche andere physikalische Theorien. Nur Albert Einstein (1879-1955) war mit dieser Entwicklung nie ganz zufrieden. Unter der Fülle der experimentellen Bestätigungen und Anwendungen sind die grundsätzlichen Fragen verloren gegangen, um die es ihm ursprünglich ging. Wir haben uns an die Gleichungen und Rechnungen der Relativitätstheorie gewöhnt und drohen zu vergessen, welcher Phantasien die Naturwissenschaftler fähig sein mussten, um sie aufstellen zu können. Das war verbunden mit tiefen Ängsten und bisweilen sogar Verzweiflung. Einstein wären seine Entdeckungen kaum möglich gewesen, hätte er sich nicht zeitlebens auf eine Art Kinderglauben stützen können, für den er unter seinen aufgeklärten Fachkollegen zunehmend weniger Verständnis fand. Die Frage nach dem Licht war für ihn weit mehr als eine Sammlung von Formeln und Anwendungen, und er bedauerte die Entwicklung der Naturwissenschaften, die sich zunehmend stärker auf mathematische Arbeiten und physikalische Experimente beschränkte. Aber fand er Ansprechpartner in der Religion? Zwar wurde Georges Lemaître (1894-1966), der Begründer der Urknalltheorie 1940 in die Päpstliche Akademie der Wissenschaften berufen und 1960 deren Präsident, aber es kam zu keinem tiefgehenden Austausch zwischen der christlichen Kirche und der Naturwissenschaft. Für viele überraschend hat sich stattdessen mit Tenzin Gyatso (* 1935), dem 14. Dalai Lama ein neuer Gesprächspartner gefunden, mit dem sich neue Antworten für die Grundlagenfragen und das Verhältnis zu Religion und Ethik ergeben. Er hat seit den 1980ern führende Physiker wie C.F. v. Weizsäcker, Bohm und Zeilinger getroffen und 1987 gemeinsam mit dem Biologen Varela die Reihe der Mind-and-Life-Dialoge begründet.

Vor allem zwei Fragen sind offen geblieben: Ist das Licht ein Teilchen, eine Welle, beides oder keines von beiden, und wie ist zu erklären, dass sich kurz nach dem Urknall das Weltall »innerhalb eines Zeitraums von 10⁻³⁵ bis 10⁻³⁰ Sekunden nach dem Urknall mit Zehn-Billion-Billionenfacher Lichtgeschwindigkeit« ausgedehnt hat (Harald Zaun Dem Urknall ein großes Stück näher in telepolis vom 5. März 2016)? Während sich der Raum im Ganzen schneller als mit Lichtgeschwindigkeit verändern kann, sind in ihm nur Bewegungen mit höchstens Lichtgeschwindigkeit möglich. Darüber wird in den Darstellungen der Relativitätstheorie kaum gesprochen, da sich die Frage nach dem Licht als Grenzgeschwindigkeit neu stellt. Das ist ein Paradox, das einem strengen Logiker wie Kurt Gödel (1906-1978) nicht entgangen ist. Er war mit Einstein befreundet und einer der wenigen, der dessen Fragen nach dem Licht verstand und nach einer Antwort suchte.

Es ist daran zu erinnern, dass Einstein im Jahr 1905 mit zwei gleichzeitig entstandenen Arbeiten die Physik umgewälzt hat. Mit der einen hat er die Spezielle Relativitätstheorie begründet, mit der anderen hat er nachgewiesen, dass das Licht aus Teilchen besteht und den Begriff der Lichtquanten (Photonen) eingeführt. Die praktischen Konsequenzen zeigen sich heute, wenn mit der Photovoltaik aus Licht Strom erzeugt werden kann, was zur Ablösung der auf Kohle und Öl basierenden Energieversorgung führen wird. Vereinfacht gesagt stoßen bei der Photovoltaik die Lichtteilchen auf ein geeignetes Material, in dem sie die dort enthaltenen Elektronen anstoßen und in Bewegung versetzen, wodurch Strom zu fließen beginnt.

Sein übergeordnetes Ziel war eine einheitliche Theorie aller bekannten physikalischen Naturerscheinungen, das waren zu seiner Zeit insbesondere Elektrizität und Mechanik. Um das zu verstehen, ist historisch nochmals ein Schritt zurück zu gehen. 1864 hat Clerk Maxwell (1831-1879) die mathematischen Gleichungen aufgestellt, wie sich der Elektromagnetismus mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet. Er hat diese Gleichungen nicht aus Axiomen hergeleitet, sondern intuitiv aus dem ihm vorliegenden empirischen Material erraten. Sie sind heute neben der Speziellen Relativitätstheorie eine der experimentell am besten abgesicherten Gebiete der Physik. In seinen Gleichungen tritt die Lichtgeschwindigkeit c als eine Konstante auf, die sich nirgends ändert.

Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit

Einstein erkannte die weitreichende Bedeutung. Die Geschwindigkeit des Lichts lässt sich messen, doch das Ergebnis von Maxwell ging wesentlich weiter: Licht hat nicht nur eine eigene Geschwindigkeit, sondern diese Geschwindigkeit lässt sich mit keinen anderen Geschwindigkeiten addieren. Wenn z.B. die durchschnittliche Geschwindigkeit des Wanderns ungefähr 6 km pro Stunde beträgt, lässt sich diese Geschwindigkeit erhöhen, wenn jemand in einem Zug, der mit beispielsweise 120 km pro Stunde fährt, innerhalb des Zuges nach vorne wandert. Für ihn addieren sich beide Geschwindigkeiten und er kommt insgesamt mit 126 km pro Stunde nach vorn, bis er den Anfang des Zuges erreicht hat und dort stehen bleiben muss. Beim Licht ist das anders. Es hat immer die gleiche Geschwindigkeit unabhängig davon, ob es sich innerhalb einer bewegten Umgebung ausbreitet oder nicht. Das widerspricht allen Erfahrungen aus dem Alltag.

Doch gibt es eine Ausnahme, für die auch im Alltag erfahren werden kann, dass konstante Geschwindigkeiten auftreten: Das sind Geschwindigkeiten, die sich durch ein Medium wie Wasser oder Luft ausbreiten. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Wellen im Wasser hat komplexe Ursachen wie z.B. die Wassertiefe, die Oberflächenspannung oder Verunreinigungen des Wassers. Ihre Geschwindigkeit ist jedoch unabhängig von der Geschwindigkeit, mit der ein Objekt auf die Wasseroberfläche fällt und die Wellenbewegung auslöst und beträgt ungefähr 1,8 km/h. Ähnlich ist es bei Schallwellen. Die Schallgeschwindigkeit kann sich ändern, wenn sich die Eigenschaften des Mediums ändern, in dem sich der Schall ausbreitet. Sie ist jedoch nicht abhängig von der Geschwindigkeit der Schallquelle. Gleich, ob mir ein Düsenflugzeug entgegen geflogen kommt, oder in der Nähe eine Grille im Gras zu hören ist, in beiden Fällen erreicht mich der Schall bei trockener Luft von 20° Celsius mit der gleichen Geschwindigkeit von 1.236 km/h. So ist es auch beim Licht. Die Lichtgeschwindigkeit beträgt im Vakuum immer ca. 300.000 km pro Sekunde unabhängig davon wie schnell die Lichtquelle ist. Daher sollte es für das Licht ein Medium geben, in dem es sich ausbreitet. Dies Medium ist offenbar nicht die Luft, denn bei der Ausbreitung des Lichts treten keine Schwingungen der Luft auf. Licht ist nicht zu hören. Stattdessen wurde der Äther als Medium des Lichts postuliert. Wenn es einen Äther gibt, ist die Theorie in sich abgeschlossen.

Ursprünglich galten daher alle Beobachtungen einer konstanten Lichtgeschwindigkeit als Nachweis des Äthers. 1881 hatten Michelson und Morley gemessen, dass die Lichtgeschwindigkeit von der Erde zur Sonne immer gleich ist, auch wenn sich die Erde auf ihrer elliptischen Umlaufbahn mal schneller und mal langsamer von der Sonne entfernt (Michelson-Morley-Experiment). Das hat 1913 Willem de Sitter (1872-1934) bestätigt. Er hat zwei Sterne beobachtet, die einander umkreisen (ein Doppelstern-System). Obwohl sich der eine von ihnen von der Erde entfernt und der andere auf die Erde zufliegt, wird in beiden Fällen für das von ihnen zur Erde ausgehende Licht die gleiche Geschwindigkeit gemessen. Er hat nachgewiesen, dass die Messgenauigkeit k < 0,002 beträgt. Das ist die Größe, mit der die gemessene Geschwindigkeit von der nach Einstein postulierten konstanten Geschwindigkeit abweicht. (Siehe seine Veröffentlichung von 1913 Über die Genauigkeit innerhalb welcher die Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle behauptet werden kann und mit Bezug darauf die Dissertation Willem de Sitter in Leiden von Stefan Röhle 2007, S. 76, 81; Link). Offenbar ist die Lichtgeschwindigkeit unabhängig von der Geschwindigkeit der Lichtquelle, und daher sollte es ein Medium geben, mit dem sich das erklären lässt.

Auf ähnliche Weise hat anfangs auch Einstein argumentiert.

»Wir wollen diese Vermutung (deren Inhalt im folgenden 'Prinzip der Relativität' genannt werden wird) zur Voraussetzung erheben und außerdem die mit ihm nur scheinbar unverträgliche Voraussetzung einführen, daß sich das Licht im leeren Raume stets mit einer bestimmten, vom Bewegungszustand des emittierenden Körpers unabhängigen Geschwindigkeit V fortpflanze.« (Einstein Zur Elektrodynamik bewegter Körper, in: Annalen der Physik, 4. Folge, Bd. 17 [1905], 891f, zitiert bei Hansen 2018, 3)

Das kann auf den ersten Blick als eine weitere Bestätigung des Äthers angesehen werden.

Dennoch gab Einstein diesen Gedanken auf, da sich der Äther nicht nachweisen lässt und sehr ungewöhnliche Eigenschaften haben müsste, die ebenfalls nicht beobachtet werden können. Daher blieb für ihn nur der Ausweg, die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit statt mit einem Medium durch ein eigenes Prinzip zu erklären, das für sich nicht weiter begründet werden kann. Die Lichtgeschwindigkeit gilt seither als eine Naturkonstante. Er spricht daher nicht vom Äther, sondern vom »leeren Raum«. Was er meint, ist anschaulich klar: Wenn ich in einem Zimmer eine Lampe sehe und nicht die Luft zwischen meinem Auge und der Lampe, dann liegt das daran, dass die Luft im Vergleich zur Lampe leer ist. Halte ich meine Hand vor die Augen, sehe ich die Lampe nicht mehr, da die Hand nicht leer und durchsichtig ist. Fülle ich den Raum mit Nebel, ist er nicht mehr leer und die Lampe nicht mehr zu sehen. Nun weiß jeder, dass die Luft nicht völlig leer ist. Bei näherer Untersuchung können Staubpartikel, Gasteilchen usf. darin nachgewiesen werden. Wirklich leer wäre die Luft erst, wenn alle Partikel abgesaugt werden und ein Vakuum entsteht. Im Grunde wird daher heute das Vakuum in der Rolle gesehen, in der früher der Äther als Medium des Lichts verstanden wurde. Dennoch bleibt die Frage, ob Nicht-Existenz und Leere das gleiche sind. Einstein stellte sich diese Frage nicht, ob zwischen Nicht-Existenz und Unsichtbarkeit zu unterscheiden ist. Ihm genügte es, eine möglichst einfache und zugleich alle beobachtbaren Phänomene erklärende Annahme gefunden zu haben, wenn die Lichtgeschwindigkeit als Naturkonstante angesehen wird (gemäß dem auf Ockham zurückgehenden Sparsamkeitsprinzip, Ockhams Rasiermesser). Bei allen Fragen, die im Folgenden an den Buddhismus gestellt werden, geht es im Grunde immer um das Verhältnis von Nicht-Existenz und Leere. Der Buddhismus unterscheidet deutlich zwischen beiden und sieht sogar in der Leere eine eigene Kraft, die tiefer geht als alle bekannten Kräfte. (Daher hat Hansen in seinen Arbeiten zur Relativitätstheorie von der »dualen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit« gesprochen, um diesen Unterschied wieder kenntlich zu machen.)

Im Einzelnen sind mir vier Fragen wichtig:

(1) Unsichtbarkeit des Äthers. Warum ist das Medium unsichtbar, in dem sich das Licht wie eine Welle im Wasser bewegt? Der Buddhismus kennt eine ähnliche Situation, wenn er in der Meditation auf die ultimative Realität stößt (thatata), die sich prinzipiell der sinnlichen Erfahrung und dem Verstand entzieht.

(2) Jeder nimmt als gegeben hin, dass sich nichts schneller bewegen kann als das Licht. Alle Versuche, das zu widerlegen, sind misslungen. Gilt das auch für das Bewusstsein? Kann es räumlich und zeitlich weit entfernten Dingen und Ereignissen gegenwärtig sein, auch wenn es in dieser kurzen Zeit unmöglich ein Signal von ihnen bekommen haben kann? Spielen sich solche Erfahrungen ausschließlich innerhalb des Bewusstseins ab? Kann mit dem Buddhismus von einer Erleuchtung (bodhi) gesprochen werden, die nicht im Widerspruch zu naturwissenschaftlicher Forschung steht, sondern sie beflügelt?

(3) Hat das Licht eine eigene Kraft, die sich von den bekannten physikalischen Kräften unterscheidet? Sind vom Buddhismus betrachtete übernatürliche Kräfte (Siddhi) eine Antwort, zugleich frei von Aberglauben und Magie?

(4) Wenn Licht eine andere Art von Kraft hat, lässt sich dann mit dem Licht eine neue Art von Physik begründen, die auf Information statt auf Energie beruht? In welchem Verhältnis stehen beide? Wird mit dem Licht eine spezifische geometrische Struktur aufgebaut, die an der Grenze zwischen Energie und Information steht und beide vermittelt? Um das zu verstehen, könnten Bilder wie Schnee, Rauch, Schaum und Filz helfen, mit denen der starre Gegensatz von Welle und Teilchen in Bewegung gebracht werden kann. Der Buddhismus spricht von Raumteilchen oder feiner Materie (rupa-dhatu, subtle matter, space particles). Möglicherweise weist das den Weg zu einem anderen Verständnis der Materie, das sich mit der Physik des Lichts treffen könnte.

Zeit und Altern, die Zirkularität des Mediums

Auch wenn sich Schall und Licht in vielem ähnlich sind, gibt es einen wichtigen Unterschied: Die Schallmauer kann von Flugzeugen durchbrochen werden, die mit Überschallgeschwindigkeit fliegen. Das erzeugt zwar Turbulenzen, die als Überschallknall zu hören sind, zeigt aber, dass die Schallgeschwindigkeit keine Grenzgeschwindigkeit ist. Anders ist es beim Licht. Nichts kann sich schneller bewegen als Licht (nur der Raum selbst kann sich schneller bewegen, wie mit den Modellen über die Entwicklung des Kosmos angenommen wird). Einstein fragte sich, was die Objekte daran hindert, Überlichtgeschwindigkeit zu erreichen. Es gibt keine nachweisbare Gegenkraft (Bremse) oder ein unüberwindliches Hindernis (Wand). Stattdessen gelang es Einstein, rein in seiner Vorstellung ein neues Verständnis der Zeit zu entwickeln, aus dem sich die Lichtgeschwindigkeit als Grenze ergibt. Für ihn ist es in der inneren Zirkularität der Zeit selbst angelegt, dass die Lichtgeschwindigkeit nicht überschritten werden kann. Er unterschied innerhalb der Zeit zwei Momente: den üblichen Zeitverlauf und das Altern. Mit dem üblichen Zeitverlauf wird der jedem vertraute Zeitfluss gemessen, wie lange etwas dauert. Mit dem Altern meint Einstein nicht, dass etwas überhaupt altert, sondern die  Geschwindigkeit  (das Maß), wie schnell etwas altert. Üblicherweise wird die Bewegung gemessen im Verhältnis der durchlaufenen Strecke und der dafür notwendigen Zeit. Einstein hat das erweitert auf das Verhältnis zweier Geschwindigkeiten: Die übliche Geschwindigkeit und die Geschwindigkeit des Alterns. Sie können nur aneinander in ihrer  Differenz  gemessen werden.

Als Veranschaulichung wählte er das Zwillings-Paradoxon, mit dem er die Geschwindigkeiten zweier im Prinzip gleicher Objekte aneinander misst: Wenn zwei Zwillinge sich trennen und der eine sich wesentlich schneller bewegt als der andere, dann altert der Schneller-Bewegte langsamer als der Zurückbleibende. Die Differenz ist erst in dem Moment zu erkennen, wenn sie einander wieder begegnen und vergleichen können, dass der eine älter geworden ist als der andere. Der Vergleich des Alterns erfordert zwei entscheidende Punkte: Die Trennung und die Wiederkehr. Im Ergebnis lässt sich der Gedanke von Einstein als ein ganz einfaches Naturgesetz formulieren: Zeit und Altern gleichen sich genau aus. Je schneller etwas ist, desto langsamer altert es und je schneller es altert, desto langsamer ist es. Der Schnellere kann größere räumliche Strecken zurücklegen, verbraucht dafür aber weniger Zeit. Der Langsamere erlebt eine größere Zeitspanne, bleibt dafür aber in seinem räumlichen Aktionsradius eingeschränkt. Jeder spürt, dass hier existenzielle Fragen angesprochen sind, die jeder auf sein eigenes Leben beziehen kann, und doch ist bis heute offen, wie das zu deuten ist. Die Bewegung hat einen räumlichen und einen zeitlichen Anteil: Wie viel Zeit wird verbraucht, und wie viel Raum wird durchlaufen. Beide Anteile gleichen sich genau aus. Das ist wie bei einem Pendel: Je höher es schwingt, desto langsamer wird es, und je schneller es im Zurückschwingen wird, desto weniger fällt es in die Tiefe. An dem einen Extrempunkt bewegt es sich nicht mehr und beginnt wieder zurückzufallen, am anderen Extrempunkt fällt es nicht mehr weiter in die Tiefe und beginnt, wieder aufwärts zu schwingen und langsamer zu werden. So wie es beim Pendel einen Anker gibt, an dem es aufgehängt ist, so dass es nicht immer weiter in die Tiefe fallen kann, sondern die Bewegung umkehrt, so muss es auch bei der Zeit einen Anker geben, an dem sich die beiden Momente der Zeit (die Zeit selbst und das Altern) nicht zu Null saldieren, sondern in der Lichtgeschwindigkeit ihr Maß finden.

In dieser Weise über die Bewegung nachzudenken widerspricht völlig der üblichen Erfahrung wie auch der philosophischen und physikalischen Tradition, in der letztlich auch die biblische Schöpfungsgeschichte und die verschiedenen Schöpfungsmythen stehen. Es gab zum Zeitpunkt, als Einstein seine Theorie aufstellte, nichts, um diesen Ausgleich von Zeit und Altern nachweisen zu können. Es gab nur die Erfahrung, dass die Lichtgeschwindigkeit die Grenzgeschwindigkeit ist, die auf diese Weise rein mathematisch erklärt werden kann. Es ist einer der größten Erfolge der Physik und der menschlichen Vorstellungskraft, dass eine solche Idee aufgestellt und im Weiteren experimentell nachgewiesen werden konnte. Der wichtigste Nachweis ist der Myonenzerfall. Myonen sind Elementarteilchen mit einer hohen Zerfallszeit. Wenn sie sich der Erde nähern, müssten sie aus Sicht eines Beobachters auf der Erde längst zerfallen, bevor sie ankommen. Da sie aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit langsamer altern, zerfallen (sterben) sie später als von der Erde aus erwartet, und erreichen sie.

Jeder, der das hört, hat das Gefühl, dass diese Art zu denken zirkulär ist und etwas daran nicht stimmt. Wie kann die Zeit einen zeitlichen und einen räumlichen Aspekt haben, also sich selbst als einen Aspekt enthalten, der nur eine ihrer Seiten zeigt? Und wieder war es Gödel, der das Paradox buchstäblich auf den Punkt brachte. Wenn sich eine Rakete mit annähernd Lichtgeschwindigkeit von der Erde entfernt, kann von der Erde aus gemessen werden, in welchen Zeiten sie welche Abstände zurücklegt. Von der Erde aus gesehen wird die Rakete niemals die Lichtgeschwindigkeit überschreiten. Gemäß der Relativitätstheorie altert aber die Rakete wesentlich langsamer. Wird vom Standort der Rakete aus die Zeit gemessen, die sie zum Zurücklegen einer bestimmten Strecke braucht, dann ist die Zeit wesentlich kürzer als von der Erde aus gemessen, da die Rakete langsamer altert. Wird diese kürzere Zeit der langsamer alternden Rakete in Relation gesetzt zur Stecke, die von der Erde aus gesehen die Rakete zurücklegt, dann ergeben sich Geschwindigkeiten, die die Lichtgeschwindigkeit c unendlich weit übersteigen können. Gödel hatte 1949 in seiner Arbeit zum rotierenden Kosmos (sein Geschenk für Einsteins 70. Geburtstag) mit rein mathematischen Methoden den Grenzpunkt bestimmt: Wenn sich in diesem Sinn gemessen an der eigenen Alterung etwas mit Lichtgeschwindigkeit c bewegt, bewegt es sich von der Erde aus gesehen nur mit der Geschwindigkeit v = 1 / Wurzel aus 2 · c ≈ 0,707 · c, weil der Betrachter auf der Erde langsamer altert und die gleiche Stecke an einer größeren Zeit misst. Dieser Hinweis von Gödel passte nicht in das übliche physikalische Verständnis und wird in den Standarddarstellungen der Relativitätstheorie nicht erwähnt. Erst 1979 kam der britische Wissenschaftsjournalist Nigel Calder (1931-2014) in seinem Buch Einsteins Universum wieder darauf zurück, und von dort hat es Hansen zitiert, worüber ich davon erfahren habe (Hansen 2007, 64). Hansen bezeichnet diesen Wert als »Gödel-Punkt« und die Werte oberhalb von 0,707 · c als »Gödel-Zone« (Hansen 2007, 67f). Gödel hatte daraus im Weiteren den Schluss gezogen, dass es Universen geben kann, in denen Zeitreisen in die eigene Vergangenheit möglich sind. Niemand wollte ihm folgen, doch alle Versuche, ihm einen Rechenfehler nachzuweisen, misslangen. Erst jetzt beginnt die Physik, diese Gedanken ernst zu nehmen. 2019 fand zu diesem Thema eine Konferenz in Wien statt (Ankündigung). Das Verhältnis des räumlichen und des zeitlichen Aspekts der Zeit hat 1981 Lewis C. Epstein (* 1937) in seinem Buch mit dem treffenden Titel Relativitätstheorie anschaulich dargestellt sehr gut getroffen. Siehe dazu auch den Beitrag über die Dynamik der Maße der Natur.

Hansen vermutet, dass der Widerspruch der unterschiedlichen Aspekte der Lichtgeschwindigkeit mit einer mehrwertigen (multivalenten) Logik aufgelöst werden kann, in der die unterschiedlichen Sichten auf die Geschwindigkeit zweiwertige (bivalente) Extrempunkte erzeugen und mit der Lichtgeschwindigkeit c ein dritter Wert zwischen diesen beiden Extremen angenommen werden muss (Hansen 2018; 22, 29). Im Prinzip teile ich seinen Ansatz, vermute jedoch eine Lösung in einer anderen Richtung. Nach meiner Vermutung gibt es einen Grenzübergang, der von Räumen mit einem physikalisch nachweisbaren Medium in einen Raum führt, dessen Medium sich nur in mathematischen Verhältnissen innerer Differenzen beschreiben lässt. Dieser Grenzübergang kann mit einem dritten Wert beschrieben werden. Das ist für mich jedoch kein Wert zwischen 0 und ∞, sondern entsprechend einer Idee von George Spencer-Brown die Einheit i der imaginären Zahlen.

Wie ist zu erklären, dass Gödel mit Wurzel aus 2 eine überraschend einfache Beziehung zwischen den beiden Aspekten der Zeit gefunden hat? Mathematisch ergibt sich das daraus, dass die beiden Aspekte unabhängig voneinander sind und mathematisch gesprochen senkrecht aufeinander stehen. Mit der Diagonale im Einheitsquadrat ist ausgesagt, dass beide Seiten gleichwertig sind. Doch kann weiter gefragt werden, ob das Bild des Quadrats und seiner Diagonale von qualitativer, symbolischer Bedeutung ist. Als Symbol betrachtet scheint in dem Quadrat und seiner Diagonale das Geheimnis verborgen zu sein, aus dem die Zeit hervorgeht. Hansen sieht im Quadrat eine Beziehung zur Mandala und deren archetypischer Kraft, von der für ihn der Buddhismus lehrt. Für mich deutet die Diagonale innerhalb eines Quadrats, deren Seiten senkrecht aufeinander stehen, auf den Satz des Pythagoras und darüber auf die Ideenwelt der Pythagoreer und der mit ihnen verbundenen dynamischen (quadratischen) Zahlen. Im Ergebnis bestätigt für Hansen der Nachweis von Geschwindigkeiten, die weit die Lichtgeschwindigkeit c übersteigen, die Erfahrung der Buddhisten, dass die Erleuchteten über besondere Fähigkeiten (Siddhis) verfügen, Wahrnehmungsobjekte augenblicklich, also weit schneller als mit Lichtgeschwindigkeit zu erkennen (Hansen 2007, 14). Für mich ist das von einer neuen Seite die Frage nach dem Medium des Lichts. Dies Medium ist nicht nur unsichtbar, sondern das Medium muss zusätzlich die Eigenschaft haben, dass innerhalb des Mediums nicht nur das Licht übertragen wird, sondern es zum Ausgleich von Zeit und Altern kommt. Innerhalb dieses Mediums muss eine Geometrie gegeben sein, mit der sich das Verhältnis von Zeit und Altern messen lässt.

Dass ein Medium nicht nur die Eigenschaft hat, der Träger von Wellen zu sein, war schon immer vermutet worden und hat dazu beigetragen, im Medium etwas Obskures zu sehen, dass der Wissenschaft widerspricht. In spiritistischen Sitzungen glauben Menschen als Medium (Channel) agieren zu können, über das aus dem Jenseits die Stimmen Verstorbener zu hören sind. Monotheistische Religionen wie das Judentum und der Islam glauben an Gründer wie Moses und Mohammed, die als Medium göttlicher Lehren berufen worden waren. Das katholische Christentum sieht in der Heiligen Messe Wein und Brot als das Medium, über das Jesus körperlich anwesend ist (Transsubstantiation). Jedes Medium hat etwas Paradoxes. Wenn z.B. das Wasser das Medium ist, in dem chemische Stoffe miteinander reagieren und neue Stoffe erzeugen können, übernimmt das Wasser eine doppelte Rolle: Es ist seinerseits ein chemischer Stoff, der zugleich die Umwandlung anderer Stoffe ermöglicht. So ist es auch mit dem Medium des Lichts: Es ist für sich unsichtbar, da es sowohl das Medium ist, in dem Licht aufleuchtet, wie auch das Licht selbst, das im Medium aufleuchtet. Es gibt kein Licht außerhalb des Mediums, über das es übertragen wird. Gödel hat dies Paradox bis in die Logik und die Zahlen untersucht: Die Zeichen der Mathematik können sowohl Operanden sein, mit denen gerechnet wird (die Zahlen), wie auch die Operatoren, die die Regeln des Rechnens bestimmen (wie z.B. das Zeichen + für das Addieren). Spencer-Brown hat diese Paradoxie bis zur äußersten Konsequenz einer Logik ausgearbeitet, die nur aus einem einzigen Zeichen besteht, welches sowohl Operand wie Operator ist. Luhmann hat diese Logik von ihm aufgenommen und auf die Theorie der Gesellschaft (die Soziologie) übertragen: Für ihn hat eine Gesellschaft nur dann einen inneren Bestand, wenn sie fähig ist, den Menschen der Gesellschaft die Frage nach dem Sinn zu beantworten und hierfür ein Medium mit der gleichen Doppelbedeutung auszubilden: Über das Medium wird der Sinn kommuniziert, und der Sinn ist nichts anderes als das Medium selbst, so wie das Medium des Lichts zugleich das Licht ist, das in ihm aufleuchtet. Das ist für ihn die säkularisierte Fassung der Gründungsmythen von Religionsgründern wie Moses und Mohammed und befindet sich zugleich in Übereinstimmung mit den naturwissenschaftlichen Theorien des Mediums des Lichts.

Unsichtbarkeit des Äthers (Thatata)

Mit der Unsichtbarkeit des Äthers wird in der Physik ein Phänomen nachweisbar, das grundsätzlich für jede Wissenschaft gilt, aber in der Begeisterung über die Fortschritte der empirischen Wissenschaft gern übersehen oder ausgeblendet wird. Jede Wissenschaft hat einen blinden Fleck, der auf mythische oder religiöse Ursprünge verweist, die sich der Wissenschaft entziehen. Mit der Relativitätstheorie wurde die Wissenschaft darauf gestoßen, dass das keine von außen an sie herangetragene Kritik ist, sondern in ihrem Innern entsteht. Schon Aristoteles hat einige Jahrhunderte vor Christus die Physik und die empirische Wissenschaft begründet und zugleich gezeigt, dass ihre Grundbegriffe auf etwas Unsichtbares verweisen. Das waren für ihn die Erste Materie (hyle prote, Metaphysik I, 8, 989a20ff), die allen bekannten und empirisch nachweisbaren Materien und Elementen zugrunde liegt, der Stoff, aus dem die Welt besteht, der für sich unsichtbar ist, sowie der Unbewegte Beweger (to akinêton kinoun, Metaphysik XII, 6, 1071b6), auf den alle Bewegung zurückgeht. Heute würde von der Ruhe vor dem Urknall gesprochen werden, aus dem die Bewegung hervorgeht, der jenseits aller astronomischen Fenster liegt, mit denen in die Vergangenheit geschaut werden kann. Neu an der Relativitätstheorie ist nur, dass mit ihr nicht mehr rein philosophisch, sondern experimentell und empirisch die Grenzen des Experimentierens und des Empirismus gezeigt werden: Das Licht hat nachweisbar Eigenschaften wie eine Welle, aber es kann nichts beobachtet werden, worin sich die Wellen des Lichts bewegen und fortpflanzen können.

Geraten die Naturwissenschaft und das Denken mit dem Licht in einen unlösbaren Widerspruch und in ein zirkuläres Denken? Offenbar hat die Naturwissenschaft gewissermaßen greifbar etwas in den Händen und sucht nach den geeigneten Worten, um es fassen zu können. Daraus ergibt sich die erste Frage an den Buddhismus: Er hat jahrtausendelange Erfahrung in der Selbstbeobachtung des Denkens und des Bewusstseinsstroms beim Meditieren. Ist er dort auf vergleichbare Phänomene gestoßen, die auf eine Antwort deuten können? Diese Frage ist nicht weniger interessant für den Buddhismus. Er ist überzeugt von einer tiefen inneren Gemeinsamkeit der objektiven Welt und der Welt des Denkens und Meditierens. Kann die Relativitätstheorie als eine unerwartete Bestätigung angesehen werden, auf die der Buddhismus von sich aus nicht gekommen ist, da ihm über Jahrhunderte das in Westeuropa entstandene empirische und experimentelle Denken fremd geblieben waren? So verstehe ich das große Interesse, das der Dalai Lama an den Ergebnissen der Naturwissenschaft hat, obwohl er auf diesem Gebiet ein Laie ist.

Im Buddhismus wird zwischen dem gewöhnlichen, subtilen und äußerst subtilen Bewusstsein unterschieden. Das gewöhnliche Bewusstsein bewegt sich im Bereich der sinnlichen Erscheinungen (parikalpita-svabhava) und beschreibt, was und wie im Alltag ins Bewusstsein tritt. Mir wird morgens beim Aufwachen bewusst, an welchem Tag und in welchem Raum ich erwache. Das subtile Bewusstsein (alaya-vijnana, Speicherbewusstsein, tib. kun gzhi rnam shes, engl. Storehouse Consciousness) betrachtet in einer Reflexion, was beim gewöhnlichen Bewusstsein geschieht. Ich werde mir nicht nur bewusst, wann und wo ich erwache, sondern ich werde mir dieses mit dem Erwachen verbundenen Bewusstseins bewusst. Ich erinnere mich nicht nur an meine Träume, sondern lerne, Traum und Realität zu unterscheiden, kann Träume deuten und lerne, in welcher Weise Realität und Träume auf mein Leben Einfluss haben. An diesem Punkt lehrt der Buddhismus, dass es dennoch bei jeder Reflexion über mein eigenes Bewusstsein eine Art blinden Fleck gibt, der sich nicht vermeiden lässt. Letztlich ist offen, was Traum und Realität unterscheidet. Ist mein waches Erleben möglicherweise selbst nur ein Teil des Träumens, und gehört nicht das Träumen zu meinem Leben genauso wie die Wachheit? Der Buddhismus ist überzeugt, dass das übliche Denken an diesem Punkt an eine Grenze stößt, die erst verlassen werden kann, wenn es gelingt, in weiterer Versenkung den üblichen Gedankenstrom der sinnlichen Erfahrungen und der Reflexion darüber zu verlassen und eine Ebene zu erreichen, die eine Art dritter Realität erfährt, die über sie hinausgeht. Das ist in den Worten von Jonathan Gold (Eintrag Vasubandhu in der Stanford Encyclopedia of Philosophy 2015 [2011]; Link) die Letzte Wirklichkeit, ultimate reality, die für sich nicht erscheint (parinispanna-svabhava), aber allen Erscheinungen zu Grunde liegt: tathata (synonym dharmata, tib. de bzhin nyid, engl. thusness oder suchness). Das ist wörtlich übersetzt die So-heit oder Solch-heit und meint den Grund der Dinge, der erst durch Meditation erreicht werden kann. Andere übersetzen es mit Unbeschreiblichkeit (ineffability) oder einfach als Erfüllung. Ich vermute eine Selbstbezüglichkeit: Es gibt nicht einfach einen Grund, der darauf wartet, dass jemand in ihn eintaucht und verwandelt daraus zurückkehrt, sondern der Grund wandelt sich seinerseits mit jeder Bewegung, wenn jemand durch ihn hindurchgeht. Der Äther ist sowohl der Grund wie auch das Medium des Lichts. Dies Medium ist sinnlich nicht wahrnehmbar, und zugleich der Grund, aus dem jede sinnliche Wahrnehmung (verstanden als Erleuchtung, als Gewahrwerden einer sich zeigenden Wahrheit) hervorgeht.

Hat Einstein in der Tradition von Leibniz innerhalb der Physik, d.h. der empirischen Wissenschaft diese Stufe indirekt angesprochen? Ist es mit und in der Nachfolge von Einstein möglich, an dessen Relativitätstheorie inhaltlich zu zeigen, was mit der Unsichtbarkeit des thatata gemeint ist?

»Da ... erkannte ich, daß die Eigenschaft der Unsichtbarkeit mit Blick auf das sichtbare Universum eine derartig einschränkende Bedingung darstellte, daß zwar kein direkter, wohl aber ein indirekter Beweis der Existenz des Geistes möglich war.« (Hansen 2007, 13)

Hansen kehrt den Gedanken um: Wenn die Relativitätstheorie auf die Unsichtbarkeit des Mediums stößt und sie nicht erklären kann, kann dann nicht umgekehrt gefragt werden, welche naturwissenschaftlichen Eigenschaften etwas haben muss, das unsichtbar ist? Wenn als gegeben hingenommen werden muss, dass es in der Natur Unsichtbares gibt, wird eine naturwissenschaftliche Theorie des Unsichtbaren erforderlich. Sie hat die Aufgabe, systematisch zu entwickeln, in welcher Weise sich das Unsichtbare indirekt nachweisen lässt. Elemente einer solchen Theorie sind in der Physik der Schwarzen Löcher zu sehen, mit der das scheinbar Paradoxe angegangen wird, dasjenige physikalisch zu beschreiben und nachzuweisen, das sich per Definition der Sichtbarkeit entzieht. Mathematisch wird die Frage nach einer Geometrie des Unsichtbaren gestellt: Gibt es eine Geometrie, mit der beschrieben werden kann, wann es zu Verdeckungen kommt, wie ein Dickicht entsteht, oder anschaulich gefragt: mit welcher Geometrie Zäune aufzustellen sind, um den Blick auf das eigene Grundstück zu verwehren. Das ist im einfachsten Fall ein Zaun, der rundherum führt. Es sind aber auch andere Zäune möglich, die gewissermaßen alle Bereiche abschatten. Enthält das Medium des Lichts eine geometrische Struktur der Verdeckung, wodurch es sich unsichtbar macht? Wer an dieser Frage interessiert ist, schaue sich als erste Einführung einen Beitrag von Ian Stewart Ein Mittel gegen nachbarliche Neugier in Spektrum der Wissenschaft von November 2003 und die dort genannte Literatur an (Link), worauf mich Hansen in einer E-Mail vom 6.1.2015 aufmerksam gemacht hat. Im Ganzen scheint sich die Wissenschaft bei diesen Fragen bestenfalls in den Anfängen zu befinden.

Photozentrismus und Erleuchtung (bodhi)

Früher sind die Wissenschaften davon ausgegangen, dass jeder die Welt so sieht, wie sie ist. Das hat sich erst mit der Neuzeit geändert. Der Umbruch erfolgte mit der kopernikanischen Wende. Die Naturwissenschaften begannen sich vorzustellen, die ihnen bekannten Dinge von einer anderen Perspektive aus zu sehen. Das war den Geisteswissenschaften schon immer vertraut: Die Literatur hat gelernt, Erzählungen aus der jeweiligen Perspektive ihrer Helden und nicht der Perspektive des Erzählers zu schreiben. Ein Arzt versucht sich in die Lage seines Patienten zu versetzen, um ihm helfen zu können. Die Naturwissenschaften zogen erst nach, als sie in ihrem Bereich die unmittelbaren Vorteile erkannten: Es ist einfacher, die Bewegung der Planeten vom fiktiven Standort der Sonne aus zu betrachten als vom Standort der Erde aus. Ein wichtiges Beispiel ist die Venus. Wird von der Erde aus protokolliert, an welchem Ort der Abendstern zu sehen ist, welche Bahn er zieht, wie sich diese Bewegung von Tag zu Tag ändert und er für eine ganze Weile nicht mehr zu sehen ist, bis an anderer Stelle der Morgenstern erscheint, ergibt das eine verschlungene Kurve, die an eine Blüte erinnert und ihren eigenen ästhetischen Reiz hat, aber wesentlich komplizierter ist, als die gleiche Bahn aus der Perspektive der Sonne zu sehen. Von diesem Standort aus handelt es sich bei der Verlaufsbahn jedes Planeten in erster Annäherung um einen Kreis, bei genauerer Beobachtung um eine Ellipse. Das war die elementare Erkenntnis, mit der Johannes Kepler die Naturwissenschaften revolutionierte.

Auf ähnliche Weise lernten die anderen Naturwissenschaften zu arbeiten und z.B. die Welt aus den Augen der Bienen zu sehen. Dieser Fortschritt versagt jedoch beim Licht und stürzt die Naturwissenschaft in eine Krise, der sie sich noch nicht einmal bewusst zu sein scheint oder zumindest nicht darüber spricht. Wer versucht, die Welt nicht mehr von der Erde aus zu sehen (Geozentrismus), oder von der Sonne aus (Heliozentrismus), sondern sich vorstellt, er stünde auf einem Photon und würde die Welt mit den »Augen eines Photon« sehen (Photozentrismus), erlebt große Überraschungen und wird daran zweifeln, ob ein solcher Standort eingenommen werden kann.

Gemäß den Erkenntnissen der Relativitätstheorie wird er feststellen, dass sich um ihn herum nichts bewegt. Photonen können sich weder einander nähern noch voneinander entfernen, denn das müsste mit Überlichtgeschwindigkeit geschehen. Daher kann ein Beobachter vom Standort des Photons aus nichts sehen: Jedes Sehen müsste in irgendeiner Weise eine Verbindung zum gesehenen Objekt herstellen, was nicht möglich ist, da sich das Photon bereits mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. Entsprechend dem Zwillings-Paradoxon altert das Photon nicht. Wer sich auf den Standort des Photons stellt, für den gibt es keine Alterung, und auch um ihn herum kann nichts altern. Vergangenheit, Zukunft, Ereignishorizont sind vollständig präsent. Ein solcher Beobachter ist buchstäblich überall im Raum und zugleich am Anfang der Welt wie an ihrem Ende. Es gibt für ihn weder einen umgebenden Raum noch eine umgebende Zeit. Von einem photozentrischen Standort ist keine Wissenschaft möglich, wie wir sie kennen. Sie entspricht in etwa dem, wie sich jeder den Standort und das Auge Gottes vorstellen mag.

Dieser Standort kann offenbar besser mit psychologischen Begriffen beschrieben werden. Freud sprach in seiner religionspsychologischen Schrift Die Zukunft einer Illusion, womit er die Religion meinte, vom »ozeanischen Gefühl«, C.G. Jung nach seiner Zusammenarbeit mit dem Physiker Wolfgang Pauli von Synchronizität. Im Moment der Erleuchtung fühle ich mich mit allem verbunden. Die Relativitätstheorie betrachtet dessen physikalische Grundlage. Daraus ergibt sich die zweite Frage an den Buddhismus: Ist diese Situation mit dem Zustand einer Erleuchtung im Sinne des bodhi zu vergleichen, und lässt sich mit dem Buddhismus beschreiben, was beim Übergang in diesen Zustand geschieht?

Eine solche Wissensart lässt sich kaum mehr als ein neuer Standort bezeichnen, sondern als eine völlig andere Grundhaltung, aus der Wissenschaft betrieben wird. Sie unterscheidet sich deutlich von allen Idealen der westlichen Wissenschaft wie die Erinnerungsarbeit der Psychoanalyse, handlungsorientiertes Denken oder das »Verweile doch, du bist so schön« nach Goethe.

Fragen dieser Art werden mit der Quantenverschränkung vertieft, die seit den 1980ern experimentell nachgewiesen werden kann. Verschränkte Photonen tauschen weder Signale noch Energie oder Impulse aus, sondern offenbar nur Informationen. Es gibt Mitteilungen, die nicht über Signale verlaufen, und für die daher nicht die Lichtgeschwindigkeit als Grenzgeschwindigkeit gilt. Bisher kann dies Phänomen nur nachgewiesen und beschrieben, jedoch nicht erklärt werden. Geschieht bei der Verschränkung von Photonen etwas Ähnliches wie in der Erfahrung einer Erleuchtung, und kann möglicherweise sogar von einer übergreifenden Verschränkung von Objekt und Subjekt gesprochen werden, die die buddhistische Idee der Non-Dualität lehrt?

Die Kraft des Lichts (siddhi)

Die Allgemeine Relativitätstheorie formuliert in Tradition von Leibniz bewusst eine zirkuläre Theorie: Es gibt keinen leeren, flachen, mathematisch gesprochen: euklidischen Raum, in den die Objekte wie von außen hineingestellt werden. Er ist weder wie ein Zimmer, in dem Möbel aufgestellt werden und in das man hinein- und hinausgehen kann, noch wie ein leeres Blatt Papier, über das sich der Schreiber beugt und dort seine Zeichen einträgt. Stattdessen ist der Raum nichts anderes als die Beziehung der Objekte in diesem Raum. Der Raum wird gestaltet durch die Objekte in ihm, und diese finden wiederum ihre Bewegungsfreiheit durch die Eigenschaften des Raums, dem sie seine Form verleihen. Das wird mit der paradoxen Eigenschaft der Raumkrümmung ausgesagt: Es gibt nichts, was von außen den Raum krümmt, so als ob Kugeln auf ein frei bewegliches Gummituch fallen oder Steine auf eine Wasseroberfläche, die dadurch bewegt wird und Wellen schlägt. Im Sinne der Allgemeinen Relativitätstheorie sind in diesen Beispielen die Bewegungen des Schreibers, die Kugeln oder Steine ihrerseits bestimmt durch den Grund, in den sie eingeschrieben werden. Jeder wird diesen Gedanken sehr befremdlich finden: Es ist das leere Stück Papier, das den Schreiber zu den Ideen anregt, die er auf ihm einschreibt. Aber genau diese Erfahrung kennen nicht nur zahlreiche Poeten und Maler, die sich von der Leerheit des Stückes Papier oder der Leinwand vor ihnen inspirieren lassen, sondern auch der Buddhismus: Erst wer sich in die Leere des Grundes versenkt, aus dem alle Ideen aufsteigen und in dem sie bildlich gesprochen ihre Wellen schlagen, und wer von allem anderen abzusehen vermag, wird eine Erleuchtung erleben. Die Erleuchtung ist keine übliche Kraft, die innerhalb der objektiven Welt von einem Objekt auf ein anderes ausgeübt wird, oder für den Menschen gesprochen: von einem handelnden Subjekt auf ein passives Objekt, sondern eine Bewegung, die beide gemeinsam betrifft und aufleben lässt. Physikalisch gesprochen: Wie kann der von Einstein postulierte Zirkel eines Raums, der durch die Objekte in ihm strukturiert wird und darüber zugleich deren Bewegungsspielraum eröffnet, gelöst werden? Es sind die spezifischen Bewegungsformen zu verstehen, die in diesem Zirkel gelten und ihn ermöglichen. Offenbar ist das Licht das selbstbezügliche Phänomen, das diese Bewegung trägt und darüber zugleich die Grunderfahrung eines Phänomens erzeugt (von phanein, die Verbform von phanós, Leuchte, Licht, Fackel, glänzend, deutlich, in die Augen fallend).

Phanós ist zu unterscheiden von phos im Sinne von ›Es werde Licht‹, vielleicht besser übersetzt als ›Es werde hell‹ (Gen. 1,3, altgriechisch genetheto phos, nach Wikipedia, abgerufen am 3.6.2019). Mit phanós (lat. lumen) ist dasjenige an etwas gemeint, was leuchtet. Mit phos (lat. lux) ist die von ihm erzeugte Helligkeit (z.B. das Tageslicht) gemeint. Im Buddhismus wird vom klaren Licht gesprochen, tibetisch ösel, od-gsal, Sanskrit prabhasvara-citta, in englischer Übersetzung luminous mind.

Mit welcher Kraft erzeugt die Lichtquelle Helligkeit? Der übliche Kraftbegriff ist eindimensional und mechanisch gedacht: Etwas übt eine Kraft auf etwas Anderes aus und verändert es. Dafür braucht es Energie, mit der es den Widerstand des Anderen überwindet. Mit dem Licht ist dagegen eine Kraft gemeint, die nicht von außen etwas Anderes bewegt und gegen dessen Autonomie und Willen ihren Widerstand bricht, sondern positiv gedacht beim Anderen eine innere Bewegung auslöst, von sich aus eine neue Handlung zu beginnen, die wiederum ihrerseits mit ihrer Handlung auf das Etwas zurückwirkt und dort auf ähnliche Art eine Handlung auslöst. Der Anthropologe und Biologe Gregory Bateson (1904-1980) gebrauchte drastische Beispiele: Ich kann einen Hund treten, so dass er weggestoßen wird und wegfliegt. Dafür muss ich ausreichend Energie einsetzen. Oder ich kann einen Hund bewegen, von sich aus eine eigene Bewegung auszuführen. Diese Bewegung wird nicht veranlasst durch die Energie, die ich hierfür verbraucht und abgegeben habe, sondern der Hund setzt seine eigene Energie ein, um sich zu bewegen (Bateson, 520). Anschaulich ist klar, was hier geschieht, aber können dafür die geeigneten Begriffe und eine physikalische Theorie gefunden werden? Um die Kraft des Lichts zu verstehen, sind zwei Vorstellungen wichtig, die mit der Theorie der Neuronalen Netze und mit der Kommunikationstheorie seit den 1930ern ausgearbeitet werden: Der Anstoß zu Handlungen und deren Feedback. Mit ihnen stellt sich die Frage nach dem Medium neu: Über welches Medium verlaufen der Anstoß und das Feedback, und über welche Eigenschaften muss das Medium verfügen, damit im Medium vergleichbar der zirkulär denkenden Allgemeinen Relativitätstheorie dieses Medium seinerseits durch die Prozesse bestimmt ist, die durch es ermöglicht werden? Warum und in welcher Weise ist für ein Medium dieser Art seine Unsichtbarkeit notwendig?

Der Anstoß und das Feedback können formal als Zustandsänderung beschrieben werden. In dem genannten Beispiel ändert der Hund seinen Zustand, bevor er von sich aus aktiv wird. Bevor ein System in einen neuen Zustand wechselt, gibt es Anzeichen einer zunehmenden Instabilität, aber der Übergang von einem Zustand in einen anderen erfolgt in allen Bereichen gleichzeitig. Erst stutzt der Hund, ist sich unsicher, und dann beginnt er zu laufen. Wenn er läuft, reagiert nicht ein Teil seines Körpers auf die Bewegung eines anderen Teils, sondern der Organismus im Ganzen wird in den Zustand des Laufens versetzt und alle Einzelbewegungen des Körpers sind simultan miteinander koordiniert. In der Sprache der klassischen Naturwissenschaft gesprochen ist es so, dass offenbar jedes Teil des Systems weiß, dass im gleichen Zeitmoment die anderen Teile eine ähnliche Veränderung durchmachen und sich alle Teile synchron abstimmen. Dieses Phänomen wird experimentell mit der Quantenverschränkung beobachtet und nachgewiesen. Es ist nicht mehr ein bloßer Zufall, wenn sich die unterschiedlichen Teile im Übereinklang miteinander verändern, sondern es lässt sich eine genaue mathematische Gesetzmäßigkeit formulieren, die diesen Vorgang vom bloßen Zufall unterscheidet (die Bellsche Ungleichung).

Welche Kraft bewirkt diesen Gleichklang der miteinander koordinierten Organe eines Organismus? Gibt es dafür Beispiele aus der mechanischen Welt, die sich mathematisch beschreiben und berechnen lassen? Ein elementares Beispiel: Wasser läuft von der höchsten Bergspitze einen Berg hinunter. Dafür gibt es viele Wege. Auf jedem Weg kann sich im Verlaufe der Bewegung die Geschwindigkeit des Wassers ändern, je nachdem, ob zwischendurch Hindernisse oder abschüssige Wegstrecken durchlaufen werden. Es zählt am Ende nicht, auf welchem Weg die Bewegung am Anfang oder unterwegs an einzelnen Punkten am schnellsten war, sondern welcher Weg im Ganzen optimal ist. Wie kann diese Information vom Ende des Weges zurückgemeldet werden an dessen Anfang, bis sich übergreifend der schnellste Weg durchsetzt und geradezu anschaulich für seinen Fluss sein eigenes Bett gräbt und ihn damit weiter optimiert? Nach Leibniz stellen Prinzipien wie das Prinzip des geringsten Kraftaufwands und das Harmonieprinzip sicher, dass sich der günstigste Weg durchsetzt. Mit einem ähnlichen Gedanken formuliert die Evolutionstheorie negativ: Alles, was sich als schlechter erweist, stirbt aus. Kybernetiker führen ein Gedächtnis ein: Am Ende jedes Weges wird die Erfahrung gespeichert, wie schnell er war, und für die Entscheidung, einen neuen Weg zu wählen, können die Erfahrungen aus dem Gedächtnis abgerufen werden.

Ist es denkbar, dass sich die Bewegung von allein ohne Gedächtnis und ohne das von der klassischen Evolutionstheorie vertretene Zufalls-und-Selektions-Prinzip auf den optimalen Weg einpendelt? Anschaulich gesprochen sind von Anfang an eine Kohäsion und ein Sog zu spüren, die von dem insgesamt günstigsten Weg ausgehen und alles in seinen Bann ziehen. Für einen Wissenschaftler ist es die Heureka-Erfahrung, der auf einmal das volle Bild übersieht und eine neue Einsicht gewinnt. Jeder Wissenschaftler (und wohl auch jeder Künstler) kennt das Gefühl, wenn er sich plötzlich in eine bestimmte Richtung gezogen sieht, das Gefühl für Raum und Zeit verliert und wie außer sich an einer Lösung arbeitet, die er zum Greifen nahe spürt. In dem buddhistischen Text Siebzig Themen wird im VII. Inhalt anschaulich von der »Verbindung im Augenblick« gesprochen, das ist der Augenblick vor der Lösung (Jetsün, 10). Der vorangehende Weg ist völlig abgeschritten und gewissermaßen überreif für das Neue. Das ergibt eine ganz eigenartige Stimmung von besonderem Reiz. Welche Kraft löst das aus? Das ist die Frage nach der Kraft des Lichts. Luhmann und seine Schüler greifen eine Anregung des amerikanischen Biologen Stuart Kauffman (* 1939) auf, der 1993 in der darwinistischen Selektion eine Selbstorganisation nachweisen wollte. Die Evolution ist für sie daher nicht durch rein zufällige Mutationen hervorgerufen, sondern enthält in sich einen übergreifenden Sinn, auch wenn wir diesen im Moment der um uns herum vorgehenden scheinbar chaotischen Veränderungen noch nicht überschauen, sondern nur als Prinzip ansehen können, das der Entwicklung eine Richtung gibt, ganz so wie Leibniz vom Harmonie-Prinzip sprach. In meinem Verständnis ist es gewissermaßen das Licht, das im Verlaufe der Evolution aufscheint, auch wenn es Phasen der Dunkelheit und Verzweiflung gibt. Buddhisten sprechen vom Karma, das der Entstehung des Kosmos mit dem Urknall mitgegeben wurde (Dalai Lama, 110).

Energie und Information (Rauch, Schnee, Schaum, Filz) (rupadhatu)

Diese Frage kann auch anders gestellt werden: Zwei voneinander unabhängige Photonen verhalten sich nicht rein zufällig, wie es seit den 1930ern die Quantenmechanik nahezu dogmatisch annimmt, sondern sind verschränkt. Mathematisch gesprochen weicht ihr Verhalten signifikant von einer Gleichverteilung ab. Bei Gleichverteilung gibt es keine Information, die ausgetauscht wird, um gegenseitig das Handeln aufeinander abzustimmen. Alle Ereignisse sind gleich wahrscheinlich. Wenn etwas geschieht, ist es reiner Zufall.

Für die mit der Quantenverschränkung experimentell nachgewiesene Abweichung von der Gleichverteilung wurde bereits früher der Begriff Negentropie (negative Entropie) eingeführt. Er kehrt bewusst den 1865 von Rudolf Clausius (1822-1888) definierten Kunstausdruck Entropie um. Entropie bedeutet wörtlich das Maß, das an etwas eine tropé (Wende, Wandlung; die Tropen sind die Wendekreise) geschieht. Clausius meinte jedoch mit einer Wandlung nicht irgendeine Wandlung, sondern ausschließlich die Vergrößerung der Unordnung eines Systems bei Wärmezufuhr bis zum vollständigen Wärmetod, ihre Auflösungstendenz. Umgekehrt misst die Negentropie nicht die Auflösung der Ordnung eines Systems, sondern seine Fähigkeit, sich in eine größere Ordnung entwickeln zu können und aufzublühen. Das trifft für mich genau das, was mit der Kraft des Lichts, mit der Erleuchtung gemeint ist. Erwin Schrödinger (1887-1961) prägte 1944 den Ausdruck ‘negative Entropie’, den 1956 Léon Brillouin (1889-1969) zu ‘Negentropie’ vereinfachte. Für Schrödinger ist sie das Maß des Lebens.

»Damit läßt sich der unbeholfene Ausdruck ‘negative Entropie’ durch einen besseren ersetzen: die Entropie ist in Verbindung mit dem negativen Vorzeichen selbst ein Ordnungsmaß. Der Kunstgriff, mittels dessen ein Organismus sich stationär auf einer ziemlich hohen Ordnungsstufe (einer ziemlich tiefen Entropiestufe) hält, besteht in Wirklichkeit aus einem fortwährenden ‘Aufsaugen’ von Ordnung aus seiner Umwelt.« (Schrödinger, 106)

Wie kann man sich diese Umwandlung von Information in Energie vorstellen, wenn aus der Umgebung Information »aufgesaugt« und als Energie für das eigene Handeln genutzt wird? Gibt es einen Träger für diese Umwandlung, der sich von Information in Energie verwandelt, und gibt es ein Medium, in dem diese Verwandlung möglich wird? Dieser Träger muss eine Substanz sein, die mal im Zustand der Energie und mal im Zustand der Information (der Ordnung) auftritt, oder ein Austauschteilchen, durch welches sich kleinste Energie-Pakete in Information umwandeln und umgekehrt. Die Frage nach dieser Substanz ist für mich die Frage nach dem Stoff des Lichts.

Die kleinst-mögliche Veränderung der Entropie ergibt sich durch Aufnahme oder Abgabe eines isolierten Partikels (Hansen 2013b mit Verweis auf Louis de Broglie [1892-1967], der in The Thermodynamics of the isolated particle, Paris 1964 die Ideen von Brillouin fortgeführt hatte; siehe hierzu den Beitrag Information und Grundrauschen). Erhält hier das Photon eine maßgebliche Rolle? Ist das Photon zugleich die kleinste Energie-Einheit und die kleinste Informations-Einheit?

Um zu verstehen, was hier geschieht, ist eine neue Geometrie notwendig. Die euklidische Geometrie mit ihren voneinander isolierten Punkten ist ebenso wenig ausreichend wie die neueren Geometrien, die für die Quantenmechanik entwickelt wurden und auf Zufallsprozessen und Gleichverteilung beruhen. Die überlieferten Bilder von Welle und Teilchen führen in eine Sackgasse. Die Physik sucht nach anderen Bildern und spricht am Beispiel des Elektrons vom »verschmierten Elektron« oder einer »Elektronenwolke«. Das scheint mir anzudeuten, in welcher Richtung eine neue Geometrie zu suchen ist: Um die Ausbreitung von Information und deren Verlaufsform zu erkennen, ist auf andere Bilder wie Rauch, Nebel, Schnee, Schaum oder Filz zurückzukommen. Diese Bilder gehen bis auf Platon zurück, der in seinem Dialog Timaios nicht nur die Schöpfungsgeschichte beschrieben hat und zeigen wollte, wie sich alles aus der Bewegung kleinster geometrischer Elemente (den platonischen Körpern) aufbaut, sondern sich der Grenzphänomene im wechselseitigen Übergang von Unsichtbarkeit zu Sichtbarkeit, hell und dunkel sehr bewusst war. Er gebrauchte Ausdrücke wie Filz (pilesis) und Schaum (aphros). Schon anschaulich ist klar, wie bei einer Verfilzung Ordnung und Übersichtlichkeit verloren geht, und wie Schaum sowohl etwas umhüllen und dadurch verbergen wie auch umgekehrt aufleuchten lassen kann. (Platon Timaios 58ab und 83cd).

Filz, Schaum, Schnee, Rauch können als Proto-Elemente verstanden werden, die den klassischen vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer vorausgehen. Platon hat die vier Elemente mit geometrischen Figuren verbunden, aber nicht mehr ausgeführt, wie sie ihrerseits aus unterliegenden Proto-Elementen hervorgehen. Die Forschung zu Fragen dieser Art steht noch ganz am Anfang und muss wahrscheinlich über Platon hinaus auf Pythagoras zurückgehen. Am weitesten ist der Mathematiker und Physiker Roger Penrose (* 1931) gekommen, der mit den Penrose-Parkettierungen aperiodische Kachelmuster entwickelt hat, die die Ebene lückenlos bedecken und im Innern auf den Goldenen Schnitt zurückgehen, der wiederum mit dem Pentagramm (Drudenfuß, ⛧) verwandt ist, der heiligen Figur der Pythagoreer (die Diagonalen des Pentagramm schneiden sich im Verhältnis des Goldenen Schnitts). Renate Quehenberger hat in ihrer noch nicht veröffentlichten, sehr materialreichen Dissertation Zur Hermeneutik der Penrose Muster sowohl die Geschichte der unterschiedlichen Vorstellungen von Filz, Schnittmustern, Schnee, Rauch und verwandter Phänomene untersucht wie auch die Geschichte des Goldenen Schnitts, die zur Penrose-Parkettierung führt.

Schaum, Schnee, Rauch und Filz sind bisher nur Bilder, die möglicherweise die Vorstellungskraft anregen können, neue Lösungen zu finden. Ohne weiter in Details zu gehen, ergibt sich für mich die allgemeine Frage nach einem gemeinsamen Grund, über und in dem Information und Energie ineinander übergehen können. Kennt der Buddhismus mit seiner Lehre der Nicht-Dualität einen solchen Grund? Gibt es dort virtuelle Teilchen, die sich wie die virtuellen Photonen auf der Grenze von Logik, Mathematik und Physik bewegen? Das sind Teilchen ohne Materie (d.h. ohne Substanz), die dennoch Formen tragen können. Das Photon mit der Ruhemasse Null ist das Paradigma. Das ist die vierte Frage an den Buddhismus, die Frage nach den kleinsten Raumteilchen. Sind sie die kleinste Einheit, die nur in Bildern wie Schnee, Rauch, Filz und Schaum beschrieben werden können? Der Dalai Lama spricht von einer Kosmologie, die den Urknall übergreift. Für ihn geht nach buddhistischer Lehre dem Urknall eine »Zeit der Leerheit« voraus. In ihr »existieren jedoch weiterhin Raum-Teilchen, aus denen sich die gesamte Materie des folgenden Universums entfalten wird« (Dalai Lama, 104). Ich vermute, dass er rupadhatu meint.

»Rupadhatu, (Pali: Rupaloka, Tib: gzugs kyi khams) (Reich der Formen, form realm) ist, wie der Name schon sagt, der erste der physischen Bereiche; seine Bewohner haben alle einen Ort und Körper einer eigenen Art, obwohl diese Körper aus einer subtilen Substanz bestehen, die für die Bewohner der Kamadhatu (Reich der Wünsche und Begierden, t.) unsichtbar ist. In verschiedenen buddhistischen Texten wird von 17-22 Rupadhatu gesprochen, in den meisten von 18.« (Wikipedia über Buddhist cosmology, abgerufen am 4.6.2019, eigene Übersetzung).

Wurden im Buddhismus Einsichten in das Reich der Form gewonnen, die helfen können, die Frage nach der wechselseitigen Umwandlung von Information und Energie zu verstehen, und gibt es im Buddhismus Hinweise auf die besondere Bedeutung von Licht und Erleuchtung für diesen Vorgang? Kennt der Buddhismus Ordnungen der Raumteilchen, die an Schnee, Rauch, Schaum oder Filz erinnern? Liegen die Rupadhatu in dem Bereich, den gemäß hebräischer Tradition Gott mit seinem Wort ›Es werde Licht‹ ansprechen konnte und der aus sich heraus in einem dem Urknall vergleichbaren Vorgang zum Licht führte, hierfür jedoch des Wortes (logos) Gottes bedurfte?

Anhang: Engel – Lichtwesen im Christentum und Buddhismus (tennin)

Nach einer von der Zeitschrift Geo 2005 in Auftrag gegebenen Umfrage glauben die Deutschen eher an Engel als an Gott (Pressemitteilung von Geo, PDF). Das hat für mich auch damit zu tun, dass der Glaube an Engel Vorläufer im Glauben an gute und böse Feen und ähnliche Wesen hat, die in unserem Kulturkreis eine weit längere Tradition als das Christentum haben.

In fast allen Kulturen gibt es Lichtengel, die im Licht Gottes leben. Das altägyptische Wort el bedeutet ‘Gottes Licht’ und könnte etymologisch im Zusammenhang mit den hebräischen elohim stehen.

Kennt der Buddhismus Engel? Es gibt im japanischen Buddhismus Tennin (im Japanischen zusammengesetzt aus ten für Himmel und jin oder nin für Mensch), das sind meist weibliche Begleiterinnen der Buddhas und Bodhisattvas, die fliegen und Musik spielen können (Skulpturen von Tennnin aus Japan).

Die christliche Angelogie des Mittelalters hatte sich intensiv mit den Eigenschaften der Engel beschäftigt. Obwohl sie im Verlaufe der Aufklärung mit Fragen wie zum Beispiel nach der Anzahl von Engeln, die auf einer Nadelspitze Platz haben, lächerlich gemacht werden sollte – wobei sich diese Frage innerhalb der Angelogie nicht belegen lässt und offenbar nachträglich in polemischer Absicht ausgedacht wurde, siehe hierzu den Eintrag in Wikipedia über die scholastische Lehrpraxis –, haben ihre Themen überlebt und kehren in den Fragen wieder, was Licht ist. Den Engeln wurden zahlreiche Attribute zugeschrieben, die in der modernen Naturwissenschaft zu Grundlagenbegriffen geworden sind. Im Unterschied zum Buddhismus ist jedoch diese Tradition abgerissen. Im Prinzip können an die Angelogie die gleichen Fragen gestellt werden wie an den Buddhismus:

(i) Warum sind die Engel unsichtbar? Bestehen sie aus einem Stoff, der unsichtbar ist, und hat dieser Stoff Eigenschaften, die mit der Unsichtbarkeit des Äthers zu vergleichen sind?

(ii) Engel denken nicht diskursiv in Begriffen, Urteilen und Schlüssen, sondern erfassen ihre Gegenstande unmittelbar. Ein Engel ist kein Therapeut, der erst für seine Patienten eine Diagnose erstellt, daraus eine Therapie ableitet und dem Patienten Vorschläge für eine Behandlung unterbreitet, sondern unmittelbar ohne nachzudenken das Richtige tut, was dem Menschen hilft. Das kann auch der Ratschlag sein, einen Therapeuten aufzusuchen, doch der Engel selbst leitet sein Handeln nicht aus Schlüssen ab. Ist ihre Art, etwas zu erfassen, eine Erleuchtung, vergleichbar dem bodhi, oder noch einfacher ein Zeichen der Liebe?

(iii) Über welche spezifischen Kräfte verfügen die Engel? Es heißt, dass sie im Licht Gottes stehen. Verleiht ihnen das eine besondere Kraft, dank derer sie z.B. als Schutzengel wirken können?

(iv) Aus welchem Stoff sind die Engel? Sie haben eine Gestalt, aber keine anfassbare Körperlichkeit. Leben sie in einem Reich der Formen, das zwischen dem Reich Gottes (dem Formlosen) und dem Reich der Wünsche und Begierden liegt, in dem die Menschen leben? Als Literatur ist die Studie mit dem programmatischen Titel Alle Wesen bestehen aus Licht zu empfehlen, die insbesondere von der Bedeutung der Engel für die persische Philosophie handelt. Die Autorin Zoreh Abedi zeigt auf dem Titelblatt das Werk Der fünfte Tag der Schöpfung des persischen Malers Mahmoud Farshchian, mit dem dieser Vortrag beendet werden soll (zu sehen über Google Bilder).

Literatur

Die wichtigsten Quellen sind für mich das Gespräch des Molekularbiologen und Buddhisten Matthieu Ricard mit dem aus Vietnam stammenden Astrophysiker Trinh Xuan Thuan in Quantum und Lotus, die beiden Bücher Die Welt in einem einzigen Atom des Dalai Lama (2005) und Lichtfänger von Arthur Zajonc (1993), der Bericht von Arthur Zajonc über die Mind and Life Konferenz 1997 mit dem Dalai Lama zum Thema The New Physics and Cosmology sowie die Veröffentlichungen von Helmut Hansen, mit dem ich seit Jahren über diese Fragen im Gespräch bin und darüber eine neue Sicht auf die Relativitätstheorie gewonnen habe.

Zohreh Abedi: "Alle Wesen bestehen aus Licht" – Engel in der persischen Philosophie und bei Suhrawardi, Baden-Baden 2018

Gregory Bateson: Ökologie des Geistes, Frankfurt am Main 1981 [1972]

Lewis C. Epstein: Relativitätstheorie anschaulich dargestellt, Basel u.a. 1988 [1981]

Dalai Lama: Die Welt in einem einzigen Atom, Berlin 2005

Helmut Hansen 2007: Die Physik des Mandala, Aitrang 2007

Helmut Hansen 2009: Die Linien des Alten, Norderstedt 2009

Helmut Hansen 2013a: Das »Prinzip der Dualen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit«, Typoskript, Hamburg 2013

Helmut Hansen 2013b: Is the Planck constant itself the natural digit?
in: FQXi 2013

Helmut Hansen 2018: Ist die Lichtgeschwindigkeit c eine nicht-klassische Konstante?
Folien für einen Vortrag bei der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) in Würzburg am 19.-23. März 2018

Jetsun Chokyi Gyaltsan: Dön dün chu (Siebzig Themen), Hannover 2019 (Studientext des Tibet-Zentrum Hannover, verteilt an die Teilnehmer des Studiengang Buddhistische Philosophie)

Renate Quehenberger: Zur Hermeneutik der Penrose Muster, Wien 2019 (Typoskript)

Matthieu Ricard, Trinh Xuan Thuan: Quantum und Lotus, München 2008 [2000]

Erwin Schrödinger: Was ist Leben?, München 1989 [1944]

B. Alan Wallace: Choosing Reality, Eine buddhistische Sicht von Physik und Bewusstsein
in: Heiri Schenkel: Der Dialog zwischen westlicher Naturwissenschaft und buddhistischer Philosophie, Basel 2010 [1996]; PDF.

Renée Weber: Alles Leben ist Eins – Die Begegnung von Quantenphysik und Mystik, Amerang 2012 [1986]

Arthur Zajonc 1993: Lichtfänger, Stuttgart 2008 [1993]

Arthur Zajonc 2004 (Hg.): The New Physics and Cosmology, Dialogues with the Dalai Lama, Oxford 2004 [Mind and Life Conference in Dharamsala 1997]

Anton Zeilinger: Einsteins Schleier, München 2005 [2003]

Bildnachweis: Fediona - Own work, CC0, Link


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